Berliner Szene: Feste Waden

Das Leben, der Tod. Unterwegs in Berlin zwischen Reha, Friedhof und Wohnkomplex in BND-Nähe.

Eine Drohne steigt auf. Bild: dpa

Wie geht eigentlich Trauer? Was muss man da leisten? Nichts, die Trauer arbeitet von allein. Es ist einfach Zeit, die vergeht. Schmerzhaft, ja. Ich stehe zu Hause vor dem Spiegel und mustere meine Bekleidung. Als ob ich zu einer Beerdigung ginge. Aber nein, da geht sie ja alleine hin. „Schwarz kleidet dich“, sagt sie.

Am Mittag, als ich schwarz bekleidet im tazcafé sitze und auf mein Essen warte, ruft die Prinzessin an. Sie hatte sich im Dezember vor einen U-Bahn-Zug geworfen. Sie ist Vollwaise und hat einen Freund, der beide Hände amputiert hat. Jetzt macht sie Reha bis Juni. Am Telefon kichert sie schon wieder. Auf Facebook postet sie in letzter Zeit verstärkt Bildchen von Tieren, süßen und herben, kleinen und großen, und in Bilder gerahmte Sprüche, die auf ihre neue Tierliebe hinweisen oder sagen, warum Tiere die besseren Menschen sind. Sie schreibt auch wieder Gedichte, aber ich durchschaue das.

Das Leben ist absurd, sagt sie am Telefon. Und der Tod immer nur eine U-Bahn entfernt, ergänze ich im Stillen. Ich hoffe, sie ist in guten Händen. Ich hoffe, sie bekommt professionelle Hilfe.

Nach Dienstschluss mache ich mich zu einer weiteren seltsamen Verabredung auf. Zu einer Wohnung, die sich in einem seelenlosen Reichenviertel in Mitte befindet, nicht unweit des BND. Ein kalter, brüchiger Park, dahinter menschenleer wirkende Bürogebäude. Die Wohnung hat das Flair einer Zahnarztpraxis, steril, aufgeräumt, mit einem künstlichen Geruch. Und überall hängen Sonnen. Aus Stein, aus Marmor und gemalt.

Zwei Hände empfangen mich, eine schwarz gekleidete Frau gähnt mir ins Gesicht. Später steht sie über mir, während ich ihr von unten die Waden streichele. Es sind feste, schöne Waden. Aber neben mir kleben weiße Hundehaare auf dem Teppich. „Ich bin die, die Sie suchen“, sagt sie über mir. Ich bin mir da plötzlich nicht mehr so sicher.

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