Berlin beschließt Mietendeckel: Experiment für die Mieter
Für Linken-Chef Riexinger ist der Berliner Mietendeckel ein „Signal“ an den Rest der Bundesrepublik. Andere Politiker und Verbände hingegen üben Kritik.
Ein Bündnis aus Wirtschafts- und Bauverbänden will hingegen in einem offenen Brief an den Berliner Senat protestieren und befürchtet „negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft“, heißt es in einer Ankündigung.
Die rot-rot-grüne Koalition in Berlin hatte sich am Freitag auf den Mietendeckel geeinigt, am Dienstag will der Senat das entsprechende Gesetz auf den Weg bringen. Laut der Einigung sollen die Mieten in Berlin, rückwirkend zum 18. Juni 2019, für fünf Jahre eingefroren werden. Ab dem Jahr 2022 können Vermieter die Miete dennoch in Höhe eines Inflationsausgleichs von 1,3 Prozent pro Jahr erhöhen. Das Einfrieren gilt nach Angaben der Grünen für 1,5 Millionen Mietwohnungen, aber nicht für Neubauten, die ab Januar 2014 bezugsfertig wurden, und nicht für den sozialen Wohnungsbau, dessen Mieten ohnehin preisgebunden sind.
Durch das neue Gesetz dürfen überdies Mieten bei Wiedervermietungen nicht mehr über die Höhe der Vormiete angehoben werden. Falls die Vormiete schon höher war als eine bestimmte, künftige Tabellenmiete, kann die Miete vom Neumieter auf diese Tabellenmiete abgesenkt werden.
Die Tabellenmiete bezieht sich auf die Werte im Mietspiegel von 2013 plus einen Aufschlag von 13 Prozent. Wirft man einen Blick in den Mietspiegel, dann lässt sich bei einer 80 Quadratmeter-Altbauwohnung in guter Lage beispielsweise eine künftige Tabellenmiete von 640 Euro nettokalt errechnen. Die neue Miete im Wohnungsangebot dürfte dann nicht mehr über dieser Grenze liegen.
Mietsenkungen mit „Wucherregelung“ möglich
Für Bestandsmieter, also Leute, die bereits einen Mietvertrag haben, gilt eine „Wucherregelung“, die in bestimmten Fällen Absenkungen erlaubt. Dieser Paragraf soll erst in neun Monaten in Kraft treten. Danach dürfen hohe Mieten auch in bereits bestehenden Verträgen gesenkt werden, wenn sie mehr als 20 Prozent über der Tabellenmiete liegen. Sie dürfen dann höchstens die Tabellenmiete plus 20 Prozent betragen. Allerdings sollen je nach Lage noch Zu- oder Abschläge berücksichtigt werden. Bei einer einfachen Lage sollen dies Abschläge von 28 Cent, bei einer guten Lage Zuschläge von 74 Cent der Quadratmeter sein.
Im oben genannten Beispiel bei einer Tabellenmiete in guter Lage von 8 Euro der Quadratmeter könnte eine Wuchermiete dann – inklusive der Zuschläge – auf eine Höhe von 10,34 Euro nettokalt der Quadratmeter begrenzt werden. Bei einer 80 Quadratmeter-Wohnung wären dies 827 Euro nettokalt. Nur eine Bestandsmiete, die darüber liegt, könnte als „Wuchermiete“ in diesem Beispiel abgesenkt werden.
Diese Mietobergrenzen werden in den Angeboten auf dem Wohnungsmarkt oft übertroffen, wie jeder Berliner Wohnungssuchende erlebt. Laut dem Portal Immowelt liegen die Angebotsmieten in Berlin derzeit bei 11,60 Euro nettokalt der Quadratmeter. Allerdings sind in diesen Angeboten auch Neubauwohnungen mit berücksichtigt, die ja nicht unter den Mietendeckel fallen.
Um Mietpreiserhöhungen durch Modernisierungen zu erschweren, gibt es auch hierzu eine Regelung beim Mietendeckel: Modernisierungsmaßnahmen dürfen ohne Genehmigung nur in Höhe von einem Euro pro Quadratmeter auf die Miete umgelegt werden, hier gilt eine Anzeigepflicht. Für darüber hinausgehende Modernisierungskosten von maximal einem weiteren Euro pro Quadratmeter „sollen Förderprogramme genutzt werden“, heißt es in dem Papier, auf das sich die Koalition am Freitag einigte.
„Rückkehr zur sozialistischen Wohnungspolitik“
Das Gesetz soll Anfang kommenden Jahres in Kraft treten und rückwirkend ab Juni 2019 gelten. CDU, FDP und AfD laufen Sturm gegen die Pläne. Union und FDP im Bundestag wie im Berliner Abgeordnetenhaus haben Normenkontrollklagen gegen das Gesetz in Aussicht gestellt.
„Die Berliner Landesregierung kehrt zurück zur sozialistischen Wohnungspolitik“, erklärte der Präsident des Immobilienverbands IVD, Jürgen Michael Schick. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Enteignungen und Mietenstopp führten nicht zu mehr Wohnraum, „sondern untergraben die Investionsbereitschaft für den Mietwohnungsbau“.
Der Berliner Mieterverein nannte den Mietendeckel dagegen „eine historische Chance“. Christian Kühn, Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik der Grünen-Fraktion im Bundestag, sagte der taz: „Mit dem Mietendeckel wird juristisches Neuland betreten. Deshalb ist es richtig, dass Umsetzbarkeit, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit sorgsam geprüft sind“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance