piwik no script img

Berlin führt Maskenpflicht einEin Wir-Symbol mit Tücken

Senat führt Maskenpflicht ein: Ab Montag muss man eine tragen – aber erst mal nur in Bahn, Tram und Bus. Nicht beim Einkaufen. Ein Wochenkommentar.

Schon jetzt oft in der U-Bahn zu sehen: dieser Mundschutz ist nicht selbst genäht, sondern gekauft Foto: picture alliance/Jörg Carstensen/dpa

Berlin taz | So wird das nichts mit der Maske als It-Piece dieses Sommers, wie manche es schon prophezeit hatten. Eine Maskenpflicht hat der Senat am Dienstag zwar verkündet: Aber nur für Fahrten in Bussen und Bahnen.

Wie bitte? Was soll das denn bringen? Wenn die Masken überhaupt nützen, was offenbar nur der Fall ist, wenn sie von Corona-Infizierten getragen werden, die andere mit dem Speichelschutz vor Ansteckung bewahren können. Und auch das nur ein bisschen, ganz abhängig von der Qualität der Maske, die laut Senat aber auch durch ein vor den Mund gezogenes Tuch ersetzt werden kann.

So viel Halbherzigkeit hätte man von Rot-Rot-Grün nicht erwartet, nachdem doch andere Maßnahmen wie Kontaktsperren und Aufenthaltsbestimmungen erheblich brachialer angesetzt wurden. Soll man sich darüber aber jetzt freuen? Nein.

2 Euro kostet ein papierener Einmalmundschutz in der Discountapotheke. Der Preis für eine BVG-Fahrt erhöht sich damit mal eben um knapp 70 Prozent. 4 Euro mehr am Tag für die, die mit Öffentlichen zur Arbeit und zurück fahren – 80 Euro im Monat bei einem Fulltimejob (ja, die gibt es noch).

Warum in den Öffis?

Das mag die brachliegende Wirtschaft ankurbeln – doch es ist kaum zu erwarten (weil für viele gar nicht zu bezahlen), dass die Masken tatsächlich von allen nur einmal benutzt werden. Und dann bringen sie ebenso wenig wie die Selbstgenähten, die wohl auch kaum von jedermann nach einmaligem Tragen mit Gummihandschuhen ausgezogen und bei 90 Grad gewaschen werden. Der Schutz wird so zur Bazillen- und eventuell Virenschleuder.

Außerdem: Warum in den Öffis? In der U-Bahn hat man dieser Tage einen Wagen gern mal für sich allein. Gern im Doppelsinn: Zunehmend haben Frauen Angst im ÖPNV gerade nachts und abends. Zu wenig Leute unterwegs, mehr blöde Anmache und keiner, der helfen könnte, wie eine Reporterin der RBB-„Abendschau“ kürzlich klagte. Ist der Belästiger künftig maskiert, wird’s noch bedrohlicher.

Im Supermarkt dagegen, wo der eine nicht warten mag, bis der andere die schönsten Tomaten aus dem Körbchen gesucht hat und ihm deshalb dabei beherzt über die Schulter greift, darf weiter ungeschützt ausgeatmet werden – auf Kunden wie auf Tomaten. Glaubt der Senat gar selbst nicht an die Schutzwirkung? Oder ist die halbherzige Maskenpflicht nur ein erster Schritt?

Denn eigentlich ist die Maske ja doch schon ein It-Piece geworden: ein sichtbares Symbol der Coronakrise, das ein derzeit plötzlich gern beschworenes „wir“ bestärkt: Wir tragen Maske, wir sind solidarisch, wir halten zusammen.

Doch darin steckt auch das Gegenteil: Ausgrenzung. Trägt einer keine Maske, ist er unsolidarisch, asozial, ein Gefährder und möge sich schämen. Der aus der Kindererziehung oder der Einschüchterung sexuell angegriffener Mädchen und Frauen in den vergangenen Jahrzehnten erfreulicherweise nahezu eliminierte Begriff der Scham hat – nicht erst seit Corona – wieder Konjunktur.

Scham aber entwickelt keine Gemeinschaft, sie erzwingt sie. Man will nicht dazugehören: Man muss. Das ist keine rechtliche Freiheitsbeschränkung, sondern eine psychologische.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Schutz durch OP-Masken

    Es gibt Hinweise darauf, daß schon die einfachen OP-Masken (surgical masks) wirksam sind, nicht nur zum Fremdschutz - was ja schon ihren Einsatz rechtfertigen würde - auch zum Selbstschutz, ja, daß OP-Masken erstaunlicherweise offenbar den Vergleich mit den N95-Masken(=FFP2) nicht scheuen müssen (vgl. Bildersuche in Suchmaschine).

    "Conclusion: Among nurses in Ontario tertiary care hospitals, use of a surgical mask compared with an N95 respirator resulted in noninferior rates of laboratory-confirmed influenza."

    www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19797474

    Eine Metastudie kommt zum Ergebnis:

    "In the meta-analysis of the clinical studies, we found no significant difference between N95 respirators and surgical masks in associated risk of (a) laboratory-confirmed respiratory infection (b) influenza-like illness (...)"

    Etwas zurückhaltender fassen die Autoren zusammen:

    "Although N95 respirators appeared to have a protective advantage over surgical masks in laboratory settings, our meta-analysis showed that there were insufficient data to determine definitively whether N95 respirators are superior to surgical masks in protecting health care workers against transmissible acute respiratory infections in clinical settings."

    www.ncbi.nlm.nih.g...ticles/PMC4868605/

    Gegen unsachgemäßen Gebrauch sollte eine breit angelegte Informationskampagne der Medien und der Regierung, die auch die Schulen mit einbezieht, wirksam sein - v.a. aber wird eine ausreichende Versorgung (zu niedrigen Preisen) jedes Haushalts dazu beitragen, daß diese Masken wie Tempotaschentücher benutzt werden - nach Gebrauch wegwerfen.

  • Nun ja, die Masken vermindern die Tröpfeninfektion etwas. Nun gut. Aber dieses Gedemütigwerden, diesen Maulkorb aufsetzen zu müssen, ist auch nicht gerade schön. Wie ein Hund an der Leine. Ich bin im Zwiespalt.

  • "die Selbstgenähten, die wohl auch kaum von jedermann nach einmaligem Tragen mit Gummihandschuhen ausgezogen und bei 90 Grad gewaschen werden. Der Schutz wird so zur Bazillen- und eventuell Virenschleuder."

    Diesen Punkt verstehe ich leider nicht: Wie wird der Mundschutz dadurch zum Risiko? Angenommen das Ding ist auf der Innenseite mit virenhaltigen Tröpfchen vollgeatmet, wer wird dadurch gefährdet, wenn es nicht ordentlich gereinigt wird?

    Dass die professionellen Masken, die zum EIgenschutz genutzt werden, vorsichtig gehandhabt werden müssen um das gefilterte sich nicht doch noch beim Abnehmen der Maske ins Gesicht zu schmieren, leuchtet ein. Leider habe ich bisher keine Erklärung gehört, wie unsachgemäße Handhabung der Stoffmasken ein Problem darstellt.

  • 9G
    97760 (Profil gelöscht)

    Ja, noch mehr Masken für Berliner U-Bahnen. Damit die schwerkranken Omas und Opas mit den künstlichen Nieren und transplantierten Herzen im Wohnzimmer sitzend und ihr Essen und soziale Kontakte durch Plexiglas erhaltend, nicht einem erhöhten Sterberisiko ausgesetzt sind.

  • Masken machen vor allem deutlich, dass das schlimmste eben noch nicht überstanden ist. Können sie ein falsches Gefühl der Sicherheit vermitteln? Ja. Vermitteln sie, dass die Zeit der Ärgershowparty noch in weiter Ferne liegt? Ja.



    So unbedarft wie sich einige verhalten bin ich für jedes Prozent extra Schutz dankbar.

  • "In der U-Bahn hat man dieser Tage einen Wagen gern mal für sich allein" ... weil die anderen offenbar Angst vor Ansteckung haben, ich auch. Gibt es durch Aseken wenigstens einen etwas besseren Schutz, dann werden sich auch wieder mehr Leute in die U-Bahn wagen.



    Und Betreiber des ÖPNV ist ja auch die öffentliche Hand selbst, die entscheidet hier sozusagen in eigener Sache in Ausübung des Hausrechts, auch wenn es gesetzlich anders ausgestaltet ist.



    In Geschäften gibt es immerhin eine gewisse Konkurrenz, man könnte sich als Kunde auch einen Laden aussuchen, in dem der Geschäftsinhaber dafür sorgt, dass die Mitarbeiter Masken tragen, und bei den Kunden kann das ebenso vorgeschrieben werden. Hätte ich die Auswahl. würde ich in andere Läden keinen Fuß mehr setzen.