Bericht zum Terroranschlag von Berlin: „Da wurde alles falsch gemacht“
Lange vor dem Terroranschlag in Berlin kannte die Polizei Anis Amri. Ein neuer Bericht listet noch einmal die Fehler der Polizei in dem Fall auf.
Amri hatte am 19. Dezember 2016 bei seinem Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt zwölf Menschen getötet – obwohl er der Polizei lange als potenzieller Islamist und Drogenhändler bekannt war und auch mehrfach festgenommen wurde. Jost, der im Auftrag des Senats arbeitete, sagte: „Man kann einen Fall wie Amri nicht 08/15 behandeln. Das geht nicht. Amri war einer der Gefährder, die im GTAZ (Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum) so oft und intensiv besprochen wurden wie kaum ein anderer. Und dann kann man nicht so tun, als ob man da einen Eierdieb festgenommen hätte.“
Die meisten Kritikpunkte in dem 72-seitigen Bericht waren schon länger bekannt. Jost analysierte sie aber noch einmal in vielen Details. Zugleich räumte er ein, dass es für die Polizei viel schwerer geworden sei, Täter wie Amri rechtzeitig zu erkennen. Die islamistischen Terroranschläge würden inzwischen mit einem geringen Aufwand verübt, es gebe kaum Vorbereitungen und daher auch viel schlechtere Chancen für die Polizei, früh genug etwas zu merken.
Allerdings hätte Amri wegen seines Drogenhandels und gefälschter Ausweise mit einer „reelen Chance“ verhaftet und in Untersuchungshaft gesperrt werden können, stellte Jost fest. Besondere Vorwürfe erhob er gegen die Kripo in Berlin. Sie hätte Amri im Sommer 2016 viel länger observieren müssen, um mehr Erkenntnisse zu sammeln, anstatt die Observation nach sechs Wochen wieder zu beenden. Die Zusammenarbeit der Drogenfahnder und der Terrorismusexperten sei dabei fehlerhaft gewesen und die Ergebnisse entsprechend schlecht. Auch die Generalstaatsanwaltschaft hätte da „ein Auge drauf haben müssen“. Jost betonte: „Da lag wirklich einiges im Argen.“
Das LKA Berlin habe zudem Amri im Februar 2016 kurz festgehalten und sein Handy beschlagnahmt. Das Vorgehen sei bis dahin völlig korrekt gewesen – aber anschließend seien die Daten aus dem Handy nicht ausgewertet worden, obwohl möglicherweise wichtige Kontakte zu islamistischen Unterstützern daraus hervorgegangen wären.
Vieles lief schief
Auch als Amri am 30. Juli 2016 von der Bundespolizei in Friedrichshafen bei der geplanten Ausreise in die Schweiz festgenommen wurde, lief vieles schief. „Da wurde fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann“, sagte Jost. Die Vernehmung Amris sei oberflächlich und nicht an seinem Status als islamistischer Gefährder orientiert gewesen. Die Polizei habe sein Handy nicht beschlagnahmt. Außerdem hätte sich sowohl die Kriminalpolizei Berlin als auch die in NRW einschalten müssen und Amri dort befragen müssen. „Es gab eine realistische Chance, ihn dort aus dem Verkehr zu ziehen.“
Innensenator Geisel sagte zur Begründung seiner Forderung nach einem Untersuchungsausschuss im Bundestag, die Fehler vor dem Anschlag seien länderübergreifend und auch auf Bundesebene begangen worden. Daher müsse auch die Rolle des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums und des Bundeskriminalamtes (BKA) hinterfragt werden. Die neuen Formen der Anschläge mit LKWs, Autos oder Messern verlangten nach neuen Methoden der Analyse, der Zusammenarbeit und des Schutzes.
Jost hatte im Auftrag Geisels Mitte April seine Arbeit begonnen, um die Ermittlungen der Kriminalpolizei und der anderen Behörden zu Amri zu untersuchen und Fehler aufzudecken. In seinem Zwischenbericht hatte er schon Versäumnisse und Aktenmanipulationen von Polizisten bestätigt, aber zugleich auch die Arbeit gegen pauschale Verurteilungen verteidigt.
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