Berlin intersektional: Lasst euch nicht ablenken

Wie über „Identitätspolitik“ diskutiert wird, nervt. Doch es gibt Wichtigeres. Zum Beispiel die Abschlussveranstaltungen der Konferenz der Visionen.

Vier Männer stehen 1902 in Bahnuniformen vor einem Zug. Das Bild zeigt den afrodeutschen Aktivist Martin Dibobe (2. von rechts) und Hochbahn-Kollegen

Der afrodeutsche Aktivist Martin Dibobe (2. von rechts) und Hochbahn-Kollegen, 1902 Foto: BVG Archiv

Hedwig Dohm, Paul Singer, Martin Dibobe, Magnus Hirschfeld. Vom Kaiserreich an gab es in der Berliner Linken jene Stimmen, die den Gerechtigkeitsbegriff erweiterten. Die Emanzipation der Frauen, Jüdinnen und Juden, Schwarzen Deutschen und Queers war für sie nicht zu trennen vom revolutionären Umbau der Gesellschaft. Und wie viele Stimmen sollten im 20. Jahrhundert noch dazukommen.

Natürlich nervt es, wenn diese Emanzipationsgeschichte ignoriert wird und „Identitätspolitik“ als Spleen des jungen 21. Jahrhundert geschmäht. Wenn die eigene Position ausgeklammert und das „Eigentliche“ der Linken angemahnt wird, ohne konkret zu werden. Wenn ohne Beleg Unterstellungen angeführt werden wie: „Da wird der weiße Hartz-IV-Empfänger unentrinnbar zum Vertreter der white supremacy, sein Status als Ausgebeuteter kapitalistischer Strukturen ist in dieser Logik nicht mehr denkbar.“

Natürlich nervt das, lähmen sollte es nicht. Denn eine weiterführende linke Politik zu formulieren, die den sich überschneidenden Ungerechtigkeiten gerecht wird, ist ja tatsächlich nicht leicht und verlangt nach Konzentration. Die Konferenz der Visionen hat sich in der vergangenen Woche an dieser Aufgabe versucht. Zu ihrem Abschluss soll in einem Weltcafé die Frage verhandelt werden, wie die sozialen Bewegungen auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin und im Bund Einfluss nehmen können (Mittwoch, 27. Oktober, 18 Uhr, Zelt 1, John-Foster-Dulles-Allee 10).

Bei einer Offenen Versammlung im Neuköllner Heimathafen geht es anschließend um die Frage: Wie müssen sich soziale Bewegungen (anders) organisieren, damit eine mehrjährige Perspektive gelingt? „Egal ob du schon langjährige Erfahrung hast oder einfach neugierig bist, sei dabei, wenn wir als Gerechtigkeitsgruppen den Aufbau gemeinsamer Strukturen anpacken“, heißt es in der Einladung(Mittwoch, 27. Oktober, 19.30 Uhr, Karl-Marx-Straße 141).

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„Bei der Identitätspolitik und der zugrundeliegenden philosophischen Strömung des Postmodernismus handelt es sich um Ausprägungen der bürgerlichen Ideologie, die im fortschrittlichen Gewand daherkommen, aber letztlich auf die Spaltung der Ar­bei­te­r:in­nen und Unterdrückten, auf die Zersetzung der revolutionären und kommunistischen Bewegung sowie der politischen Widerstandsbewegung ausgelegt sind“, so die nervig-steile These eines angekündigten Vortrags im Weddinger Kiezhaus Agnes Reinhold. Ob das wirklich so einfach ist, soll im Anschluss zur Diskussion stehen (Freitag 29. Oktober, 19 Uhr, Afrikanische Str. 74).

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Redakteur im Politik-Team der wochentaz. Schreibt öfter mal zu Themen queer durch die Kirchenbank. Macht auch Radio. Studium der Religions- und Kulturwissenschaft, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule. Mehr auf stefan-hunglinger.de

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