Berlinale Preisträger droht Abschiebung: Roter Teppich nach Gatow
Auf der Berlinale 2013 gewann Nazif Mujic einen Silbernen Bären – seit November lebt er als Flüchtling in einem Asylbewerberheim. Jetzt endet seine Winterduldung.
Nazif Mujic sieht müde aus. „Bin ich aber nicht“, beteuert er, mühsam lächelnd. „Wenn das Wetter gut ist, ist es auch meine Laune“, scherzt er. Doch alle übrigen Anwesenden im Büro des Roma-Vereins Amaro Drom e.V. in Neukölln, bleiben ernst. Sie kennen seine Lage.
Es geht Mujic, dem Asylbewerber, dem strahlenden Berlinale-Preisträger der Filmfestspiele 2013, nicht gut. Er und seine Frau leiden unter dem ständigen Warten, der Unsicherheit, ob sie bleiben dürfen. Sie leiden, wie die anderen Asylbewerber auch, unter der Abgeschiedenheit und Isolation im Gatower Flüchtlingsheim.
Ende November kam der 43-jährige Bosnier und Rom Nazif Mujic nach Deutschland, um Asyl zu beantragen. Zuvor hatte Mujic im Februar auf der Berlinale 2013 den Silbernen Bären für seine darstellerische Leistung im Dokudrama „Episode aus dem Leben eines Schrottsammlers“ bekommen. Keine neun Monate später saß er mit seiner Frau und den drei Kindern in Gatow. Seinen Bären hatte er mitgebracht. Er war bereit, ihn einzutauschen – gegen ein Leben ohne Hunger, aber mit Aussicht auf Schulbildung für seine Kinder.
Kurz vor dem Start der diesjährigen Berlinale geriet Mujics Schicksal zwischen Glanz und Flüchtlingsheim-Elendrückte schnell in den Fokus der Medienöffentlichkeit – und noch schneller in Vergessenheit.
Die Reporter kommen nicht mehr
Im Februar war Mujic noch voller Zuversicht, überwältigt vom Andrang der Medien, dankbar über kleine Spenden aus der Bevölkerung und sicher: Irgendwie würde er es schaffen, hier zu bleiben. Wenn man ihn heute fragt, ob er noch Hoffnung hat, schüttelt er nur den Kopf. Die Berlinale ist längst vorbei, die Reporter kommen nicht mehr zu ihm.
Wer wie Nazif Mujic und seine Familie aus Bosnien-Herzegowina kommt, wird in der Regel abgeschoben, die Länder des ehemaligen Jugoslawiens gelten als sichere Herkunftsstaaten – auch wenn die Lebensbedingungen in Bosnien, Serbien, Mazedonien und im Kosovo oft miserabel sind, vor allem für Roma. Auch Mujics Antrag wurde abgelehnt. Doch für Flüchtlinge mit Kindern unter sechs Jahren gibt es in Deutschland die sogenannte Winterduldung: Sie können während der kalten Jahreszeit bleiben. Doch die Winterduldung endete gestern.
Am 8. und 14. April wird es die ersten Sammelabschiebungen geben, in denen bundesweit Asylsuchende aus Mazedonien und Serbien in ihre Heimatländer zurückgebracht werden. Mindestens jeder vierte Asylsuchende in Deutschland kommt laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawien.
Nazif Mujic und seine Familie sind noch nicht dabei. Denn die Anwältin, die von den Filmfestspielen, einem Geschäftsberich der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin, bezahlt wird, hat eine Petition an das Berliner Abgeordnetenhaus gestellt. Und die hat aufschiebende Wirkung. „Dadurch verzögert sich die Frist“, bestätigt Andreas Kugler (SPD), Vorsitzender des Petitionsausschusses im Abgeordnetenhaus. „Normalerweise dauert ein solches Verfahren drei bis vier Wochen. Aber die Petition von Herrn Mujic war noch nicht einmal im Ausschuss.“ Sollte der Petition stattgegeben werden, könnte Mujic dennoch abgeschoben werden. Die Entscheidung des Ausschusses ist rechtlich nicht bindend.
Eine Geschichte der Misere und der Verzweiflung
Während der langen Wartezeit im Flüchtlingsheim hat Nazif Mujic seine Lebensgeschichte aufgeschrieben. Seine Jahre im bosnischen Bürgerkrieg, wo er einen Bruder verlor. Die Zeit, als seine Frau Senada beinahe an einer Fehlgeburt gestroben wäre, weil sie zu arm waren, um die Ärzte zu bezahlen. Und wie dann der berühmte bosnische Regisseur Danis Tanovic, der mit dem Film „No Man‘s Land“ 2001 einen Oscar gewann, diese Geschichte mit ihm als Hauptdarsteller verfilmte.
Schließlich der Abstieg, als seine früheren Kollegen mit dem Finger auf ihn zeigten, weil er, als vermeintlich wohlhabender Filmstar, sich in der Heimat wieder als Schrottsammler verdingte. Der Bandscheibenvorfall, durch den er seine Arbeit nicht mehr verrichten kann. Und sein Diabetes, der in Bosnien nur unzureichend behandelt wird.
Eine Geschichte der Misere und der Verzweiflung. Die eine Episode aus dem Leben des Nazif Mujic ausgenommen, in der er für wenige Wochen ein Star war und in Fünf-Sterne-Hotels logierte.
„Wenn wir abgeschoben werden, versuchen wir es in einem anderen Land. Vielleicht in Holland“, gibt sich Mujic heute kämpferisch. Es bleibt ihm nichts anderes übrig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau