Berliner Tafel über Essener Ausschluss: „Allein Bedürftigkeit entscheidet“
Sabine Werth, die Vorsitzende der Berliner Tafel, kritisiert den Aufnahmestopp für Migranten der Essener Tafel und appelliert an den Bundesverband.
taz: Frau Werth, in Essen werden aktuell nur Personen mit deutschem Pass neu registriert – wie schätzen Sie diese Situation ein?
Sabine Werth: Die Tafeln haben alle dem gleichen Grundsatz zu folgen und zwar, dass allein die Bedürftigkeit der Menschen darüber entscheidet, wer Unterstützung erhält und wer nicht. Ein Ausschluss nach einem anderen Kriterium ist undenkbar.
Sie üben also Kritik am Vorgehen des Essener Verbands?
Es ist nicht an mir, andere Tafeln zu kritisieren – aber in Berlin wäre das, was die Essener gerade veranstalten, undenkbar. Wir dürfen rechtspopulistischen Wortführern kein Kanonenfutter liefern. Gleichzeitig möchte ich eines klarstellen: Es ist das gute Recht jeder Tafel, die Notbremse zu ziehen. Die Tafeln sind rein ehrenamtlich organisiert. Das heißt, wir verfügen nur über ein begrenztes Personal und über begrenzte Mengen an Lebensmittel, die wir verteilen können. Wenn der Andrang zu groß ist, können einer Tafel also die nötigen Ressourcen ausgehen und sie muss einen Aufnahmestopp verhängen. Dieser kann aber nur für alle oder für niemanden gelten.
Auch wenn Sie selbst keine direkte Kritik an die Essener Tafeln richten wollen – wünschen Sie sich in dieser Sache eine Ansage vom Ihrem Dachverband?
Der Dachverband ist der Hüter des Tafelnamens und hier wird einer seiner Grundsätze ignoriert und missbraucht. Ich wünsche mir vom Bundesverband, dass er öffentlich klarstellt, was unsere Grundsätze sind – und dass ein Verstoß gegen diese auch Folgen nach sich ziehen kann. Die letzte Konsequenz wäre die Aberkennung des Tafelnamens.
Sabine Werth, 60, ist studierte Sozialarbeiterin sowie Mitbegründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel.
Wie könnte ihrer Meinung nach die Lage der Tafeln allgemein verbessert werden? Aufnahmestopps, egal für wen, sind ja sicherlich nicht in Ihrem Sinne.
Meine Forderungen richten sich an die Politik. Die ist dafür verantwortlich, allen Menschen in dieser Gesellschaft ein auskömmliches Leben zu ermöglichen. Das heißt, dass vor allem für höhere Löhne und höhere Renten gesorgt werden muss. Im besten Fall wäre eine Organisation wie die Tafeln gar nicht nötig. Aber wir können nicht auf die Politik warten, sondern müssen handeln.
Davon abgesehen, dass die Tafeln gerade mit großem Andrang fertig werden müssen – mit welchen Herausforderungen haben Sie aktuell zu kämpfen?
Die Supermärkte werden ständig besser darin, die vorgehaltenen Warenbestände zu minimieren und rechtzeitig zu verkaufen – dadurch fällt auch weniger für uns ab. Die Krux sind allerdings die Privathaushalte. Sie werfen zu viel weg. Es muss aus den Köpfen raus, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum gleichbedeutend mit dem Verfallsdatum ist. Da benötigen wir Kampagnen, um die Leute aufzuklären und zu einem Umdenken zu bewegen. Auch wenn zum Beispiel die Foodsaver schon einiges erreicht haben, müssen wir da noch viel mehr machen.
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