Aufruf vom Journalisten-Verband: Der Polizei weniger nachplappern
Redaktionen nutzen regelmäßig Informationen der Polizei, ohne sie zu überprüfen. Wegen der Berichterstattung über Ende Gelände gibt es daran Kritik.
Bei Straftaten oder Gefahrenlagen sind Journalist*innen häufig auf Angaben der Polizei angewiesen. Oft behandeln Redaktionen deren Infos als sogenannte privilegierte Quelle – das heißt, dass die Angaben keiner zweiten Prüfung unterzogen werden. Das kritisiert jetzt aber der Deutsche Journalisten-Verband (DJV). Der Verband hat dazu aufgerufen, „Meldungen und Informationen der Polizeibehörden in allen Fällen kritisch zu hinterfragen“.
Ein Aufruf, der Gewicht hat, denn der DJV ist mit rund 33.000 Mitgliedern die größte Interessenvertretung für Journalist*innen in Deutschland. Die Frage, wie Redaktionen mit Polizeimeldungen umgehen sollen, ist dabei keine neue. Immer wieder gibt es Kritik an einseitigen oder falschen Informationen der Polizei und an den Medien, die diese Informationen ungeprüft verbreiten.
Anlass für die Stellungnahme des DJV sind Berichte über die Ende-Gelände-Proteste im Juni. Die Polizei Aachen sprach nach dem Demowochenende von 16 Polizist*innen, die verletzt worden seien. Der DJV kritisiert, dass einige Medien diese Meldung einfach übernommen hätten. Denn die Polizei machte lange keine Angaben dazu, wie sich die Einsatzkräfte überhaupt verletzt hatten.
Auf Nachfrage eines WDR-Journalisten stellte sich heraus, dass von vier Polizist*innen, die ihren Dienst beenden mussten, nur zwei durch „Fremdeinwirkung“ verletzt wurden. Auf der anderen Seite beklagte das Bündnis Ende Gelände ein übermäßig hartes Vorgehen der Polizei. An sich war die Verletztenzahl der Polizei Aachen richtig, aber sie zeichnete ein unvollständiges Bild. Wie neutral kann die Polizei sein, wenn sie sich selbst gegen Vorwürfe verteidigen muss?
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„Die Polizei ist ausnahmslos der Wahrheit verpflichtet“, sagt Victor Ocansey, Pressesprecher des Landesamts für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen. Ocansey weist darauf hin, dass es Ziel der Polizei sei, gründlich und möglichst schnell zu informieren – auch „einsatzbegleitend“. Noch während ein Einsatz läuft, würden oft Presseanfragen gestellt und Falschmeldungen verbreitet, die man korrigieren müsse.
Aufgabe der Medien ist die Kontrolle der Polizei
Das Beispiel Ende Gelände zeigt: In der Eile bringt die Polizei manchmal selbst Falsches in Umlauf. Der WDR twitterte am Demowochenende in Garzweiler die Behauptung eines Polizeisprechers, Aktivist*innen, die einen Kohlebagger besetzt hielten, hätten sich mit Kot eingerieben. Wenig später korrigierte der Sprecher – und auch der WDR: Es war Öl.
Klar, Fehler passieren überall. Gerade wenn’s unübersichtlich wird. Bei manchen Meldungen fällt es jedoch schwer, an die Neutralität der Polizei zu glauben. So prüft etwa die Berliner Staatsanwaltschaft zurzeit, ob die Polizei einen Unfall korrekt dargestellt hat. Ein Radler war bei Rot über eine Ampel gefahren, wurde daraufhin von einem Motorradpolizisten verfolgt und prallte bei der Flucht gegen einen Baum.
Während die Polizei angab, der Mann sei „ohne erkennbare Fremdeinwirkung“ gegen den Baum gefahren, berichtet ein Zeuge, der Polizist habe den Radler abgedrängt. Ein Fall, der dem Vertrauen in die Polizei schaden könnte. In Deutschland neigen laut einer Umfrage der Europäischen Kommission 87 Prozent der Menschen dazu, der Polizei zu vertrauen.
„Das Vertrauen bildet die unverzichtbare Grundlage unserer täglichen Arbeit“, sagt Polizeisprecher Ocansey, und „es ist gerade die Aufgabe von Öffentlichkeitsarbeit, dieses Vertrauen zu erhalten.“ Die Aufgabe der Medien ist dagegen die Überprüfung der Polizei. Damit Medien unabhängig berichten können, seien eigene Reporter*innen vor Ort deshalb unverzichtbar, sagt der DJV.
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