Berliner Festival Tanz im August 2017: Das explosive Lachen
Der Körper ist ein gefährlicher Schauplatz im Werk von La Ribot. Das Festival Tanz im August in Berlin widmet der Performerin eine Retrospektive.
Klappstühle spielen eine Rolle. Die einfachen Stühle aus Holz sind La Ribot, geboren 1962, seit ihrer Kindheit in Madrid vertraut. Überall saß man auf den Mietstühlen, bei Konzerten, in der Stierkampfarena, bei Familienfesten.
Anfang August waren einige dieser Stühle in einem Probenraum des Berliner Theaters Hebbel am Ufer mit Paketband an die Wand geklebt, andere lagen zerbrochen am Boden. Dazwischen fand man Plastikhühner, Taucherbrillen, Engelsflügel und aufwendige Kleider, ebenfalls an die Wand geklebt, wie für eine Ausstellung. Hier arbeitete die spanische Choreografin La Ribot an der Wiederaufnahme von „Panoramix“, zuletzt 2003 aufgeführt.
Nach Berlin hat Virve Sutinen sie eingeladen, die Leiterin des Festivals „Tanz im August“, um in einer großen Retrospektive La Ribots Werk zu zeigen, auf der Bühne und in Ausstellungsräumen.
„Panoramix“ setzt sich aus 34 kurzen Solos von La Ribot zusammen, die zwischen 1993 und 2003 entstanden. Was an den Wänden hängt und auf dem Boden liegt, sind die Requisiten, die nach und nach ins Spiel kommen. Mit einem Klappstuhl zum Beispiel, dessen Sitz sie sich unbekleidet vor die Scham hält, während die Beine der Performerin im Rahmen des Stuhls stecken, ahmt sie in „Distinguished Piece No 14“ mit einem immer schnelleren, quietschenden Klappern die Mechanik eines Orgasmus nach, komisch in der Verfremdung und grausam zugleich in der Monotonie. Sie trägt dabei eine Banderole „zu verkaufen“ um den Hals.
Das zu bedienende Objekt
Tanz im August beginnt am 11. August in Berlin. Neben Choreografien aus der Berliner Tanzszene (Jefta van Dinther, Sasha Waltz, Eszter Salamon) gibt es viele internationale Gastspiele: u.a. von Michael Clark (England), Trajal Harrell (New York), Serge Aimé Coulibaly (Burkina Faso).
Die Retrospektive auf La Ribot ist die zweite, die das Festival einer Pionierin des Tanzes widmet. Sie umfasst Performances in den Sophiensælen (12. 08. 14 Uhr "Laughing Hole"; 17. , 20. + 23.8., 19 Uhr "Panoramix"; ) und im Hebbel-Theater (1. +2. 9., 19 Uhr "Another Distinguée"), Filme und eine Ausstellung in der Galerie Barbara Weiss. Festivalleiterin Virve Sutinen will damit auch langfristig Material für eine Geschichte des Tanzes sammeln und in der flüchtigen Performancekunst Gelegenheit zum Rückblick geben.
Ob sie auf Spanisch, Französisch oder Englisch redet, es ist ein Vergnügen, der großen Frau dabei zuzusehen, wie sie mit temperamentvollen Gesten ihre Worte unterstreicht, wie die Augenbrauen mitreden, wie sie ihre Worte von den Fingerspitzen pustet, wenn sie von der Flüchtigkeit ihrer Kunstform redet. Aufgekratzt ist sie, gestern erst hat sie die Dingwelt von „Panoramix“ ausgepackt und mit dem Proben begonnen.
Ein transparenter Anzug kommt zum Einsatz in einer Szene, in der sie zum Vergnügen des Publikums eine Gebrauchsanweisung vorliest und sich selbst in die Rolle des zu bedienenden Objekts begibt, was dann allerdings auf einen Selbstmord hinausläuft. Ein Radio an der Wand, erzählt sie, hat ihr ein befreundeter Musiker gegeben, als sie ihn um ein Musikstück bat. Jetzt stellt sie es jedes Mal in der Szene an, in der sie mit Tauchermaske raucht. „Noch ein Selbstmord“, sagt sie und lacht.
Das Gewaltsame und das Groteske, das Verzweifelte und der Slapstick, sie wohnen nah zusammen in den Arbeiten der Künstlerin. Nach Berlin kommt auch „Laughing Hole“, 2006 entstanden. Drei Performerinnen in Putzkitteln, die unentwegt lachen, über Stunden, befinden sich dabei mit Zuschauern in einem Raum, der übersät ist mit politischen Slogans, auf Kartons geschrieben.
Aktionismus, wird er ausgelacht?
Man erkennt einiges wieder, aus der Zeit des Irakkrieges, des Gefangenenlagers Guantánamo, der Occupy-Bewegung: all das bestimmte den politischen Diskurs, als „Laughing Hole“ entstand, über mehrere, später verworfene Fassungen hinweg. Bis die Künstlerin das Stück dort hatte, wo sie es haben wollte, angeschlossen an die dunklen Seiten des Lachens.
Die Parolen, voll Aktionismus, voll Zweifel an der Welt, voll des Wunschs nach Veränderung, und das Lachen, von dem man nicht weiß, worüber gelacht wird, zerren dabei Zuschauer und Performerinnen emotional ständig in zwei Richtungen.
Der Reflexion über Politik, Macht und Gewalt, dem Versuch, das große Ganze zu greifen, steht der Körper der Einzelnen gegenüber. „Er wird zu einem Schauplatz der Explosionen“, sagt La Ribot. „Klar ist das ambivalent und paradox. Die ganze Zeit erzeugt die Performance Zweifel an den Parolen, am Lachen, jeder ist damit allein.“
Virve Sutinen und Lois Keidan, die als Kuratorin der Tate Gallery in London La Ribot mehrmals dorthin geholt hat, schätzen die Performerin ob ihrer feministischen und radikalen Positionen. Und weil sie sowohl im Kunstkontext als auch auf der Bühne arbeitet. „Für mich war es einfach notwendig, Tanz als Form zeitgenössischer Kunst zu zeigen und zu befragen“, sagt La Ribot zu dieser Genreüberschreitung.
Sie zieht sich das dabei nicht als Innovation an, sondern verweist auf die, die diesen Weg schon gegangen sind seit Dada. Ihr war der Kontextwechsel von der Bühne in Galerie- und Museumsräume auch deshalb wichtig, weil sie dort mitten unter den Zuschauern agiert und das Verhältnis zwischen Nähe und Distanz immer wieder anders gestalten kann.
Ein Schlachtruf
Zu ihrer Retrospektive beim Festival „Tanz im August“ erscheint ein Katalog, mit dem programmatischen Titel „Occuppatiooon!“ – ein Schlachtruf fast, geht es doch bei ihr immer um Besetzung, um den Raum, den ein Körper sich nimmt. Kurz karikiert sie im Gespräch breitbeinig sitzende Männer und zieht die Augenbrauen hoch.
Über ihre letzte Arbeit, die 2016 abgeschlossene Performance-Serie „Another Distinguée“, die ebenfalls nach Berlin kommt, schreibt im Katalog die Kunsthistorikerin Estrella de Diego: „In ‚Another Distinguée‘ enthüllt La Ribot so deutlich wie in keiner anderen Produktion die grundlegenden Fragen zu den verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauenkörper – das Leitmotiv ihres Werkes seit den ersten ‚Distinguished Pieces‘. Gewalt ist in der sterbenden Meerjungfrau und im gebrechlichen Körper in ‚Another Bloody Mary‘. Gewalt ist in La Ribots eigenem Körper, wenn er zum Paket, zum dekonstruierten Stuhl und zum Isolierband wird.“
Im Gespräch frage ich La Ribot noch einmal nach diesem Leitmotiv. Natürlich gebe es auch Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Männer, sagt sie, das will sie mit ihren Bildern nicht ausschließen. Aber sie als Frau haben die Bilder von Frauen am meisten beschäftigt, und sie findet nach wie vor, dass Frauen nicht genug im Zentrum der Bühne stehen. Insofern stimmt das Leitmotiv. Und sie setzt hinzu, dass für sie „Feminismus eine der wichtigsten sozialen und politischen Bewegungen der letzten Jahrhunderte ist.
Blutrote Farbe
Manchmal ist die Bildsprache der Performerin pathetisch, blutrote Farbe läuft mehrfach über den Körper, Opferszenen werden zitiert. In einem schönen Porträtfilm, den Luc Peter für das Schweizer Fernsehen über sie machte, erzählt sie ergriffen vom Stierkampf, wie dort der Moment, die Gegenwart, das Leben und der Tod erlebt werden, großartig findet sie diese Performance.
Aber das ist nur eine Facette auch ihrer eigenen Präsenz. Dem gegenüber stehen der oft unaufgeregte Gestus, mit dem sie die Szenen ausführt, und die vielen skurrilen Verdrehungen von bekannten Erfahrungen, die das Publikum immer wieder auch lachen lassen.
In Spanien lebt sie seit 1997 nicht mehr, sie ging zuerst für sieben Jahre nach London und lebt seitdem in Genf, mit ihrem Mann, dem Schweizer Choreografen Franko B. Dass sie Spanien verlassen hat, hing auch mit dem Mangel an Förderung zusammen. Sehr kommerziell ausgerichtet sei der Kulturbetrieb dort. Von der Schweiz hingegen haben sie und ihr Mann mehr Unterstützung erfahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt