Berliner Wochenkommentar I: Bock auf Brennpunkt?
Die neuen und viel kritisierten quer eingestiegenen Lehrkräfte in Berlin unterrichten vor allem an Brennpunktschulen. Das muss kein Nachteil sein.
Es ist ein Thema, das bleiben wird, nicht nur von dieser Woche, sondern für die nächsten Jahre: der chronische Lehrermangel und die vielen Seiteneinsteiger, die es deshalb braucht, damit Unterricht stattfinden kann. Passend zum Ende des ersten Schulhalbjahres – Freitag gab’s Zeugnisse – sorgte diese Woche eine Studie der Bertelsmann-Stiftung für die bei dem Thema zuverlässig einsetzende mediale Schnappatmung: Der Lehrermangel an Grundschulen, so die Experten, werde sich bis 2025 auf 35.000 fehlende PädagogInnen verschärfen. Es gebe schlicht zu wenig Uni-AbsolventInnen für wachsende Schülerzahlen und das Groko-Ansinnen einer flächendeckenden Ganztagsschule. Die Bertelsmann-Experten empfehlen: Seiteneinsteiger, natürlich gut qualifiziert, damit die Unterrichtsqualität nicht leide.
In Berlin ist das längst Alltag: Rund 40 Prozent der zum zweiten Schulhalbjahr neu eingestellten Lehrkräfte haben den Beruf nicht studiert, hängte sich die Bildungsgewerkschaft GEW am Mittwoch mit einer Pressemitteilung ins Fahrwasser der Studie. Und natürlich sind diese SeiteneinsteigerInnen oft nicht so gut qualifiziert, wie sie sein sollten (ein 60 Millionen-Euro-„Qualitätspaket Quereinstieg“ des Senats soll das ändern), und vielleicht leidet die Unterrichtsqualität deshalb doch (künftige Pisa-Tests werden das zeigen).
Vielleicht aber auch nicht: Da war nämlich diese Woche auch noch die Antwort der Bildungsverwaltung auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz. Dabei kam heraus, dass ausgerechnet Brennpunktschulen besonders viele Seiteneinsteiger einstellen. Die GEW, mit den neuen Einstellungszahlen für Februar munitioniert, mahnte ebenfalls: Mehr als die Hälfte der ungelernten PädagogInnen lehren an Schulen in Mitte, Neukölln und Spandau.
Ja, das kann zur weiteren strukturellen Benachteiligung dieser Schulen führen. Was die Statistiken aber nicht sagen: mit welcher Motivation die Quereinsteiger an den sogenannten Brennpunktschulen aufschlagen. Klar, die Schulen mit einem guten Ruf können sich angesichts des Fachkräftemangels die Rosinen (also die Fachkräfte) herauspicken. Aber vielleicht bleiben die Quereinsteiger nicht schlichtweg „übrig“, sondern suchen sich den Arbeitsort Brennpunkt bewusst aus? Das wäre tatsächlich mal eine spannende Statistik.
Denn es gibt Schlimmeres als Lehrer, die Bock auf Brennpunkt haben – im Gegenteil: Sie sind genau das, was diese Schulen brauchen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung