Berliner Senat verkündet Klimanotlage: „Viele neue Aufgaben für R2G“

Rot-Rot-Grün will die Klimanotlage verkünden. Alle Maßnahmen müssen dann auf die Folgen fürs Klima gecheckt werden, erklärt Georg Kössler (Grüne).

Menschen auf einer Demonstration

Wird schon länger gefordert: Ausrufung des Klimanotstands Foto: dpa

taz: Herr Kössler, am Dienstag wird der Senat voraussichtlich die sogenannte Klimanotlage für Berlin verkünden. Ein Erfolg für die Grünen?

Georg Kössler: Wenn es so kommt, ist das ein Erfolg der Koalition. Aber es ist auch ganz klar ein Erfolg der Bewegung. Das kam ja in verschiedenen Städten der USA und Großbritanniens auf und ist schließlich nach Deutschland herübergeschwappt. In dieser Deutlichkeit hätten wir das sonst nicht.

Nochmal kurz zum Begriff: Von „Notstand“ wird nicht mehr die Rede sein?

Das EU-Parlament hat am vergangenen Donnerstag eine „Climate Emergency“ ausgerufen. In der deutschsprachigen Version des Beschlusses ist von „Klimanotstand“ die Rede, allerdings verbunden mit der Erläuterung, dass das nicht im Sinne von „Notstandsgesetzen“ gemeint ist, dass also stets „im Rahmen eines demokratischen Prozesses“ entschieden wird. Dadurch, dass wir von einer „Klimanotlage“ sprechen, ersparen wir uns hoffentlich diese ganze Debatte.

Berlin wäre das erste Bundesland, das die Notlage feststellt?

Der Senat wird sich in seiner Sitzung am Dienstag mit dem Antrag von Klimaschutzsenatorin Regine Günther (Grüne) beschäftigen, eine Klimanotlage zu konstatieren. Ich schlage vor, dass wir ein Zeichen setzen – indem das Land Berlin anerkennt, dass der Klimawandel in einer dramatisch beschleunigten Geschwindigkeit voranschreitet“, begründete Günther am Montag den Vorstoß. Angesichts stark steigender Temperaturen – in den letzten 5 Jahren gab es in Deutschland einen Temperaturanstieg von 0,3 Grad – sei es „dringend notwendig, die Ziele anzupassen und das Pariser Klimaschutzabkommen als Handlungsgrundlage anzuerkennen“.

Laut Senatorin Günther bedeutet das, dass die Stadt bereits vor 2050 klimaneutral werden muss und dass die Emissionen um mindestens 95 Prozent sinken müssten. Entsprechend müsse das Energiewendegesetz überarbeitet werden. Die Senatorin betonte zudem, dass zur Erreichung dieser Ziele „die öffentliche Verwaltung stärker in eine Vorbildfunktion hineinwachsen“ müsse. (taz)

Genau. Einzelne Kommunen haben das bereits getan, aber Bundesländer haben ja noch ein paar Kompetenzen mehr und tragen mehr Verantwortung. Da hoffen wir auch auf Nachahmer.

Die Beschlussvorlage der Umweltverwaltung an den Senat ist teilweise schon an die Öffentlichkeit gedrungen. Was sind aus Ihrer Sicht die Kernpunkte darin?

Meines Erachtens zwei: Einmal soll Berlin sein Energiewendegesetz (EWG) endlich an die Klimaziele von Paris anpassen und die Vorbildwirkung der öffentlichen Verwaltung ernst nehmen. Das zweite ist der Auftrag an unsere Klimasenatorin, einen Klimavorbehalt zu erarbeiten. Das wäre wirklich Neuland, und ich bin sehr gespannt, wie dieser Auftrag umgesetzt wird.

Wie sollte so ein Vorbehalt aussehen: Sollen Gesetze oder Senatsbeschlüsse gekippt werden können, wenn sie im Sinne des Klimaschutzes nicht zu verantworten sind?

Der erste Schritt ist es, Transparenz zu schaffen. Jede Senatsverwaltung, die ein Vorhaben plant, sollte das mit einem öffentlich einsehbaren Klima-Check – einer Klimafolgen-Abschätzung – verbinden. Darüber sind wir uns in der Koalition grundsätzlich einig. In Bremen plant die rot-grün-rote Koalition das übrigens ganz easy digital mit einer App, in der eine Verwaltung anhand standardisierter Fragen relativ leicht abschätzen kann, welche Klimawirkung etwa eine Baumaßnahme oder ein Gesetz haben. Das ist keine exakte Berechnung, aber man hat schon mal eine grobe Einschätzung.

Wie geht es dann weiter?

Wenn eine Maßnahme besonders CO2-intensive Auswirkungen hat, muss eine Studie in Auftrag gegeben werden, die prüft, wie viel CO2 genau freigesetzt wird. Beim Weiterbau einer Autobahn müsste man sich das ziemlich sicher noch einmal genauer anschauen, für einen neuen Radwegschnellweg bräuchte es wohl eher keine Studie.

Was wäre der zweite Schritt?

Georg Kössler, 34, ist seit 2016 Abgeordneter der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Er ist Sprecher für Klima- und Umweltschutz, Eine-Welt-Politik und Clubkultur.

Als zweiter Punkt wäre zu klären, ob und wer ein Veto einlegen kann, um das Vorhaben zu stoppen oder zumindest zu verzögern. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen hat ein suspensives Veto vorgeschlagen. Das würde bedeuten, dass eine Vorlage für drei Monate angehalten wird, um Alternativen zu erarbeiten. Das kann schon sehr viel helfen.

Das wäre dann der Job der Umweltverwaltung?

Ja, das würde ich vorschlagen. Dafür müsste aber ihr Klimareferat entsprechend aufgestockt werden. Es wäre auch eine Möglichkeit, den Berliner Klimaschutzrat zu professionalisieren und mit Mitteln auszustatten. Aktuell arbeitet der ehrenamtlich und sehr fleißig, aber eher im Verborgenen. Der könnte sich dann bestimmte Senatsvorhaben auf den Tisch ziehen und sagen: Stopp, das müssen wir prüfen und Alternativen erarbeiten.

Beim Autobahnbau ist die Sache einigermaßen klar, aber wie sieht es beispielsweise mit der Errichtung von Wohngebäuden aus? Das hat ja auch erhebliche klimatische Auswirkungen. Bremst so ein Instrument nicht den Wohnungsbau aus?

Nein. Aber mit einem Klimavorbehalt würde endlich genau geprüft: Ist die Versiegelung nötig? Sind alternative Verkehrskonzepte möglich? Wir würden dann endlich Passivhäuser bauen, mit dezentraler Regenwasserbewirtschaftung, mit einer guten ÖPNV-Anbindung und innovativen Verkehrskonzepten. All das, wofür wir jetzt umständlich einzeln kämpfen müssen und wo angebliche Wirtschaftlichkeitsberechnungen den Klimaschutz ausbremsen, würde im Idealfall die zuständige Verwaltung von vornherein richtig planen. So lange, bis sie sagen kann: Wir haben nach Kräften versucht, den CO2-Fußabdruck zu minimieren.

blick auf ein neu gebautes mehrfamilienhaus

Ist das auch klimaneutral? Künftig müssen auch Neubauvorhaben darauf kontrolliert werden Foto: dpa

Wo ist da die Grenze? Je mehr Geld man ausgibt, desto mehr Klimaschutz kann man ja gewährleisten.

Wer Klimaschutz will, muss auch die Rechnung dafür zahlen. Sonst zahlen sie die zukünftigen Generationen. In manchen Aspekten wird es erst mal kostenintensiver, aber langfristig rechnet es sich – das wissen alle in der Koalition. Es wird Lebenszyklus-Analysen geben, und da sind dann beispielsweise Passivhäuser kurzfristig teurer, machen langfristig aber mehr Sinn.

Sollten bestimmte Bereiche oder Vorhaben unterhalb einer bestimmten Größenordnung ausgenommen werden?

Ja. Ganz sicher stünden der Energie-, der Verkehrs- und der Baubereich im Fokus eines Vorbehalts. Entscheidungen des Senats, die den persönlichen Konsum der Leute betreffen oder die Landwirtschaft, von der wir ohnehin nicht viel in Berlin haben, könnte man erst mal ausnehmen. Auch Schwellenwerte lassen sich definieren. Man könnte vereinbaren, dass Maßnahmen grundsätzlich nur einem unbürokratischen Check unterzogen werden, außer sie haben zum Beispiel ein Volumen von über einer Million Euro. Die könnten von vornherein mit einem Gutachten begleitet werden. Darüber müssen wir jetzt reden.

Sie sagten es schon: Auch eine Novellierung des Berliner Energiewendegesetzes ist Bestandteil des Beschlusses. Wird eine solche Verschärfung das Parlament ohne Weiteres passieren oder gibt es Widerstände in den Partnerfraktionen?

Wir haben gerade auf Fachebene eine gute Stimmung in der Koalition. Wir alle wollen etwas bewegen. Jeder setzt andere Schwerpunkte, manche sind noch etwas vorsichtiger, aber das gehört dazu. Ganz wichtig ist uns allen, die Vorbildwirkung der öffentlichen Hand anzuspitzen. Die steht jetzt schon im Gesetz, aber es hält sich kaum einer dran.

Wie sähe so ein „Anspitzen“ aus?

Beispielsweise brauchen wir mehr Energie- und Klimaschutzmanager in den Bezirken. Das wird Geld kosten, aber es fehlt vor Ort das Personal, um Klimaschutz- und Energieeffizienzmaßnahmen, etwa die Sanierung öffentlicher Gebäude, umzusetzen. Das ist derzeit der „Bottleneck“ der Berliner Energiewende.

Das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK 2030) ist der Maßnahmenkatalog zum Erreichen der Klimaziele. Was muss daran verbessert werden?

Beim aktuellen BEK liegt die Herausforderung in der Umsetzung, im Zusammenspiel der Senatsverwaltungen und im geregelten Abfluss der Mittel, die wir als Parlament bereitgestellt haben. Die ganzen Fördergelder liegen herum, weil die Förderrichtlinien zu kompliziert oder noch gar nicht erstellt sind. Diese Hausaufgaben muss die grüne Umweltverwaltung machen, und die macht sie auch gerade.

Wie könnte eine Weiterentwicklung aussehen?

Da müssen wir uns unbedingt trauen, auch ordnungspolitische Maßnahmen zu benennen. Das letzte BEK wurde noch von Rot-Schwarz gemacht, unter der Maßgabe: Kann was kosten, soll aber nicht wehtun. Das ist eine Lebenslüge. Klimaschutz bedeutet krasse Veränderungen, aber es ist an uns, die Lasten gerecht zu verteilen. Wir müssen über ganz konkrete Maßnahmen reden und schauen, wer davon wie stark belastet wird. Das geht im Kleinen los mit Ideen wie einer Abgabe auf Einwegbecher und reicht bis hin zu einer Zero-Emission-Zone in der Innenstadt, also dem Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030. Die Anerkennung der Klimanotlage bedeutet viele neue Hausaufgaben für unsere Koalition.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.