Berliner Volksbühne: Eine Müdigkeitsgesellschaft

Klimakrise, Pandemie, Krieg: Fabian Hinrichs und René Pollesch gelingt mit „Geht es dir gut?“ der erste sehenswerte Abend der neuen Volksbühne.

Ein weißer Mann spielt in weißem Gewand Gitarre

Fabian Hinrichs sentimentale Erschöpfungslitanei klingt schrecklich selbstbezogen, mit Absicht Foto: Thomas Aurin

Die leere, weite Bühne. An der Rampe nichts als ein Klavier, auf dem Fabian Hinrichs ein paar Akkorde spielt, während der Chor um ihn größer wird. Die Männer und Frauen von den African Voices und den Bulgarian Voices Berlin stecken in sandfarbenen Outfits und erinnern fast an eine Soldaten-Armee, würden sie keine Plüsch-Ohrenschützer tragen. Den Auftakt macht thematisch jedoch nicht der Krieg, sondern die Pandemie.

„Wir waren weg“, konstatiert der Chor, während Hinrichs zu schweren Moll-Klängen widerspricht: „Nein, wir waren im Homeoffice.“ Jetzt sind die Masken dran. Hinrichs schreit seine imaginäre Geliebte an, während die Töne anschwellen: „Gib deine Maske her! Die ist vier Wochen alt! Ich will dein Lächeln sehen!“

Dann wird auch der Krieg zum Thema dieses Klagegesangs über eine Müdigkeitsgesellschaft, die der Klimawandel, die Pandemie und nun Putins Angriff fertigmachen. „Pandemie und Krieg und 1,5 Grad und 1,5 Meter und 2 Mal 1,5 Atomkoffer. Ich möchte nur noch besoffen sein.“

Hinrichs sentimentale Erschöpfungslitanei klingt schrecklich selbstbezogen, mit Absicht: Das sind wir – diese Menschen, die noch vor vier Wochen über Einsamkeit und Depression angesichts der Coronakrise geklagt haben und die jetzt im warmen Wohnzimmer an Kriegsbildern „leiden“ und die Welt nicht mehr zu fassen kriegen.

Besseres Leben auf einem anderen Planeten

Mit der gigantischen silberfarbenen Rakete, die das Jammern unterbricht und unter großem Getöse und Nebel vom Himmel fährt (Bühne: Kathrin Brack), schimmert Hoffnung auf: Auf einem anderen Planeten kann es ja nur besser sein. Der Chor steigt ein – doch bis Hinrichs mit dem Taxi, das ebenfalls auf die Bühne gerauscht kommt, zu Hause seine sieben Sachen gepackt hat, ist die Rakete ohne ihn abgezischt.

Was bleibt? Der Blick auf die jungen Leute. Aus dem Bühnen-Taxi steigt eine Jungs-Gang, vor der man nachts Reißaus nehmen würde. Aber statt dem schmalen Hinrichs eins drauf zu geben, starten die Tänzer von der Flying Steps Academy atemberaubende Breakdance-Nummern, die den Saal zu Szenen-Applaus mitreißen. So schnell wie sie gekommen sind, verschwinden die Jungs allerdings wieder. So richtig taugen auch sie nicht, um den Glauben an die Zukunft zu retten.

„Pandemie und Krieg und 1,5 Grad und 1,5 Meter und 2 Mal 1,5 Atomkoffer. Ich möchte nur noch besoffen sein“, singt Fabian Hinrichs.

Nach der unvermittelten Tanzeinlage krabbelt Hinrichs in eine große Walnussschalenhälfte, Hinrichs in a nutshell sozusagen, und weiter geht es mit dem Gejammer: existenzielle Einsamkeit, eine verlorene Liebe, 1,5 Grad Erderwärmung und 1,5 Meter Abstand – die Zahlen, die unser Leben prägen: „Ich meine, was soll eigentlich noch kommen? Es kann doch eigentlich nur noch ein Meteorit kommen. Oder Außerirdische. Es könnte doch höchstens noch Gott persönlich zu uns sprechen.“

In den besten Momenten sagen diese emotionalen, mit großer Verletzlichkeit gesprochenen Suaden bei dieser Pollesch-Hinrichs-Arbeit viel über unseren Gesellschaftszustand und Gefühlshaushalt aus. Für die Vereinsamung im Lockdown, unsere asymmetrischen Gesichter hinter der Maske finden die Theatermacher wunderschöne Sätze.

Nix mit Zeitenwende

Doch man merkt dem Abend an, dass er ursprünglich die Pandemie und den Klimawandel zum Grundthema hatte – die hineingewerkelten Aktualisierungen im Hinblick auf Putin, der zwischendurch im Foto eingeblendet wird, wollen sich nicht so recht ins Requiem der Privilegierten einfügen.

Lässt sich der Krieg so leicht einflechten in den allgemeinen Erschöpfungszustand? Schlicht ein Ding „on top“, wie Hinrichs sagt? Führt auch dieser Krieg nur zu kurzzeitigen Solidaritätswellen, die im Narzissmus der westlichen Welt bald abebben? Von der viel zitierten „Zeitenwende“ ist hier nichts zu spüren, gar nichts. Vielleicht kommt dieser Abend fünf Wochen zu spät.

Weitere Vorstellungen finden am 2., 14. und 25. April statt.

Wenn Hinrichs zum Schluss das große Ganze irgendwie in den Blick nimmt, wirkt das wie eine kleine Erlösung: „Was ich mir wünsche? […] Vielleicht das: dass es in 200 Jahren hier unten noch etwas gibt und nicht nur nichts. Uns beide gibt es dann nicht mehr, aber es ist ja nicht unbedingt und automatisch nichts, nur weil wir beide nicht mehr sind. Weißt du, eine Rakete, ein Krieg, der mir sagt, ich kann hier nicht mehr nur über uns beide sprechen.“

Trotz mancher Einwände: Mit „Geht es dir gut?“ hat die Volksbühne eine Inszenierung vorgelegt, die einen wirklich angeht. Das war bislang unter der Intendanz von René Pollesch mitnichten so.

Pollesch, Pollesch und nochmals Pollesch

Da gab es etwa den quasireligiösen Sektenguru­abend „Jessica – An Incarnation“ von Susanne Kennedy, die schon seit Polleschs Vor-Vorgänger Chris Dercon am Haus arbeitet. Kornél Mundruczós flache Horror-Groteske „MiniMe“. Das Debüt „Letzter Stand I: allos autos“ zweier junger Regisseurinnen, das ein verantwortungsbewusster Intendant zum Schutz der Künstlerinnen hätte verhindern müssen. Darüber hinaus: Pollesch, Pollesch und nochmals Pollesch.

Es kam in Berlin gar nicht gut an, dass der neue Intendant lieber seine eigenen Inszenierungen zeigt, statt neue Künst­le­r:in­nen zu präsentieren. Auch nicht, dass er parallel am Deutschen Theater in derselben Stadt inszeniert – als hätte er sonst nichts zu tun.

Die Kommunikation hat er darüber vernachlässigt. Es hätte nicht geschadet, hätte man darum gewusst, dass seine ersten Inszenierungen einer Trilogie entsprechen sollten, bei der sich alle Ensemblemitglieder vorstellen.

Wer kann das verstehen, wenn nicht mal bekannt ist, wer zum Ensemble gehört? Mit seinem Job als Intendant scheint Pollesch nach wie vor zu ringen. Als Autor und Regisseur hat er nun endlich einen Abend inszeniert, der den Besuch der Volksbühne lohnt.

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