Beratung zum Schwangerschaftsabbruch: Corona killt den Datenschutz

Die Pflichtberatung vor Abtreibungen darf während der Pandemie am Telefon oder mit digitalen Medien stattfinden. Doch die Daten sind nicht geschützt.

Frau spricht in Smartphone

Abtreibungsberatung über Whatsapp: Wie war das noch mit dem Datenschutz? Foto: Lino Mirgeler / dpa

Bremen taz | Es klang zunächst nach einer pragmatischen, schnellen Lösung. Die gesetzlich vorgeschriebene Beratung vor einer Abtreibung ist derzeit auch mit digitalen Medien erlaubt. Die taz hatte als Erste über diese Maßnahme berichtet, mit der Berater*innen und Klient*innen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus geschützt und Quarantänevorschriften eingehalten werden sollen. Doch jetzt mehrt sich Kritik an der Entscheidung: Weil der Datenschutz nicht gewährleistet sei.

Dass Frauen in diesen Zeiten keine Beratungsstelle aufsuchen müssten, sei gut, sagt Regine Wlassitschau vom Bundesverband von Pro Familia, einer Familienplanungsorganisation, die deutschlandweit an 190 Orten zu Schwangerschaftsabbrüchen berät. Aber: „Die Beratung muss trotzdem vertraulich sein.“ Eine Beratung über Dienste wie Skype oder Whatsapp könne dies nicht leisten, die Daten seien nicht so geschützt, wie sie das bei diesem sensiblen Thema sein müssten.

Pro Familia rät deshalb den Beratungsstellen dazu, Verträge mit zertifizierten Anbietern von Telemedizin zu schließen. Allerdings gebe es wegen schlechter Internetverbindungen technische Probleme im ländlichen Raum, sagt dazu die Geschäftsführerin von Pro Familia Niedersachsen, Uta Engelhardt. Andere Träger wie das Diakonische Werk im Emsland berichteten der taz, dass sie unter diesen Umständen weiter auf die Beratung vor Ort setzen würden.

In Niedersachsen nur Videoberatung

Denn in Niedersachsen ist es nicht möglich, die Beratung per Mail oder am Telefon durchzuführen. Dort sind nur Medien erlaubt, die eine Überprüfung der Identität am Bildschirm ermöglichen. Die Frauen sollen ihren Ausweis in die Kamera halten.

Die niedersächsische Datenschutzbeauftragte hat gegen dieses Vorgehen keine Einwände. „Im Normalfall“ wäre das „datenschutzrechtlich problematisch“, schrieb ihr Sprecher Johannes Pepping der taz vergangene Woche. „Die Corona-Pandemie macht aber in deutlich größerem Umfang elektronische Kommunikation zwingend notwendig.“ Pepping wies darauf hin, dass der Ausweis nicht zur Dokumentation abfotografiert werden dürfe, auch ein Screenshot sei nicht zulässig.

Nicht einmal Bayern ist so streng. Dort ist auch eine telefonische Beratung möglich, ebenso in Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Thüringen, dem Saarland und Nordrhein-Westfalen. Diese Länder schreiben den Beratungsstellen stattdessen vor, dass sie eine Kopie des Personalausweises per Post, per Fax oder als eingescannte Datei per E-Mail verlangen müssen.

Letzteres sei auch nicht sicherer als das Hochhalten des Ausweises, sofern die Mails nichts verschlüsselt seien, sagt Pepping, der Sprecher der niedersächsischen Datenschutzbeauftragten.

Sensible Daten in unsicheren Kanälen

Doch die Nutzung von Diensten wie Skype und Whatsapp, die das niedersächsische Gesundheitsministerium ausdrücklich nennt und die auch in den anderen Ländern erlaubt sind, bringt weitere datenschutzrechtliche Probleme mit sich, die bei Telefonaten und Mails nicht auftreten. Darauf weist Saskia Fritzsche, Referentin für das Gesundheits- und Sozialwesen beim Hamburger Datenschutzbeauftragten hin.

Abtreibungen sind nach dem Paragrafen 218 verboten. Sie werden nicht strafrechtlich verfolgt, wenn sie in den ersten zwölf Wochen nach Empfängnis vorgenommen werden, nach einer Beratung durch eine staatlich anerkannte Stelle und nach dreitägiger Bedenkfrist.

Um die Ansteckungsgefahr zu verringern, haben manche Beratungsstellen geschlossen oder Frauen befinden sich in Quarantäne.

Nordrhein-Westfalen hat Mitte März telefonische und digitale Beratung erlaubt.

Sie nennt als erstes Pro­blem den Austausch von Bilddaten auf „nicht hinreichend sicheren“, unverschlüsselten Kanälen. Im schlimmsten Fall würde dann nicht nur ein gehackter Chatverlauf öffentlich werden, in dem eine Frau über einen bevorstehenden Schwangerschaftsabbruch und ihre Gründe dafür spricht – sondern sie wäre auch im Bild zu sehen. Zudem, sagt Fritzsche, könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Dienstanbieter Daten aufzeichne und Metadaten erhebe.

Sie nennt ein weiteres Problem: Für die Nutzung von Videokommunikation müssten Kundenkontakte angelegt oder Apps installiert werden, „die eine Zugriffsberechtigung auf sensible Funktionen fordern und umfangreich Gerätedaten erheben“. Daher rät ihre Behörde „unter dem Gesichtspunkt der Datensparsamkeit“ zu einer Beratung via E-Mail – unter der Voraussetzung, dass E-Mails nach Ende des Beratungsgesprächs irreversibel gelöscht würden.

Aussetzen der Beratungspflicht gefordert

Noch sicherer sei ein Telefongespräch, dies sei wegen des grundgesetzlich geschützten Fernmeldegeheimnisses vergleichbar mit einem persönlichen Treffen. Fritzsche rät den Frauen, nur von eigenen Anschlüssen zu telefonieren – weil sonst anhand der auf der Abrechnung erscheinenden Nummer nachvollzogen werden könne, mit wem jemand telefoniert habe.

Die Gefahr, dass etwa ein Mann herausfindet, dass seine Frau eine Schwangerschaft abbrechen möchte, ist im rot-schwarz regierten Niedersachsen höher als in anderen Bundesländern. Denn das Sozial- und Gesundheitsministerium schreibt vor, den Nachweis über die Beratung, ohne die eine Abtreibung in Deutschland als Straftat gegen das Leben gilt, als Originalschein mit der Post zu versenden. In anderen Bundesländern kann der Schein auch per Mail oder Fax übersandt werden – was eine zeitliche Verzögerung verhindert.

Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen im niedersächsischen Landtag, Imke Byl, sagt dazu: „Das Versenden des Beratungsscheins per Post an die Adresse der Betroffenen ist besonders zynisch, wenn der im gleichen Haushalt lebende Mann nichts von der Schwangerschaft wissen darf.“

Auch Beratungsgespräche über Videochat ohne entsprechenden Datenschutz hält Byl für „hochproblematisch“. Niedersachsen müsse daher sofort vom Zwang zum Originalschein und zu Bildmedien abrücken. Anders als die Grünen im Bundestag geht sie einen Schritt weiter und fordert die Landesregierung dazu auf, sich für eine Aussetzung der Beratungspflicht einsetzen. Das hatte Ende März auch die Linke im Deutschen Bundestag gefordert, wurde darin aber nicht unterstützt.

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