Berliner Szenen: Grab des Winters

Mit Madonna in der U8, der Polizei am Alexanderplatz und Vater am Telefon.

Keine Ahnung, was diese Menschen so umtreibt. Bild: reuters

In der U  8 singt mir Madonna übers Telefon ins Ohr. „Tell the bed not to lay / Like the open mouth of a grave.“ Ein altes Stück, das mein jüngster Ohrwurm ist. Der Vergleich, denke ich, während der Passagier neben mir eine Zeitung mit kyrillischen Buchstaben auseinderfaltet, ist ja durchaus naheliegend: ein Bett, das sich öffnet wie der Mund eines Grabs. Es ist nur etwas umständlich formuliert und wirft Fragen auf: Wie kann man einem Bett etwas erzählen? Aber gut, das ist Pop-Poesie, und im Amerikanischen ist das alles eh etwas anders.

Ich steige am Alexanderplatz aus. In der U-Bahn-Station wimmelt es vor Polizei und Schaulustigen. Eine Festnahme, die merkwürdigerweise allgemeine Erheiterung auslöst. Überall lächelnde, grinsende Gesichter. Ich bin zu verwirrt, um das alles zu verstehen, ich bin ja eigentlich auch zu einem Sex-Date unterwegs. Und denke über Liebe und Tod nach. Wie lange ich die Liebe zum Beispiel nicht mehr so recht empfunden habe; ob es sie überhaupt noch gibt, noch geben wird oder ob die Chance zwischen 25 und 31 lag und ich sie verpasst habe usw. Dann aber stellt sich heraus – ich sehe Regieassistenten mit Klemmmappe und einen jungen, gelangweilten Aufnahmeleiter –, dass Dreharbeiten im Gange sind. Die Verhaftung ist nur gestellt.

Erleichtert gehe ich durch den Geruchsschlauch, der als Einkaufsmeile zwischen dem Bahnsteig der U 8 und dem der U 2 liegt und eine Garküche nach der anderen bietet. Madonna hört auf zu singen, weil mein Vater anruft und erzählt, dass sein Ex-Schwager ihm verboten hat, seine Ex-Schwiegermutter anzurufen, weil sie zu zerstreut sei und die beiden andauernd miteinander verwechselt. Sie heißen beide Peter.

Etwas später stehe ich auf dem Rasen des Falkplatzes. Der Winter ist überstanden. Das Gras riecht irgendwie nach frischen Gräbern.

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