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Berliner Wochenrückblick IRadikal ist nicht gleich radikal

Der Regierende kritisiert seine Staatssekretärin, die mehr Radikalität forderte. Doch hat Michael Müller Recht mit dem Satz, der Rechtsstaat sei „nie radikal“?

Nicht immer einer Meinung: Michael Müller und Sawsan Chebli Foto: dpa

Es ist ein Graus mit den Adjektiven: Auf den ersten Blick ist ihre Bedeutung meist klar. Aber wer mit anderen darüber diskutiert, muss schnell feststellen, dass jene sich unter blau, abgehoben, brüsk oder radikal bisweilen ganz unterschiedliche Dinge vorstellen.

Dafür gibt es gute Gründe: „Radikal“ erklärt der Duden zum einen schlicht mit „von Grund aus erfolgend“ und „vollständig“, zum anderen als „mit Rücksichtslosigkeit und Härte vorgehend“ beziehungsweise „eine extreme politische, ideologische, weltanschauliche Richtung vertretend“.

Und dann ist da natürlich der Kontext wichtig.

Vor dem Hintergrund der rechtsextremen Hetzjagden in Chemnitz hatte Berlins Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement, Sawsan Chebli, (SPD) getwittert: „Wir sind zu wenig radikal.“ Der Tweet sorgte für Aufruhr, sie löschte ihn später wieder.

Trotzdem wies ihr Chef, der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), der von Twitter eigentlich gar nichts hält, sie am Dienstag noch einmal in die Schranken. Auf einem Empfang der SPD-Fraktion erklärte er in seiner Begrüßung: „Der Rechtsstaat ist nie radikal.“

Übertriebene Rüge

Dass das Adjektiv in vielen Gesprächen des Abends zum Running Gag wurde, zeigt schon, dass nicht alle Müllers Einschätzung teilten oder zumindest die öffentliche Rüge für übertrieben hielten.

Ein Rechtsstaat muss solchem Treiben radikal Einhalt gebieten

Auch dafür gibt es gute Gründe: Der Rechtsstaat muss in dem Sinne radikal sein, dass er „von Grund aus erfolgend“ trennt, was rechtens ist und was nicht. Und ein Rechtsstaat sollte in Situationen, in denen Menschen aufgrund ihres Aussehens durch die Straßen gejagt werden, eine radikale Gegenmaßnahme sein: indem er nämlich diesem Treiben zumindest nachträglich Einhalt gebietet und es ahndet.

Doch das Vertrauen, dass der deutsche Rechtsstaat dazu willens ist, schwindet mehr und mehr, nicht nur in Sachsen, wo offenbar vor allem radikal weggeschaut wird. Auch jeder weitere Satz des bayerischen Bundesheimatministers trägt dazu bei. Sich dieser Entwicklung entgegenzustellen, und zwar „vollständig“, müsste eigentlich Pflicht jeder (Sozial-)Demokratin sein.

Das mag manchem nach Wortklauberei klingen. Doch man kann sich nur an klaren Kanten, an steilen Thesen, an radikalen Aussagen reiben und weiterentwickeln. Das ist wichtig, erst recht für eine inhaltlich entleerte Partei wie die SPD.

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2 Kommentare

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  • Die SPD bzw. Rot-Rot-Grün muss noch viel "radikaler" bzw. fundamentaler/selbstständiger/konsequenter werden, vor allem bei sozialen Themen und in Bezug auf die Gewaltenteilung!

    Die SPD auf der Bundesebene will in der Wohnungspolitik deutlich über die bisherigen Koalitionsbeschlüsse hinausgehen. "Wir wollen einen Mietenstopp, um die Preisspirale zu unterbrechen", heißt es in einem gemeinsamen Papier der Parteivorsitzenden Andrea Nahles und ihres Stellvertreters Thorsten Schäfer-Gümbel. In den nächsten fünf Jahren sollen Mieten nur noch um die inflationsbedingte Preissteigerung erhöht werden dürfen - überall dort, wo der Wohnungsmarkt angespannt ist.

    web.de/magazine/po...isspirale-33155728

    Das muss man in Berlin einfach umsetzen! Berlin wird als "Hauptstadt der Obdachlosen" bezeichnet. Armut in Berlin, Hamburg oder Bremen erfordert solche Regelungen, unabhängig davon, ob die CSU dem widerspricht. Die CSU und vor allem Herr Seehofer macht sowieso was sie bzw. er will, sowohl im Bund als auch im Land Bayern. Es gab in der Vergangenheit mehrere Sachverhalte, die sich weder im Koalitionsvertrag finden noch in der Großkoalition besprochen wurden.

    Die SPD muss in den einzelnen Bundesländern viel "radikaler" werden!

    • @Stefan Mustermann:

      "Berlin, Hauptstadt der Obachlosen". Da kam mir wieder in den Sinn, wie viele Menschen mich heute um Geld, etwas zu Essen oder zu Trinken gefragt haben...