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Berliner Produktdesigner über China„Ich fühle den Druck noch immer“

Auch wegen Chinas Null-Covid-Strategie hat sich Designer Weng Xinyu von seiner Heimat entfremdet. Mit seiner Arbeit möchte er Haltung zeigen.

Macht sich Sorgen um die Lage in China: Desinger Weng Xinyu im Hinterhof seines Berliner Studios Foto: Lia Darjes

Das Studio YUUE liegt in einer belebten Straße in Berlin-Prenzlauer Berg. Der 35-jährige Designer Weng Xinyu arbeitet hier gemeinsam mit seiner Freundin, der Künstlerin Tao Haiyue. Zwei große Schreibtische stehen im vorderen Raum, vor dem ab und zu Kinder stehen bleiben und durch die bodentiefen Fenster gucken. Weng bittet die Spracherkennungssoftware Siri, die Musik auszumachen und das Licht wärmer zu stellen. Vor einer Küchenzeile stehen zwei Schalen auf dem Boden. Tofu, die Katze, ist nirgends zu finden.

taz: Weng ­Xinyu, warum ist ein Stuhl mehr als eine Sitzgelegenheit?

Weng Xinyu: Im Bereich Möbel- und Produktdesign sind Stühle schon ziemlich wichtig. Ein Stuhl hat so viel Bedeutung, das ist wie kleine Architektur in deinem Zuhause. Du siehst ihn jeden Tag. Jeder muss einen Stuhl haben. Er hat Arme und Beine, beinahe wie ein Mensch.

Aber ganz grundlegend muss ein Stuhl doch bloß praktisch sein. Und vielleicht gefallen.

Was für einen Stuhl du benutzt, ist ein Statement. Ich persönlich bin besonders Fan von Mid-Century-Designklassikern der 20er Jahre. Ich mag Stahlrohre und geometrische Formen, ganz minimalistisch und schlicht. Das ist Ästhetik – aber natürlich hat jeder Gegenstand auch eine Geschichte. Das ist für mich wichtig.

Für Ihr Projekt „Homesick“ haben Sie eine traditionelle chinesische Bodenvase und einen Stuhl aus der Ming-Zeit in Material eingewickelt, das wie die weiß-blauen Schutzanzüge aussieht, die wir seit der Pandemie ständig sehen. Welche Geschichte wollen Sie damit erzählen?

Bei „Homesick“ ist der Stuhl ein Symbol. Und dieses Modell aus der Zeit der Ming-Dynastie ist ein ganz wichtiges kulturelles Symbol in China, ein tolles Objekt. Er hat sich vom 15. bis 17. Jahrhundert dort verbreitet, und bis heute versuchen viele Designer immer wieder, den Ming-Stuhl zu modernisieren.

Warum haben Sie ihn in einen Schutzanzug gesteckt?

Die Zero-Covid-Strategie hat in China zu einer absurden Umkehrung geführt. Vor Omikron schien das noch zu funktionieren, obwohl ich den offiziellen Zahlen nicht wirklich glaube. Aber irgendwann wirkte es nur noch so, als sei nicht mehr das Virus, sondern der Mensch die Gefahr. Das hat zuletzt der harte Lockdown in Shanghai gezeigt. Es war, als würde die chinesische Regierung die Menschen bekämpfen und nicht die Pandemie.

Sie haben den Stuhl und die Vase auch vor die Chinesische Botschaft in Berlin gestellt.

Für mich hat das Sinn ergeben. Ich will mit der Arbeit nicht kritisieren, dass man sich und andere vor dem Virus schützt. Das ist wichtig und richtig. Bei „Homesick“ wird der Schutzanzug aber zum Symbol: Er sollte etwas beschützen, in diesem Fall eine Essenz der chinesischen Kultur. Etwas, das eigentlich gut ist, wertvoll. Aber die Kommunistische Partei macht das Gegenteil. Im Namen von Schutz passiert im Grunde Verletzung. Alles ist versiegelt, du darfst nicht rein, nicht raus, nicht durchatmen. Das ist absurd.

Heißt die Arbeit „Homesick“, weil Sie Heimweh haben?

Mir hat das Wort so gefallen, weil es zwei Bedeutungsebenen hat. Mein erstes Gefühl war wirklich, dass ich meine Eltern vermisse. Ich konnte während der ganzen Pandemie nicht nach China einreisen, zuletzt war ich im Sommer 2019 dort. Zeitweise hätte ich theoretisch fliegen können, es gab Ausnahmen für Familienbesuche. Aber die Flugtickets haben zehn-, fünfzehnmal so viel gekostet wie normalerweise. Und zwei Wochen Quarantäne im Hotel waren verpflichtend, das macht alles extrem umständlich und vor allem teuer.

Und die andere Ebene?

Homesick kann eben auch bedeuten: Zuhause ist krank. Das wollte ich betonen. China ist vom Virus befallen wie alle anderen Länder auf der Welt auch, wir sind alle betroffen. Aber China ist auch krank durch die verfehlte Politik. Besonders während des Lockdowns in Shanghai wurde klar, dass der Zero-Covid-Ansatz dort nicht der Wissenschaft folgt, sondern eine politische Kampagne ist, um Xi Jinpings Fraktion zu stärken.

Leiden Sie unter dieser Entwicklung?

Es war die letzten Jahre nicht einfach. Eigentlich habe ich drei Pandemien erlebt. Zuerst den Ausbruch in China und die große Tragödie in Wuhan, als Corona für viele Menschen hier in Deutschland noch sehr weit weg war. Dann kam Covid ganz physisch auch hierher, wir sind zu Hause geblieben, haben uns isoliert und so weiter. Und das dritte Mal, das sind für mich die Geschichten aus Shanghai …

Dort waren Menschen monatelang in ihren Wohnungen eingesperrt, teils ohne genug Lebensmittel. Manche brauchten medizinische Versorgung, aber ihnen wurde der Zugang zu Krankenhäusern verwehrt. Leute wurden wegen Verdachts auf eine Corona-Infektion mitten in der Nacht aus ihren Wohnungen abgeführt. Und viele berichteten über schlimme Zustände in den Quarantänezentren.

Ja, das habe ich auch von Anfang an verfolgt. Auf diese Weise habe ich die ganze Zeit mitgefühlt.

Klingt, als hätten Sie viel im Internet gelebt?

Absolut. Natürlich habe ich hier auch viele Meldungen über Shanghai gesehen. Aber viele wissen nur wenig davon, was dort passiert. Das ist schade, es betrifft ja so viele Menschen.

Was glauben Sie, woran liegt das?

Gerade kümmert man sich mehr um den Krieg in der Ukraine. Das ist verständlich, es ist ja auch viel näher und dringender. Russland exportiert Gewalt, China exportiert die Gewalt noch nicht in diesem Maß. Sie wird bisher vor allem nach innen gegen die eigene Bevölkerung ausgeübt. Für Europa ist das zumindest jetzt noch keine so direkte Bedrohung.

Als das Virus Anfang 2020 in Wuhan ausbrach, war die Lage in Deutschland noch ruhig. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich war da schon wirklich sehr besorgt über die Lage in China. Ich hatte Angst um die Menschen dort – und vor dem Virus. Ich bin hier zur Apotheke gegangen, um mir eine Maske zu besorgen. Aber die Dame dort sagte mir damals: Das Virus ist nur in China, das kommt nicht hierher. Und als ich dann anfing, auf der Straße eine Maske zu tragen, wurde ich merkwürdig angeguckt, teils böse – das war mir sehr unangenehm. Da dachte ich dann, ich nehme sie besser noch mal ab. Ich wollte nicht auffallen.

Sie sagten, dass Sie seit dem Ausbruch der Pandemie in Wuhan die ganze Zeit mitfühlen. Was sind das für Gefühle?

Am Anfang war ich wütend. Wie man mit Dr. Li Wenliang umgegangen ist, das war schrecklich.

Li Wenliang, der Arzt aus Wuhan, der schon Ende Dezember 2019 vor den Gefahren des Coronavirus warnte und am 6. Februar 2020 an den Folgen einer Infektion verstarb. Die chinesischen Sicherheitsbehörden beschuldigten ihn zunächst, Lügen zu verbreiten und die öffentliche Ordnung zu stören …

Genau. Damals sollte es eine spontane Gedenkveranstaltung für ihn am Brandenburger Tor geben. Ich bin mit Freunden hingegangen. Wir haben noch andere Leute eingeladen, aber viele sagten ab. Die Chinesische Botschaft in Frankreich hat auf ihrer Website solche Veranstaltungen in Europa kritisiert. Auf dem chinesischen Mikroblogging-Dienst Weibo schrieb auch jemand, dass das Treffen angeblich von einer anti­chinesischen Gruppe organisiert würde. Irgendwer nannte uns Hongkonger Separatisten. Es tauchten auch Leute bei der Veranstaltung auf, sie standen 20 Meter entfernt und machten Fotos von uns. Kurz darauf behauptete jemand in einer WeChat-Gruppe, wir hätten Kantonesisch gesprochen.

Hatten Sie keine Angst?

Doch, das war schon sehr beängstigend. Wir haben Masken und Sonnenbrillen getragen und waren dick angezogen, um möglichst nicht erkannt zu werden. Immerhin sind wir am Ende 10 bis 20 Leute gewesen. Wir kannten einander nicht, aber haben gemeinsam Kerzen angezündet. Das war schön. Ich hatte sehr viele Gedanken und Gefühle dazu, die ich ausdrücken wollte, Meinungen, Kritik. Ich habe mich mit Freunden ausgetauscht, mal Druck abgelassen. Aber als Designer habe ich immer das Interesse, auch mit Design meine Haltung zu zeigen. Schon vor „Homesick“ habe ich Projekte gemacht, bei denen es nicht nur um Schönheit, Form und Funktion ging, sondern um eine Stellungnahme zu sozialen Problemen.

Wollte für Vase und Stuhl nicht den echten Stoff benutzen – woanders sei der wichtiger, so Weng Foto: Lia Darjes

Sie arbeiten nicht im Vakuum.

Ja. Und ich finde es mittlerweile einfach uninteressant, wenn ich einfach nur einen schönen neuen Stuhl entwerfe. Es gibt schon tausende Stühle auf dem Markt, und auf den Messen siehst du dann überall fast die gleichen Formen. Ich persönlich bin aber mit dem Ideal in die Designwelt eingestiegen, die Welt etwas besser zu machen. Und wenn ich nur einen neuen Stuhl entwerfe, um Kohle zu verdienen, ohne die Konsequenzen zu bedenken, dann finde ich das uncool.

Man könnte auch argumentieren, dass die Hinwendung zum Schönen bereits widerständig ist.

Natürlich ist eine schöne Form cool in sich. Aber in meiner Branche ist es so: Wenn ein Möbelstück produziert wird, wissen wir, wo das Material herkommt und ob die Produktion viel Verschwendung verursacht. Besonders seit der Pandemie muss ich daran denken, wie viel Müll anfällt. Masken, Schnelltests, so viel wird weggeschmissen. Vielleicht kann ich als Produktdesigner aber Teile dieser Materialien recyclen oder upcyclen, etwas Schönes daraus machen oder mindestens eine Diskussion anregen. So was nicht auszublenden ist mir wichtig. Ich möchte vermitteln, dass Design eben auch eine kommentierende Funktion hat. Design als attitude, als Haltung.

Der ganze Müll infolge der Pandemie ist wirklich ein Problem. Haben Sie dazu denn Ansätze gesehen, die Sie inspiriert haben?

Es wurden Masken in Harz gegossen und Möbel daraus gemacht, zum Beispiel. Manche haben auch den Stoff der Masken recycelt, um daraus Baumaterialien herzustellen. Ich habe überlegt, ob man mit dem Kunststoff der Schnelltests was anfangen kann. Aber dann habe ich den Lockdown in Shanghai beobachtet und wusste, dass ich mich jetzt damit auseinandersetzen muss.

Sind das originale Schutzanzüge, in die Sie den Stuhl und die Vase eingewickelt haben?

Ich wollte das gleiche Material besorgen, aber das war sehr schwierig, weil es stark nachgefragt ist. Ich habe letztendlich mit ähnlichen Stoffen gearbeitet, weil ich keine Umstände machen wollte. Es gibt ja Menschen, die diese Schutzanzüge gerade wirklich brauchen – da kaufe ich die nicht weg, um etwas Unwichtiges zu machen.

Sie finden Ihre Arbeit unwichtig?

Vergleichsweise ja. Natürlich ist es wichtiger, anderen zu helfen und dabei vor dem Virus geschützt zu sein. Bei mir geht es nur um ein Objekt, um eine Geste. Das ist auch wichtig, aber das kann ich mit anderen Materialien genauso erreichen. Es geht um die Botschaft.

Während des Lockdowns in Shanghai wurde ungewöhnlich viel Kritik an der Regierung laut – Proteste auf offener Straße, aber auch viele kritische Posts in den sozialen Medien. Wie haben Sie das von hier aus erlebt?

Ich glaube, dass die Menschen in Shanghai, die direkt von den harten Maßnahmen betroffen waren und es teils noch sind, wirklich skeptisch bis wütend wurden und angefangen haben, die Politik zu hinterfragen. Viele haben da erkannt, dass das System womöglich nicht ewig hält, besonders die Jüngeren. Aber ich glaube auch, dass ein großer Teil der Menschen außerhalb der Stadt weiterhin froh über die Maßnahmen ist. Sie finden es auch gut, dass der Staat so hart durchgreift – weil sie hoffen, dass das Virus durch strenge Gesetze unter Kontrolle gehalten wird. Das hat ja auch eine Weile funktioniert. Aber bei Omikron geht das nicht mehr auf, weil es sich einfach zu schnell verbreitet.

Zero Covid schien mal eine echte Option zu sein, die auch von vielen Menschen hier diskutiert und teils favorisiert wurde.

Ja, soweit ich weiß. Aber ich denke, es gab auch damals schon sehr viele Tote in China – nicht unbedingt direkt vom Virus, sondern weil Menschen zum Beispiel nicht ins Krankenhaus gelassen wurden. Auch in Wuhan waren viele eingesperrt und konnten sich nicht versorgen. Wer weiß, was da passiert ist? Was war mit den Älteren, die alleine wohnen?

Wie ging es Ihrer Familie während der Pandemie?

Meine Eltern haben immer gesagt, dass alles okay ist. Dass ich mir keine Sorgen machen soll.

Das sagen Eltern ja oft. Chinesische Eltern vielleicht besonders oft.

Stimmt, aber ich glaube ihnen das schon. Sie nutzen kaum Social Media, deswegen haben sie besonders am Anfang nicht viel vom Virus mitbekommen. Ich habe sie dauernd gewarnt, dass sie nicht verreisen sollen. Ich wollte, dass sie zu Hause bleiben und erst mal abwarten. Damals habe ich sehr viel über die Tragödie in Wuhan gelesen, habe Videos gesehen, in denen sich Menschen aus Fenstern stürzten. Das war so traurig. Aber meine Eltern wussten das alles nicht, weil diese Bilder im Staatsfernsehen nicht gezeigt wurden.

Sie sind vor zwölf Jahren nach Deutschland gekommen, seit diesem Jahr haben Sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Die chinesische mussten Sie ab­geben, weil China keine doppelte Staatsbürgerschaft zulässt. Warum haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?

Ich habe meinen Einbürgerungsantrag schon 2019 eingereicht, nachdem ich die Demonstrationen in Hongkong beobachtet habe und danach den Corona-Ausbruch in Wuhan. Da habe ich beschlossen, dass ich mit dieser Regierung nichts mehr zu tun haben will. Der Pass in meinen Händen hat mich wirklich beschämt. Ich habe mich geschämt, Bürger dieser Regierung zu sein, und ich wollte mich frei ausdrücken können. Als chinesischer Bürger konnte ich das nicht.

Und jetzt?

Ich fühle den Druck hier noch immer. Und auch die deutsche Staatsbürgerschaft bringt nicht sofort Sicherheit, ich kann trotzdem nicht alles ohne Sorge sagen, auch weil meine Familie in China ist. Aber ich will einfach nicht mehr an der Seite dieser Regierung stehen.

Haben Sie trotzdem Sehnsucht?

Auf jeden Fall. Einfach Zeit mit meinen Großeltern verbringen, das fehlt mir zum Beispiel, oder Freunde treffen, mit denen ich zur Grundschule gegangen bin. Und auch die Landschaft. Und das Essen.

Welches Essen?

Ich komme aus der Küsten­region, ich liebe Meeresfrüchte. Aber langsam habe ich mich auch an das Essen hier gewöhnt. Würde ich Deutschland verlassen, dann würde mir wahrscheinlich Spargel fehlen und Brot.

In den letzten zwei Jahren sind viele Pläne geplatzt. Was wollen Sie unbedingt machen, sobald es möglich ist?

Ich fürchte, eine unkomplizierte Einreise nach China wird vielleicht erst wieder in drei, vier Jahren möglich sein, wenn es Omikron nicht mehr gibt – zumindest hoffe ich das. Aber ab davon will ich auch mit meinen Eltern reisen. Ich will ihnen Europa zeigen. Es ist so schön hier, und sie haben das alles noch nie gesehen. Als ich noch in Beijing studiert habe, haben sie mich dort nie besucht – sie wollten in ihrer kleinen Stadt bleiben, sie fühlen sich ziemlich wohl dort. Und sie haben wie viele ältere Chinesen keine Reisepässe, darum muss ich mich noch kümmern. Aber ich will ihnen unbedingt mein Leben hier zeigen und wie die Welt aussieht. Ich will einen Bus mieten und mit ihnen, meiner Freundin und ihren Eltern diese Reise machen. Das ist ein Lebenstraum für mich. Aber bis dahin sind noch viele Dinge zu klären.

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