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Berichterstattung über Angriff per AutoFalsch abgeschrieben

Andreas Speit
Kommentar von Andreas Speit

Die Polizei bezeichnete die Attacke auf eine AfD-Gegendemonstrantin als „Verkehrsunfall“. Viele Medien haben das einfach übernommen.

Manchmal gibt's die Polizei-Perspektive für Journalisten auch vor Ort: Polizist 2018 in Hessen Foto: dpa

D ie Nachricht war schnell in den bundesweiten Medien: Im Anschluss an eine AfD-Veranstaltung mit dem Bundessprecher Jörg Meuthen am Samstag in Henstedt-Ulzburg hätte es Auseinandersetzungen zwischen Besucher*innen der Veranstaltung und Gegendemonstrant*innen gegeben. Die „rechte und linke Szene“ seien aneinander geraten, schrieb die Polizei in ihrer Pressemitteilung. „Eine Person der linken Szene“ sei durch einen Verkehrsunfall schwer verletzt worden. So weit, so schlecht.

Nicht am Samstag und auch nicht am Sonntag haben Journalist*innen diese Darstellung des Tatverlaufes durch die Polizei hinterfragt. Eins zu eins wurde stattdessen das Polizei-Narrativ kolportiert. In manchen Redaktionen dominiert ja auch das Motiv von „den Linken“ und „den Rechten“, die die Gesellschaft mit „ihren Auseinandersetzungen“ gefährden würden. Historisch so falsch wie aktuell. Die Ressentiments in der gesellschaftlichen Mitte – gar bei sich selbst – werden so nonchalant ausgeblendet.

Doch längst ist ein genaues Hinschauen mehr als geboten. Nicht bloß von Journalist*innen, aber von ihnen besonders – das ist ihre professionelle Aufgabe.

Ein Nachfassen, mögliche Betroffene oder anwesende Zeug*innen ansprechen, hätte offenbaren können, dass am Samstag ein AfD-Anhänger mit seinem Pick-up auf einem Gehweg mindestens drei Personen anfuhr, eine Frau verletzte. Das Fahrzeug wurde zur Waffe. Die Frau hätte tot sein können.

Die Relativierung der rechten Gewalt durch die Polizei wurde jedoch medial mit betrieben. Mal wieder. Seit Jahren warnen Beratungsstellen von Opfern rechter Gewalt, Pressemitteilungen der Polizei nicht einfach zu übernehmen. In Seminaren zeigen die Beratungsstellen exemplarisch, wie in einer Polizeimeldung über eine Jugendschlägerei der politische Kontext nicht erwähnt und prompt nicht berichtet wird.

Hinzu kommt: Eine Quelle genügt nicht für die Berichterstattung. Und spätestens seit dem NSU sollte bei den Pressemitteilungen der deutschen Sicherheitsbehörden ebenso die gebotene Quellenkritik erfolgen. Auch um den Opfern gerecht zu werden.

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Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
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