Berlins Kultursenator Lederer zu Corona: „Keine Trendwende bis Ostern“
Die Lage sei viel zu ernst für Lockerungen, sagt Klaus Lederer (Linke). Mit einer Normalisierung bei der Kultur rechnet er erst 2022.
taz: Herr Lederer, wir führen dieses Interview über Zoom. Sitzen Sie im Homeoffice?
Klaus Lederer: Nein. Ich bin im Büro, nur teilweise im Homeoffice.
Warum?
Einige Dinge muss ich leider einfach vor Ort in meinem Büro erledigen: Die Verwaltung ist noch nicht ganz digitalisiert, zum Beispiel, was die elektronische Akte angeht. Dazu kommt: Bei mir zu Hause wären wir zu zweit im Homeoffice. Ich muss daher immer vorher klären, dass das auch technisch funktioniert.
Ihre Senats- und Parteikollegin Elke Breitenbach hatte Mitte Januar einen Gesetzentwurf vorbereitet, der – kurz gefasst – Büro- und Bildschirmarbeiter*innen pauschal ins Homeoffice verbannt hätte. Der Senat hat die Entscheidung darüber vertagt auf kommende Woche. Würde dieses Büroaufenthaltsverbot auch für Senator*innen gelten?
Die Idee war, dass die Beschäftigten den Anspruch haben sollen, alles, was von zu Hause gemacht werden kann, auch wirklich von zu Hause machen zu können. Im Senat haben wir das erst mal nicht aufgegriffen. Wir beobachten jetzt die Entwicklung der Inzidenzzahlen und – vor allem – die Mobilität der Menschen. Wenn diese nicht nennenswert sinkt, kann es sein, dass wir über Elke Breitenbachs Vorschlag noch einmal diskutieren.
Und gilt das dann auch für Senator*innen?
Ich erledige nur die allernötigsten Dinge im Büro und den Rest zu Hause. Dieser Grundsatz gilt weiterhin – für mich und für alle.
Klaus Lederer, 46, ist seit Dezember 2016 Senator für Kultur und Europa sowie einer der beiden Stellvertreter*innen von Michael Müller. Zuvor war er Landeschef der Berliner Linkspartei. Er ist zudem designierter Spitzenkandidat der Linken für die Abgeordnetenhauswahl im Herbst
Wir wollen heute vor allem über Solidarität reden. Die Frage, wer was für die Gemeinschaft tut, um Corona zu bekämpfen, ist eine zentrale Frage im Kampf gegen die Pandemie. Im Zweifel machen die anderen immer zu wenig oder manche gesellschaftlichen Gruppen werden vergessen oder die Geduld ist aufgebraucht. Wie nehmen Sie die Debatte in Berlin wahr?
Im Senat arbeiten die Spitzen der Koalition extrem eng und vertraut miteinander. Michael Müller, Ramona Pop und ich haben ein gemeinsames Interesse: eine solide empirische Grundlage zu bekommen, explizit unter Einbeziehung der Wissenschaft und anderer Experten. Zugleich arbeiten wir parallel an Öffnungskonzepten, ohne allerdings einen Wettbewerb zu starten, was als Erstes aufmachen darf.
Okay, der Senat ist solidarisch untereinander. Wie aber sieht es mit dem Rest der Stadtgesellschaft aus?
Die allermeisten halten sich an die Vorgaben, sonst hätten wir die jüngsten Erfolge nicht.
Sie meinen die aktuelle Entwicklung bei den Inzidenzzahlen?
Die Zahlen sind in den vergangenen Wochen gesunken, das wirkt sich auch positiv aus auf die Kapazitäten der Intensivstationen der Krankenhäuser. Im Moment scheinen sich die Zahlen eher wieder einzupendeln, und dies auf einem immer noch sehr hohen – zu hohen! – Niveau. Dazu kommt: Die britische Mutante wurde in Berlin nachgewiesen, wenn auch in kleinem Ausmaß. Sollte sie sich jedoch ausbreiten, so befürchten Experten, würde das den R-Wert um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte steigern. Wenn das stimmt, müssen wir die Anstrengungen gegen Corona noch mal verstärken.
Das dürfte die Solidarität der Menschen auf eine harte Probe stellen.
Mit fortschreitendem Lockdown – das zeigen viele Untersuchungen – steigt der Frust der Menschen, die soziale Spaltung nimmt zu und auch das Unverständnis darüber, was vonseiten der Politik immer wieder aufs Neue von den Menschen verlangt wird. Wichtig sind bei jedem Schritt größtmögliche Information und Transparenz.
Was meinen Sie damit konkret?
In der Vergangenheit hat sich die Politik meist mit Verordnungen an die Bürgerinnen und Bürger gerichtet und ihnen Einschränkungen im privaten Lebensbereich abverlangt. Das war auch richtig. Es funktioniert aber nur, wenn breit aufgeklärt wird und der Stand der Pandemie möglichst allen klar ist. Das scheitert jedoch oft schon an mangelhafter öffentlicher Infrastruktur: Wenn ich etwa die Inzidenzzahlen wissen will, muss ich die Webseite des Robert-Koch-Instituts bemühen; die staatlichen Gesundheitsdienste sind im digitalen Bereich längst nicht so weit, wie es nötig wäre.
Ist das ein Grund, warum die Appelle, gemeinsam die Pandemie zu bekämpfen, auf mehr und mehr Unverständnis stoßen?
Solidarität wird als Forderung an die Gesellschaft ausgesprochen – und dabei muss sie herhalten für politische Fehler der Vergangenheit, etwa was die mangelhafte Ausstattung der Krankenhäuser, ein Ergebnis rigoroser Sparpolitik, angeht. Wir müssen also darüber diskutieren, wie die öffentliche Daseinsfürsorge bei einer erneuten Pandemie angemessener reagieren und die Menschen anleiten kann, sich vernünftig zu verhalten. Denn diese Pandemie war sicher nicht die letzte! Das sagen alle Wissenschaftler im medizinischen Bereich.
Waren denn die Informationen über Corona transparent genug?
Nein. Es geht auch darum, den Menschen reinen Wein einzuschenken, wie die Perspektiven aussehen. Da ist in der Vergangenheit nicht alles gut gelaufen, etwa als in Aussicht gestellt wurde, dass wir mit drei Wochen Gürtelengerschnallen fröhlich Weihnachten miteinander feiern werden. Und auch aktuell hangeln wir uns im Zweiwochenrhythmus von KanzlerInnengipfel zu KanzlerInnengipfel.
Was heißt reinen Wein einschenken aktuell ganz konkret?
Wir werden bis Ostern keine nennenswerte Trendwende erzielen. Trotz der Erfolge der vergangenen Wochen können wir nicht ernsthaft über weitgehende Lockerungen reden, weder was die betroffenen Wirtschaftsbereiche angeht noch die Kultur – leider, aber so ist es. Dafür ist die Lage viel zu ernst. Ab Ostern kann sich das deutlich ändern, wenn noch weitere Impfstoffe zur Verfügung stehen. Dann kann es sein, dass wir in der Bundesrepublik in wenigen Monaten eine Herdenimmunität herstellen können. Die Frage ist: Wie gehen wir mit der Situation dazwischen um?
Sie meinen eine andere Frage der Solidarität. Sollen Geimpfte bestimmte Dinge machen dürfen, die Nichgeimpfte nicht dürfen? Sprich: Es geht um Privilegien.
Der bisherige Lockdown zur Eindämmung der Coronapandemie ist bis zum 14. Februar befristet. Am kommenden Mittwoch wollen Bund und Länder bei einer Schalte mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beraten, wie es danach weitergeht.
Angesichts der nicht nur in Berlin sinkenden Infektionszahlen wächst der Druck auf die Politik, einige Lockerungen umzusetzen, etwa im Bereich Schule und Kita. Gleichzeitig warnen Virologen vor der Gefahr der britischen Virusmutation, die ansteckender ist als das bisher vorherrschende Virus und eine erneute – dritte – Welle auslösen könnte.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte vergangene Woche erklärt, der Senat habe konkrete Vorstellungen für einen Neustart nach dem Lockdown. „Es gibt eine Reihe von Plänen, die wir schon in der Schublade haben, was wir in welcher Reihenfolge wieder hochfahren.“ Details zu einem Fahrplan nannte Geisel nicht. (taz, dpa)
Der Begriff Privilegien ist hier nicht zielführend. Seit Monaten schränken wir in einer freien Gesellschaft wegen Corona die Grundrechte teils massiv ein. Dafür braucht es Begründungen. Derzeit ist das angesichts der Pandemielage rechtlich möglich. Aber sobald ein guter Teil der Gesellschaft geimpft ist, wird das immer schwieriger. Man wird darüber nachdenken müssen, ob sich Kontaktbeschränkungen in dieser Intensität dann noch rechtfertigen lassen.
Nennen Sie mal ein Beispiel.
Es stellt sich etwa die Frage, ob sich ein älteres Ehepaar – sie lebt in der Wohnung, er im Heim – nicht regelmäßig treffen darf, wenn beide geimpft sind. Ich könnte dieses Verbot nicht rechtfertigen.
Sie könnten sich also vorstellen, dass im Sommer an einem Theater oder Kino steht: „Zugang nur für Geimpfte“?
Nein, überhaupt nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass direkt vor dem Theaterbesuch dort die Möglichkeit besteht, mit einem Schnelltest ausschließen zu können, dass man ein Superspreader ist. Geimpfte bräuchten einen solchen Test dann nicht zu machen. Wie der Einlass dann konkret abläuft, müssen wir jetzt konzeptionell entwickeln. Allerdings setzt es voraus – was noch nicht belegt ist –, dass eine Impfung auch die Übertragung der Krankheit verhindert.
Schnelltests wurden schon im vergangenen Sommer als vermeintliche Rettung angepriesen, unter anderem für Clubs. Was ist das Problem?
Es braucht einfach zu handhabende Schnelltestverfahren, die vom Bund öffentlich zugelassen sind – das sind sie bisher nicht.
Sie kritisieren, dass sich die Politik im Zweiwochentakt vorangehangelt hat. Wie stehen Sie zu einer Zero-Covid-Strategie, wie sie viele linke Initiativen fordern?
Ich glaube, dass es nötig ist, die 7-Tage-Inzidenz so weit wie möglich runterzudrücken. Dass das mit einer europaweiten Koordinierung und mit einer Strategie geht, in der im Grunde alle gesellschaftlichen Bereiche lahmgelegt werden: Diese Illusion habe ich nicht. Ich glaube nicht, dass dieser einfache Dualismus funktioniert, der da sagt, wir fahren alles runter, weil Menschenleben über allem stehen, und alle anderen Überlegungen ersparen wir uns einfach. Es braucht die Abwägung.
Welche denn?
Schulen und Kitas zum Beispiel. Natürlich sind das keine infektionsfreien Orte. Aber es gehört zu einer solchen Abwägung dazu, welche psychosozialen Folgen es hat, den Bildungsbereich über Monate hinweg auszuknipsen oder auf Sparflamme zu fahren. Die Dynamik der Pandemie hat nicht eine einzige Antwort zur Folge, die über Monate trägt. Wir lernen im Tempo der Pandemie. Das Gelernte findet sich aber noch zu wenig in unseren Schlussfolgerungen wieder.
Sprechen Sie da schon als Spitzenkandidat der Linken fürs Rote Rathaus? In Ihrer Partei wird die Zero-Covid-Idee ja deutlich positiver gesehen.
Das Ziel, die Inzidenzen runterzufahren, teilen ausnahmslos alle. Die Frage, wie das gelingt, was man abwägen muss und was das richtige Maß sein kann, ist nicht nur bei uns umstritten, sondern in allen politischen Parteien. Ich versuche, mich der Sache anzunähern, indem ich das richtige Maß finde.
Ist das Ihre langfristige Strategie?
Wendungen sind immer möglich! Keiner hätte vor ein paar Monaten gedacht, dass Mutationen auftauchen, die um einiges ansteckender sind als das Ursprungsvirus. Die haben die Überlegungen, die bis dahin angestellt wurden, wieder auf den Prüfstand gestellt. Wenn ich ein Hygienekonzept für ein Konzerthaus entwickle, das von einem Virus mit einer bestimmten Infektiosität ausgeht, dann ist das Auftauchen einer neuen Mutation ein Game Changer, den ich berücksichtigen muss.
Die Solidarität in der Kulturszene in Coronazeiten haben Sie als Kultursenator ja oft genug betont. Wie nehmen Sie die Lage inzwischen wahr: Ist der Zusammenhalt weiterhin größer als anderswo oder nimmt auch hier der Unmut zu?
Der Geduldsfaden aller Beteiligten ist arg gespannt, schließlich ist kaum eine Perspektive am Horizont erkennbar. Das gilt auch im Kulturbereich. Zwar ist das Bedürfnis groß, sich gegenseitig den Rücken zu stärken, zu kooperieren, sich gemeinsam zu äußern. Aber auch hier ist die Lage sehr, sehr unterschiedlich – je nachdem, ob man fest angestellt bei staatlichen Kulturinstitutionen oder als freier Künstler unterwegs ist. Wir dürfen Solidarität nicht verwechseln mit der Verpflichtung der Politik, soziale Absicherung zu schaffen. Die größte Herausforderung im Kulturbereich ist die Absicherung jener Menschen in eher freien, offenen Strukturen. Immer noch werden Soloselbstständige in die Grundsicherung, also Hartz IV, gedrängt. Das muss sich ändern.
Viele Künstler fühlen sich vernachlässigt. Sie sind in finanziellen Nöten, einige schulen bereits um. Es gibt eine Initiative, die fordert, dass die Kultur ins Grundgesetz muss.
Ich gehöre dabei zu den Erstunterzeichnern und lote gerade aus, ob das auch andere Bundesländer unterstützen und wir daraus eine Bundesratsinitiative machen können. Denn es stimmt: Die Wahrnehmung der Kultur bisher in der Pandemie durch die Bundespolitik war gering: Bei den Hilfsprogrammen ist sie lange kaum vorgekommen. Erst seit Ende 2020 ist der Kanzlerin und den Ministerpräsident*innen offenbar klar geworden, dass es hier nicht um einen mehr oder weniger überflüssigen Teil von Freizeitbeschäftigung von Menschen geht, sondern um einen ganz zentralen Aspekt gesellschaftlicher Selbstverständigung.
Viele Kulturschaffende befürchten, dass das Schlimmste erst noch kommt, wenn nach dem Lockdown den Kommunen das Geld ausgeht – in einer Zeit also, wenn das Kulturangebot wieder hochgefahren werden soll.
Wir haben in Berlin die Verständigung innerhalb der rot-rot-grünen Koalition, dass die Soforthilfe IV für private Kulturbetriebe so lange fortgesetzt wird, wie es nötig ist. Und am Ende wird es auch eine Form von Anschubfinanzierung geben dafür, dass der Betrieb wieder hochgefahren werden kann. Für die öffentlichen Kulturinstitutionen gehe ich auch davon aus, dass wir in diesem Jahr die durch Corona verursachten Defizite kompensieren.
Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Ich habe keine Glaskugel. Aber ich hoffe, dass alle Kultureinrichtungen zu Beginn des nächsten Jahres im Großen und Ganzen wieder so öffnen und besucht werden können, wie wir das vor der Pandemie kannten. Möglicherweise mit niedrigschwelligeren Hygieneanforderungen, deren Einhaltung man aber, glaube ich, allen abverlangen kann. In einzelnen Bereichen, wie der Clubkultur, wird es selbst dann noch schwierig sein. Auch darauf werden wir reagieren müssen.
Die Open-Air-Offensive von drei linken Bezirksbürgermeister*innen im Sommer war nur mäßig erfolgreich. Ist etwas Ähnliches erneut geplant?
Sie hat mehr Wirkung erzielt, als ich dachte. Und wir haben ja noch ein paar weitere Open-Air-Aktivitäten machen können, etwa den Tag der Clubkultur und das Draußenstadtprojekt. Letzteres haben wir im November erst mal gestoppt, werden es aber wiederaufleben lassen. Natürlich wird in diesem Sommer der Fokus auf Aktivitäten außerhalb geschlossener Räume liegen. Es wäre schön, wenn sich noch weitere als unsere drei Bezirksbürgermeister*innen dann dabei engagieren, öffentliche Flächen temporär zur Verfügung zu stellen.
Könnten größere Theaterhäuser nicht solidarisch ihre Räume kleineren Projekten zur Verfügung stellen?
Das wäre absolut eine Option. Wir haben mit unseren Möglichkeiten, Ausfallhonorare zu zahlen, die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass hier Solidarität geübt werden kann. Einzelne machen das schon. Das Konzerthaus hat beispielsweise einen entsprechenden Aufruf gestartet und eine Jury eingesetzt, sodass sich kleinere Ensembles bewerben konnten: eine großartige Aktion. In unterschiedlicher Weise machen das viele andere auch. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass in den Kulturinstitutionen selbst Aktivitäten geplant worden sind, die seit Weihnachten und länger auf die Aufführung warten müssen.
Würden Sie es unterstützen, dass die Theaterferien in diesem Sommer ausfallen?
Alle Theater denken derzeit darüber nach, was sie in dieser Zeit machen können – das finde ich grundsätzlich großartig. Aber es gibt auch tarifvertragliche Vereinbarungen darüber, wie den Beschäftigten in den Häusern Freiraum gegeben werden muss. Es wäre schön, wenn die Kultureinrichtungen die wahrscheinliche Chance nutzen würden, wieder sichtbar zu sein und Angebote zu machen, zumal ja möglicherweise Urlaube über längere Entfernungen noch nicht in dem üblichen Maße möglich sein werden. Da wäre es gut, wenn es für Menschen, die in der Stadt bleiben, Kulturangebote gäbe – klar.
Als wir Sie im Mai 2020 gefragt haben, wann Sie wieder in einen Club zu gehen hoffen, haben Sie gesagt: im nächsten Jahr, sprich 2021. Was sagen Sie heute?
Ich hoffe jetzt aufs Jahresende. Ich kann mir zwar vorstellen, dass der Clubbesuch ohne Hygienevorschriften dann noch nicht möglich ist. Allerdings konnte ich im letzten Sommer und am Tag der Clubkultur im Frühherbst noch mal in den Club gehen. Allerdings nicht so, wie man das normalerweise kennt.
Es ist nicht dasselbe.
Natürlich nicht.
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