piwik no script img

Berichterstattung über GriechenlandPlastiksätze überall

Die Stimmung in den Kommentaren der Qualitätstageszeitungen ist gekippt: Hohn, Spott und Beschimpfung herrschen vor.

In den meisten deutschen Medien dominiert eine klare Meinung gegenüber Griechenland Foto: Sokrates Baltagiannis (dpa)

Kanzlerin Angela Merkels Hinweis an die griechische Regierung - vor der Ankündigung des Referendums: „Wenn jemand mit uns sprechen möchte, sind wir bereit zu sprechen“, kann man in Tageszeitungen in mehreren Varianten nachlesen und als garantiert folgenloses Lippenbekenntnis verstehen.

Die Stimmung in den Kommentarspalten der meinungsbildenden Presse ist freilich anders. Sie kippte nach dem Abbruch der Verhandlungen am vergangenen Wochenende von Ungeduld, Skepsis und Drängen in Hohn, Spott und Beschimpfung. Bereits am Freitag berichtete die FAZ in einem Ton über die „Verhandlungen“ in Brüssel, als ob da ganz Alltägliches vor sich gegangen wäre: „Die Regierung Tsipras soll in diese Gespräche (der „Troika“ mit den Finanzministern, Anm. d. Red.) nicht eingebunden werden, sondern am Samstag einen letzten Vorschlag vorgelegt bekommen, den sie akzeptieren oder ablehnen kann.“

Besser als auf „Verhandeln“ reimt sich derlei auf „Ultimatum“ oder „Das Messer auf die Brust setzen“, auch wenn Jean-Claude Juncker und andere Beteiligte jetzt in den Medien das Gegenteil beteuern.

Offensichtlich spekulierten die EU-Finanzminister und „die Institutionen“ auf einen schnellen Regierungswechsel in Athen, wo die Oppositionsparteien öffentlich bekannt gaben, „jede Vereinbarung mit den Gläubigern mitzutragen, was immer deren Inhalt sein sollte“ (FAZ 26.6.2015). Man kann das auch einen Blankoscheck für die EU und die „Institutionen“ zu einem „regime change“ nennen.

„Die Reformverweigerer“

Während Tsipras sich noch zuversichtlich zeigte, „dass wir einen Kompromiss finden“, verschärften die EU-Finanzminister und die „Institutionen“ die Gangart. Eine Extrasteuer für Firmen mit über 500.000 Euro Gewinn lehnten sie ebenso ab wie eine Erhöhung der Körperschaftssteuer. Die neoliberalen Technokraten von IWF und EZB hielten das für „wachstums- und wirtschaftsfeindlich“ - 23 Prozent Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel und die Erhöhung des Renteneinstiegsalters allerdings für sozialverträglich.

Rassistische Herablassung in der FAZ: Die Währungsunion wird italienischer.

Schon in seinem Samstag-Kommentar schrieb Holger Steltzner, einer der vier FAZ-Herausgeber, offenbar verärgert über die griechischen „Reformverweigerer“, vom „ewigen ‚Retten‘“ und mokierte sich über „eine kleine „Mehrwertsteueranpassung“ und ein „Rentenreförmchen“. Mit neudeutscher, ins offen Rassistische abdriftenden Herablassung gegenüber Südeuropäern meinte er: „Die Währungsunion wird noch italienischer“.

Schon bevor das Referendum angekündigt wurde, wusste Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung: „Zu einer Trennung wird es kommen müssen“ und empfahl einen Schuldenerlass bei gleichzeitigem „kontrolliertem Austritt“ Griechenlands aus der Währungsunion, die Tsipras verwechsele mit einer „Wohlstand-Verteilungs-Gemeinschaft“.

Kornelius räumte ein, das sei „hart und fremdbestimmt“, aber „volkswirtschaftlich“ richtig und alternativlos (SZ vom 27. Juni). Der Kommentar kulminiert im bekannten Loblied auf die „disziplinierende Kraft“ der „Reform“logik in einer wirtschaftskompatiblen Demokratie.

„Tsipras und seine Gesellen“

Bei Berthold Kohler (FAZ vom 29. Juni) kam das Referendum als „nächtliche Brüskierung“ durch „Tsipras und seine Gesellen“ an. „Diese Truppe“ aus „Nationalkommunisten“ und „Hardcore-Ideologen“ verdiene nur noch herablassenden Schimpf, denn sie strebe nichts Geringeres als eine „grundsätzliche Politikwende“ an. Wo fast alles als „alternativlos“ gilt, bleibt kein Platz für eine Politik, die mehr und anderes anstrebt, als die gegebenen Zustände zu verwalten und fortzuschreiben.

Bei allen Vorbehalten gegenüber zum Teil etwas bizarren Auftritten der griechischen Regierung – die schnöde Missachtung der „Institutionen“ und der EU-Politik gegenüber der demokratisch gewählten griechischen Regierung sowie die mediale Begleitmusik dazu spotten schon seit Monaten jeder Beschreibung.

Voller Häme bezeichnet die FAZ die Beschränkung des Bargeldbezugs für Millionen von Griechen auf 60 Euro als „tägliches Begrüßungsgeld“, als ob es sich um deutsche Almosen handelte.

Einen jahrelang erprobten Kurs fährt die FAZ gegen einen Intellektuellen, der sich auch im garstigen politischen und wurstigen medialen Klima die Freiheit nicht austreiben ließ, darauf zu beharren, dass in der Demokratie nicht Banken und politische Apparatschicks das letzte Wort haben, sondern Bürgerinnen und Bürger. In der SZ vom 23. Juni hat der Philosoph Jürgen Habermas gegen die Südeuropa aufgezwungene soziale Verelendungspolitik protestiert.

Der Philosoph mit „guten Absichten“

Die Antwort der FAZ kam prompt. Schon als Habermas 2001 den Friedenspries des deutschen Buchhandels erhielt, verhöhnte ihn ein FAZ-Journalist als Philosoph der „guten Absichten“ und eine Art Ordnungshüter im Kinderzimmer.

Mittlerweile zu den FAZ-Herausgebern aufgerückt, antwortete Jürgen Kaube jetzt auf Habermas‘ Essay in der FAZ vom 30. Juni und konzedierte diesem, sein Plädoyer für das Primat der Politik verharre in „magischem Denken“ und stehe im Bann des „Kasperletheaters der Herren Varoufakis und Tsipras“. Kaube fasst „Politik als Beschaffung von Mehrheiten“ etwas bieder und kommt nicht über die halt- und substanzlose Unterstellung hinaus, „der Philosoph“ wisse „auch ohne Bürgerbefragung,… wie Europa als Transferunion auszusehen“ habe.

Neoliberal kostümierte Plastikwörter wie „Umverteilung“ und „Transferunion“ sind Boulevard- und Talk-Show-Gerede. Sie beeindrucken nur noch jene, von denen sachhaltige Analysen der Ursachen der Banken- und Schuldenkrise sowie der institutionellen und demokratischen Defizite der EU bislang nicht zu erwarten sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Erschreckend ist die Berichterstattung vor allem der Öffentlich Rechtlichen. Der unsägliche Herr Krause aus Brüssel ujnd sein Kollege Dalheimer betreiben reine Stimmungsmache. Endlich dürfen sie mal sio richtig den Bildschirm zur Selbtsverwirklichung nutzen. Sie kommentieren ohne zu informieren. Letztens jammerte die ZEIT darüber, das die Menschen in die Medien kein Vertrauen mehr haben. Gerade das Beispiel Griechenland zeigt, das es dazu allen Grund gibt. So einseitig, ohne die Gegenseite auch nur zu Wort kommen zu lassen, Beschämend. Mit den Aufsagern der letzten Zeit, die Herr Krause aus Brüssel und Herr Dahlheimer vom Bayerischen Rundfunk (!) aus Athen abgelassen haben. Da wird gegen Grundregeln des Journalismus verstoßen - Kommentar anstatt Information, einseitige Argumentation statt Vielfalt der Argumente. Einig sind sich die Herren Journalisten von ARD und ZDF mit dem Finanz-Bismarck aus Berlin: Die Zypras Regierung muss weg! Das waren noch Zeiten, als man 1967 griechische Obristen zum Putschen hatte....

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Worauf weder FAZ noch taz hinweisen:

    Auch Syriza hat ganz offensichtlich nicht vor, die 800 Reichsten im Land, die seit 1830 keine Steuern zahlen, angemessen zu besteuern und mit einer Vermögensabgabe zur Solidarität aufzufordern!

    Quellen: http://www.heute.de/interview-mit-heinz-richter-zur-griechenland-krise-eu-geld-fuer-hemmungslosen-konsum-ausgegeben-38939238.html http://www.bpb.de/apuz/142833/politische-kultur-in-griechenland?p=all

    Eine angeblich linke Regierung besteuert die Vermögenden nicht. Na das kann ja heiter werden.

    • @2097 (Profil gelöscht):

      Diese Besteuerung würde nur leider absolut nichts an den aktuellen Problemen der griechischen Wirtschaft ändern. Im allerbesten Fall verringerte sie die Nachfrage nicht mehr, ohne aber dieselbe anzufachen.

  • @Jaroslaw Majchrzyk

    Da stimme ich grundsätzlich zu.

    Die falsche Übersetzung ist nur ein Detail, aber ein symptomatisches: Die Aussage, dass die Szenarios A und B (volle oder teilweise Durchsetzung der Reformen) schuldentragfähig sind, wird ins Gegenteil verkehrt. Das ist kein Lapsus, sondern gezielte Wählermanipulation.

    Ich stimme auch zu, dass die Vorschläge der Troika sozialpolitisch hart und wirtschaftspolitisch fragwürdig sind. Aber das, was da zu lesen steht, ist kein knallharter Neoliberalimus.

    Und ich stimme auch zu, dass Zins- und Schuldenlast Probleme sind, die Griechenlast (in der Wortwahl Syrizas) "ersticken". Dies liegt hauptsächlich an der Fehlkonstruktion des Euro. Er bot Griechenland die Droge Staatsverschuldung zum Schnäppchenpreis an, und heute wundern wir uns über den kranken Mann am Bosporus. Aber die Hauptakteure dieses Konflikts verteidigen den Euro wie einen Fetisch. Der Ausstieg aus dem Euro ist sicher kein Allheilmittel, und er wird wahrscheinlich de facto erfolgen, auch wenn er de jure nicht vorgesehen ist. Aber wahrscheinlich wäre er ein sinnvoller Schritt. Schweden hat den Euro nicht und will ihn nicht, aber es hat gute Wirtschaftsdaten und ein vorbildliches Sozialsystem.

    • @Otto Jägermeyer:

      "Schweden hat den Euro nicht und will ihn nicht, aber es hat gute Wirtschaftsdaten und ein vorbildliches Sozialsystem."

       

      Die EUR-Länder sind derzeit die Gelackmeierten und haben die Arschkarte.Das sieht man z.B. am Verfall des Euro, was dazu führt, dass z.B. das Reisen in Länder ohne Euro für die Euro-Touristen immer teurer wird. Die Frage ist allerdings, ob Deutschland - hätte es die DM noch - wirtschaftlich genauso stark wäre wie heute mit dem EUR. Reine Spekulation natürlich. Aber diese Währungsunion gehört reformiert.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Die Stimmung in den Kommentarspalten der meinungsbildenden Presse ist freilich anders. Sie kippte nach dem Abbruch der Verhandlungen am vergangenen Wochenende von Ungeduld, Skepsis und Drängen in Hohn, Spott und Beschimpfung."

     

    "Kippte" ist wohl nicht ganz richtig. Die ganze Berichterstattung zumindest seit den Wahlen geprägt von der Regel: 20% Informationen 30% Desinformationen 50% Emotionen. Und das wohlgemerkt in der Qualitätspresse.

     

    Man kann sich z.B die Kommentare bei FAZ angucken. Auch da herrscht die Meinung: die gehen mit 56 in Rente, haben dreimal so viele Beamte wie DE und haben von uns in den letzten Jahren über 300 Mrd. bekommen.

    Verbildung überall.

    Wenn es in 10-20-30 Jahren darum geht, gegen den digitalen Arbeitsplatzkannibalismus und Uberisierung vorzugehen, wird GR wohl Anfang der Geschichte sein. Wohl ein trauriger.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      Mir gefallen ihre Beiträge!

      • 1G
        10236 (Profil gelöscht)
        @849 (Profil gelöscht):

        Danke

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Heute mit ganz vorne: der aktuelle Stern.

    Da wird einem richtig übel.

  • Naja... dass die Troika kein Ehrenmitglied der Sozialistischen Internationale ist, das ist schon klar. Aber weil ihre Vorschläge nun öffentlich zugänglich sind, lässt sich auch ganz leicht feststellen, dass Walthers Polemik uns hier ein verzerrtes Feindbild vorgaukelt. Anders als Walther schreibt, hat die Troika vorgeschlagen, auf "basic foods" eine reduzierte MwSt von 13% zu erheben. In die Reform des "social safety net" sollen garantierte Mindesteinkommen eingebaut werden. Die Körperschaftssteuer und die Luxussteuer auf Jachten sollen erhöht werden. Schlopflöcher für Steuervermeidung sollen gestopft werden. Die Tonnagesteuer auf Schiffsfrachten soll erhöht werden und die "special tax treatments of the shipping industry" soll aufhören - also Abschaffung der Steuerbefreiung griechischer Reeder. Die Preise von Generika sollen reudziert werden, also von Medikamenten ohne Patentschutz usw... usw... Das kann man alles online nachlesen in den Papieren der Troika, die nun im Referendum zur Abstimmung stehen. Neoliberale Ideologie sieht anders aus.

    Übrigens fordert die Troika auch, dass die Militärausgaben um 400 Mio. gesenkt werden sollen "including a reduction in headcount and procurement" (also Reduktion von Heer und Waffenkäufen), was Syriza ausdrücklich abgelehnt hat. Komische Linke sind das. Jedenfalls sollte man auf Syrizas manichäische PR (edle Linke und Retter der Demokratie gegen böse Neoliberale) nicht so kritiklos hereinfallen, wie Walther das tut.

    Hier sind die Dokumente und dazu eine Anmerkung, wie die griechische Regierung bei der Übersetzung geschummelt hat: http://blogs.wsj.com/brussels/2015/06/30/read-the-greek-referendum-documents/

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Otto Jägermeyer:

      Das mit der Übersetzung ist ärgerlich aber mit weitem Abstand nicht der Kern der Sache.

      Das Papier der "Institutionen" beinhaltet genug, auch genau terminierte, Maßnahmen, die sowohl sozial als auch (wahrscheinlich) wirtschaftlich sehr bedenklich sind.

       

      Viel wichtiger ist jedoch, dass man über das Hauptanliegen von Varoufakis - die Reduzierung der Zinslast (->Umschuldung) nicht mal sprechen wollte.

       

      In einem eigentlich GR gegenüber kritischen (so beabsichtigt) Artikel von Bulow/Rogoff (http://www.voxeu.org/article/modern-greek-tragedy), gefeiert als Gegenpart zu Stiglitz/Krugman, werden die Geld-/Kreditströme von GR 2006-2013 betrachtet. Wenn man von Umschuldung absieht und nur "cash flow" betrachtet, dann sieht man: 1. GR hat in der Zeit 99 (!) Mrd Zinsen bezahlt 2. aber eigentlich nur 38 Mrd bekommen. Tolle Medizin für ein Land in der Krise.