Berliner Orchester mit eigenem Festival: Bereit zum Schwärmen

Bei seinen Kosmostagen geht es dem gleichermaßen an Jazz wie Neuer Musik interessierten Andromeda Mega Express Orchestra um die Schwarmästhetik.

Die MusikerInnen des Andromeda Mega Express Orchestra als Ring

Ästhetisch geordneter Schwarm: Andromeda Mega Express Orchestra Foto: Christoph Soeder

Es geht ja letztlich immer darum, einen Weg zu finden. Man mag sich das mal im Kreise einer Pfadfindergruppe vorstellen: Um einen Weg zu finden, soll man da auf einen Anführer vertrauen, der das Ziel schon kennen wird? Oder soll die Gruppe einfach mal ausschwärmen? Und wem schließt man sich im Zweifelsfall an, um nicht ganz vom Weg abzukommen oder zurückgelassen zu werden, allein?

Und das jetzt alles als Musik.

Denn die Frage, wie Wege gefunden werden können, ist das besondere Anliegen der diesjährigen Kosmostage vom Andromeda Mega Express Orchestra, das sein Festival diesmal im Zeichen der Schwarmästhetik sieht. Wobei so ein großformatiger Klangkörper wie das 2006 gegründete Andromeda Mega Express Orchestra schon prinzipiell mit einem Schwarm verglichen werden kann aufgrund der Vielzahl an Stimmen. Noch nicht ausgemacht aber ist, ob dieser Schwarm nun brav geordnet einer Leitbiene hinterherschwärmt. Oder eben andere Dynamiken ausprobiert werden.

Im Jazz, in dem es doch auch um Freiheiten geht, weiß man um das Dialektische in dieser Sache. Dass zum Beispiel Gruppen, die sehr dem freien Spiel verpflichtet waren, einigermaßen straff geleitet wurden. Manche würden das sogar diktatorisch nennen, wie etwa Sun Ra sein Arkestra oder Miles Davis seine Ensembles führte.

Die Kosmostage mit dem Andromeda Mega Express Orchestra finden vom 27. bis 29. April statt. Weitere Informationen zum Festival und Links auf www.andromedameo.com und www.radialsystem.de

Das Andromeda Mega Express Orchestra aber nimmt sich schon mal die Freiheit heraus, gar nicht Jazz sein zu wollen. Also nicht nur Jazz. Das Berliner Ensemble will sich gar nicht entscheiden zwischen Jazz, Neuer Musik und einem Irgendwie-doch-auch-Pop, die unterschiedlichsten Musiken dürfen bei dem vom Komponisten Daniel Glatzel geleiteten Orchester mit ihren Fingern schnippen, und das Experiment der vierten Ausgabe der Kosmostage ist nun, dass Glatzel diesmal die Regie bei dem Festival abgegeben hat.

Wobei man sich Glatzel keineswegs als musikalischen Diktator vorstellen sollte. Im Gegenteil: Dass es schon immer musikalische Verantwortung auch ins Orchester gegeben habe, sagt Oliver Potratz. Er ist neben Johannes Schleiermacher, Oliver Roth und Grégoire Simon einer der vier künstlerischen Leiter des Festivals ist, das der Frage nachgehen wird: „Wie organisiert sich das Orchester als Schwarm innerhalb eines Festivals über Schwarmästhetik.“

Eine vergnügliche Mischkalkulation

Zu hören ist da bei dem dreitägigen, am Dienstag startenden Festival zum Auftakt das komplette Orchester mit dem aktuellen Konzertprogramm, im Abschlusskonzert widmet es sich in einer Komposition dem Thema Trance, und dazwischen dürfen unterschiedlich besetzte Teilgruppen ausschwärmen und sich etwa mit einer interaktiven Klanginstallation messen, während eine andere dieser Schwarmzellen es mehr mit Schubert und tschechischer Folklore hält.

Über mangelnde musikalische Abwechslung wird man sich jedenfalls nicht beklagen können bei den Kosmostagen, die pandemiebedingt online zu sehen und hören sind, in halbstündigen Konzerten, die vorab live aufgezeichnet wurden.

Warum man dieses „live“ nicht gleich richtig live ins Netz stellen wollte, hat vor allem mit dem Sound zu tun. Weil halt der Klang bei Livestreams nicht wirklich gut sei, meint Potratz, und dass man so an dem noch feilen könne, ohne aber am musikalischen Geschehen etwas zu ändern. Eingespielt wurden die Konzerte im Radialsystem, und so darf dieser Text ein wenig vom Weg abkommen und wenigstens die Perspektive wechseln, weil nun statt der Vorschau ein Rückblick möglich ist. Einfach, weil der Berichterstatter bei einem dieser Kosmostage-Konzertmodule dabei war (natürlich mit den notwendigen Vorsichtsmaßnahmen, Test, Maske, Abstand …), bei denen die MusikerInnen schlicht ihren Vorlieben folgen sollten. Das spielen, was sie spielen wollen.

Bei der Cassiopeia Cloud genannten, mit zwei Trompeten, einer Posaune und einem Cello besetzten Zelle um den Bassisten Potratz waren das in unterschiedliche Balancen gebrachte Respekterweisungen von Neuer Musik mit Kompositionen von Giacinto Scelsi und avancierter Jazz. Eine elegante Neuerfindung von Cool Jazz war hier zu hören, von einer Teilgruppe eines Orchesters, das eh nicht dazu neigt, die Contenance zu verlieren.

Das sich aber notfalls auch auf Hemdsärmligkeit versteht. Herz- und ohrenergreifende alpenländlerische Trompetenechos gab es da bei der Cassiopeia Cloud zwischendurch, eine launige Blasmusik-Gaudi, die auch deswegen musikalisch bestens funktionierte, weil man nicht im metaphorischen Bierzelt hocken blieb, sondern gleich einen gar nicht launig gestimmten Komplexjazz hinterherschob.

Das alles war mindestens unterhaltsam und auch, in und mit den Kontrasten spielend, luzide. Am Donnerstag um 20 Uhr ist dieses Festivalmodul zu hören.

Und was die Wegfindungsfrage betrifft (die eh vor allem eine das Orchester selbst betreffende Frage ist)? Von allem etwas wohl: strenge Vorgaben der notierten Musik, improvisatorische Eigeninitiative, Fingerzeige, das Kollektiv mit seinen vorab diskutierten und abgesprochenen Arrangements.

Letztlich also: eine vergnügliche, auch fordernde Mischkalkulation. So funktioniert Schwarmästhetik.

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