Berichterstattung über die SPD: Andrea Nahles atmet auf
Die SPD-Berichterstattung ist ein Problem. Das wird klar im direkten Kontakt mit Nahles, die so präsent wirkt, wie sie medial nie vermittelt wurde.
J ede neue Kandidatur für den Parteivorstand der SPD wird begleitet von Spott. Meist folgen Abgesänge und schwergewichtige Analysen aus der Gattung: „Es fehlt der große Wurf.“ Mag sein, solche Experten kennen noch andere deutsche Parteien, aber mir fiele derzeit keine einzige ein, die den großen Wurf wagt. Selbst die Grünen fordern in Zeiten von Fridays for Future und Spitzenumfragewerten allen Ernstes eine Bahnreform für das Jahr 2030 (!), um dem Trend zu Inlandsflügen beizukommen. Revolution is coming! Da hatte der kleine Junge auf einer FFF-Demo in Berlin mehr Mut zur Vision: Er wollte die Flugverbindungen zum Mars ausbauen, damit alle Menschen im Notfall eine zweite Erde hätten.
Noch so ein grundsätzliches Problem, das derzeit nur der SPD als Schwäche ausgelegt wird: In der SPD herrsche parteiintern ein allzu herber Umgang miteinander, so könne man kein gutes Personal gewinnen. Stimmt, in den anderen Parteien herrscht ja Nächstenliebe, wie sich zuletzt am Schicksal von Manfred Weber zeigte, der seine Karrierepläne in der EU verwirklichen wollte. Oder an Sarah Wagenknecht, die sich aus ihrer Führungsposition bei der Linken zurückziehen musste, weil sie unter dem konstanten Hauen und Stechen nicht aus ihrem Burn-out herausfand. Aber unermüdlich hört man von Experten: In der SPD gehe man schlecht miteinander um. Was ist das bitte für eine SPD-Expertise? Und weshalb sieht niemand einen Weg aus dem Tal? Könnte es mit daran liegen, dass die Problemanalysen zu schwach sind?
Die Berichterstattung rund um die SPD ist Teil des Problems der SPD. Selten wurde mir das so deutlich wie beim diesjährigen Kulturempfang der Sozialdemokratie in Berlin, wo ich als Podiumsgast dabei sein durfte. Ich betrat die wirklich hippe Location am Alexanderplatz und wusste sofort: Diese Party ist over. Trotz der Menschen, die sich organisatorisch verausgabten, damit noch das letzte Detail an diesem Abend stimmte. Eine politische Grundstimmung, das leidenschaftliche Miteinander, das Demokratie sein kann, lässt sich nicht herbeiorganisieren.
Nein, diese SPD würde wieder kein gutes Ergebnis einfahren. Die strahlende Spitzenkandidatin Katarina Barley war freundlich, kam pünktlich auf die Minute zum Podium und ging genauso pünktlich wieder. WählerInnen bilden sich gerne ein, zumindest in Wahlkampfzeiten müsse man sie umwerben. Wer darauf verzichten kann, kann offensichtlich auf Stimmen verzichten. Der Prototyp des Politikers, der gleich nach dem Grußwort von der Veranstaltung verschwindet, ist längst Teil der Realsatire der Demokratie.
Immer wieder wurde Gesine Schwan zitiert und Ideen, die sie in die Partei eingebracht hat. Schwan nickte bei jedem Zitat zustimmend. Sie stand wohl noch immer zu sich. Doch das Warten auf einen Satz, der nach Sozialdemokratie klingt, war eher Beckett-artig. Ich sitze fast betroffen in einem Raum, aus dem die Luft raus ist. Politische Menschen, die nicht streiten wollen für die Welt, in der sie leben möchten. Stattdessen bekomme ich einen dieser blauen Europa-Pullis. Er liegt in einem Karton, der auch ein Pizza-Karton sein könnte, denke ich, und klappe den Deckel auf und zu. „Könnte auch ’ne Pizza drinliegen,“ sagt eine Frauenstimme neben mir und lacht grell auf. „Im Ernst, sind super, die Pullis“, sagt sie.
Banal, aber lebenslustig
Andrea Nahles hängt im Stuhl neben mir. Müde vom Tag, aber da. Sie bleibt länger als die EU-Spitzenkandidatin Barley. Nahles schiebt noch drei Sätzen nach, banal, aber lebenslustig. Das laute Lachen hängt sie hinter jeden Satz an und blickt einen wach an. Binnen Minuten ist da mehr Direktheit als den gesamten Abend über. „Verdammt, du magst Andrea Nahles doch nicht“, denke ich, und ich frage mich, wie ich überhaupt darauf komme, dass ich sie nicht mag.
Später am Stehtisch unterhält sie die Runde, hört zu, redet über Politik, was sonst. Sie fragt mich über mein neues Buch aus, in dem es um Frauen geht. „Ah, Frauensolidarität“, sagt sie, „auch so was.“ Sie zieht die Augenbrauen hoch. Überhaupt sagt ihre Mimik das eigentlich Wesentliche, ihre Sätze baut sie rhetorisch geschliffen, doch nie ohne den Kommentar, den ihr Lachen, ihr Blick, ihre Augenbrauen machen. Neben ihr ein alter Freund, der mit Autoren und Büchern arbeitet, Kulturempfang eben. Plötzlich redet Andrea Nahles über Bücher, darüber, in welchem Verhältnis das Lesen zum Politikbetrieb steht. Bei Obama hat das gereicht, um ganze Storys über die Empathie zu schreiben, die ihm seine Leseerlebnisse ermöglichen. Von Nahles’ Liebe zur Sprache habe ich nie Einprägsames gehört, weil sie so laut „Bätschi!“ in die Mikros gerufen hat – was ausreichte, um sie für ungehobelt zu erklären.
Vermutlich wissen die meisten keine drei politischen Ziele zu nennen, für die Nahles stand, aber den Satz mit „in die Fresse“ kennen alle. Sie spricht an dem Abend noch über Kinder, das Berufsleben als alleinerziehende Mutter und wie das wohl für Männer ist, wenn eine Frau erfolgreicher ist als sie. Ich hätte sie gerne nur ein einziges Mal öffentlich so reden gesehen. Vermutlich hätte man dann einen ihrer nachgeschobenen Mimik-Kommentare herausgezogen und einen Skandal daraus gemacht. Die Politikerin, die mir an diesem Abend gegenüberstand, war mir medial nie vermittelt worden. Erst nach ihrem Rücktritt gab es einige Artikel, vorwiegend von Frauen, die Nahles präziser zeichneten. Als könnten Frauen mit Frauen nur empathisch sein, nachdem sie gescheitert sind.
Es heißt, die SPD finde nur noch schwer gutes politisches Personal. Auch das ist kein Spezifikum dieser Partei, sondern ein grundsätzliches Problem. Für Frauen allemal. Nicht nur Parteien verschleißen ihr Personal. Wie sehr ist einer Berichterstattung zu trauen, der es nicht gelungen ist, eine Politikerin wie Andrea Nahles in ihrer Komplexität zu zeigen? Und welcher Mensch bei Verstand will in die Höhle dieser Löwen?
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