Berichterstattung über Klimademos: „Total verniedlicht“
Die Berichte über die „Fridays for Future“-Bewegung werden oft auf die Debatte zur Schulpflicht verkürzt. Demonstrant*innen sind verärgert.
An diesem Freitag sind weit mehr Schüler*innen gekommen als an den letzten Freitagen, um für Klimaschutz zu demonstrieren. 10.000 zählt das Organisations-Team, 3800 die Polizei. Für viele der Medienvertreter*innen aber eher eine Randnotiz, denn für sie geht es hier nur um die Eine. „Wir sind wegen Greta Thunberg hier, denn wir versuchen seit einigen Tagen ein Interview mit ihr zu bekommen, was ganz schwer, wenn nicht sogar unmöglich ist“, erklärt der Journalist Andreas Lueg, der für das ARD-Magazin „Titel Thesen Temperamente“ berichten soll.
„Hätte ich vorher gar nicht vermutet, dass so viele kommen. Ich bin gespannt, wie Greta das einschätzt, da sie ja nun den Vergleich hat mit vielen anderen Städten“, erklärt der Kollege von ARD Aktuell, der unter anderem die Tagesschau beliefern wird und ein fest vereinbartes Interview mit Thunberg in Aussicht hat.
Ehrenamtliche Ordner*innen spannen ein Seil um das Frontbanner, um Greta zu schützen. Ein junger Mann ruft mit Hilfe eines Megafons die Journalist*innen in regelmäßigen Abständen zurück. Damit die Demonstrierenden in Ruhe laufen können: „Leute, es gibt noch genug Gelegenheiten Bilder zu machen.“
„Nachrichtenwert“ und „Betroffenheit“
Deutschlandweit gehen seit Wochen tausende junge Menschen auf die Straßen, um die Bundesregierung daran zu erinnern, ihre Maßnahmen gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel einzuhalten. Doch kaum ein Artikel kommt ohne die politische Debatte um die Schulpflicht aus. „Bildungsministerin Karliczek pocht auf Schulpflicht“ textet die taz. „Nicht jeder Schulschwänzer hat den Sinn der Demo kapiert“ titelt die Welt. „Für die Schüler, die für eine strengere Klimapolitik demonstrieren, ist der Klimawandel nicht viel wichtiger als ein schulfreier Tag“, kommentiert die FAZ.
Zur Erinnerung: Die Schüler*innen streiken nicht etwa gegen die Schulpflicht an Freitagen, sondern für einen Ausstieg aus Braunkohleenergie vor 2030. Für höhere Steuern auf Inlandsflüge und für die Einhaltung internationaler Klimaabkommen.
Später am Nachmittag im Büro von Youth Policy Labs in Berlin. Jugendforscher Andreas Karsten hat heute per Twitter und Instagram verfolgt, wer in Hamburg auf die Straße ging. Bei vergangenen Demos in Berlin war er selbst vor Ort – und er beobachtet die Berichterstattung über Fridays For Future mit Sorge. „Wenn wir es als Gesellschaft nicht schaffen, diese Bewegung ernst zu nehmen und ihren Anspruch auf Klimagerechtigkeit in Politik umzusetzen, dann riskieren wir es, eine ganze Generation komplett zu desillusionieren und zu frustrieren“, sagt Karsten.
Dem stehen „Nachrichtenwert“, „Nutzwert“ oder „Betroffenheit“ entgegen – Begriffe, mit denen Nachrichtenredaktionen entscheiden, ob und wie berichtet wird. Alles, was nicht irgendwie neu ist, schafft es eben nicht in die Schlagzeilen. Das weiß auch der Jugendforscher Karsten und sagt: „Natürlich ist das normal, aber es ist eben ein Problem. Am Ende braucht es einen neuen gesellschaftlichen Konsens darüber, welche politische Macht Kinder und Jugendliche in Deutschland haben sollen. Wir müssen gerade in so langfristigen politischen Fragen wie dem Klimaschutz auch jungen Menschen die Chance geben, mit zu entscheiden – und ihnen dazu in den Medien eine Stimme geben.“
„Demokratie der Älteren“
Viele Schüler*innen auf der Demonstration in Hamburg zeigen sich genervt davon, dass sie meist nur auf die Schulpflichtdebatte angesprochen werden. „Das finde ich kritisch, weil ich das Gefühl habe, unser Protest wird total verniedlicht, aber die Relevanz und das Anliegen der Klimabewegung werden nicht gesehen“, sagt beispielsweise die Demonstrantin Viv.
Auch Jugendforscher Andreas Karsten übt Kritik: „Hier wird in einem merkwürdigen Automatismus vorausgesetzt, dass die von Erwachsenen festgelegte Schulpflicht die Rechte von Kindern und Jugendlichen auf freie Meinungsäußerung aushebelt. Das ist ganz typisch für eine 'Demokratie der Älteren’: Politik wird nicht für und schon gar nicht mit jungen Menschen gemacht – genauso wie eben viele Sendungen, Beiträge und Artikel.“
Spannend wird zudem die Frage sein, was passiert, wenn die mediale Aufmerksamkeit zurückgeht. Weil Greta Thunberg nicht mehr oder schon zu oft auf der Straße war. Weil die Bewegung, ähnlich wie bei den Protesten zum Bauprojekt Stuttgart21, zum Selbstläufer wird, und kein medial berichtenswertes Ereignis mehr darstellt.
„Die Bewegung kann das glaube ich nur schaffen, in dem sie solange auf der Straße bleibt, bis sich politisch etwas bewegt. Die Ideen dafür hat die Bewegung. Die Courage und den Anstand sie aufzugreifen, hat in der Politik noch niemand“, sagt Karsten.
Auch ARD-Journalist Andreas Lueg findet die Berichterstattung seines eigenen Hauses manchmal kritisch. Doch sich ganz den eigenen Medienmechanismen entziehen? Für ihn liegt die Lösung eher darin, „kontinuierlich an dem Thema dran zu bleiben – ähnlich wie Greta es tut, wirklich versuchen eine Veränderung zu begleiten.“. ZDF-Kollegin Jana Lübker ergänzt: „Ich habe selten so viele junge Menschen demonstrieren sehen. Natürlich würden aber auch wir Greta in den Vordergrund der Story setzen. Weil dieser Hype erst durch sie so richtig entstanden ist.“
Der Autor arbeitet als freier Journalist auch für diverse ARD-Sender.
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