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Berater über Großgenossenschaften„Das ist nicht wie bei der taz“

Genossenschaftliche Konzerne wie Edeka haben ein Demokratiedefizit, sagt Berater Burghard Flieger. Er fordert mehr Rechte für Minderheiten.

Genossenschaften können auch böse sein: hier das Beispiel Edeka. Bild: ap
Jost Maurin
Interview von Jost Maurin

taz: Herr Flieger, Edeka will die Kaisers/Tengelmann-Filialen übernehmen. Ist das nicht erfreulich, da Edeka eine Genossenschaft mit dem Prinzip „ein Mitglied, eine Stimme“ ist?

Burghard Flieger: Bei Großgenossenschaften wie Edeka hat das einzelne Mitglied nur noch sehr begrenzt Einfluss. Die Konzernzentrale hat sich von ihren Genossen, den selbständigen Einzelhändlern, weitgehend entfernt. Dafür hat sie einen verschachtelten Konzern aufgebaut, der schwierig zu durchschauen ist. Ähnlich ist das bei fast allen Genossenschaften, die mehr oder minder internationale Konzerne geworden sind, zum Beispiel dem größten Zuckerhersteller weltweit, Südzucker, oder dem Deutschen Milchkontor, der größten Molkerei in Deutschland.

Aber in allen Genossenschaften können die Mitglieder doch durch Wahlen mitbestimmen.

Am krassesten lässt sich das an den meisten Volksbanken zeigen: Die haben Vertreterversammlungen, die den Aufsichtsrat bestimmen, der wiederum den Vorstand kontrollieren soll. Die Vertreter werden aber über eine Liste gewählt, die sich fast immer aus Leuten mit besonders guten Kontakten zu Vorstand und Aufsichtsrat zusammensetzt. Und die Aufsichtsräte werden in Absprache mit den Vorständen ausgewählt. So suchen sich die Manager ihre eigenen Kontrolleure aus.

Können die Genossen nicht zwischen verschiedenen Listen wählen?

Fast nie. Anders als bei den Volkskammer-Wahlen in der DDR kann man noch nicht einmal einzelne Kandidaten durchstreichen. Und die meisten Genossen erfahren überhaupt nicht, dass es eine Wahl gibt.

Werden die nicht informiert?

Nein, das ist nicht wie bei der taz, wo man eine Einladung zur Generalversammlung kriegt, sondern das steht dann im Anzeigenteil der Regionalzeitung und oft sogar nur in Aushängen.

Im Interview: Burghard Flieger

62, ist wissenschaftlicher Leiter der innova eG, die Genossenschaften bei der Gründung berät. Er leitet zudem als Vorstand ehrenamtlich die Sozialgenossenschaft SAGES eG und die Solar-Bürger-Genossenschaft eG. Als Dozent lehrt er an der Hochschule München Gemeinwesenökonomie

Was haben die Mitglieder nach den Wahlen zu sagen?

Mein „Buhmann“ ist hier die Frankfurter Volksbank: Die hat 190.000 Mitglieder. Um ein Thema auch nur auf die Tagesordnung der Vertreterversammlung zu setzen, brauche ich 10 Prozent der Stimmen, das sind 19.000 Leute. Die kriege ich aber nie zusammen, schon weil ich die Liste der Mitglieder nicht bekomme. Bei einer Aktionärsversammlung dagegen habe ich das Recht, zur Hauptversammlung zu kommen und gegebenenfalls mich zu Wort zu melden. Während ich bei einer Vertreterversammlung als einfaches Mitglied noch nicht einmal hereingelassen werde.

Wie kann man diese Demokratiedefizite beheben?

Das Genossenschaftsgesetz sollte festschreiben, dass maximal 200 oder 300 Mitglieder nötig sind, um ein Anliegen auf die Tagesordnung zu setzen. Für das Einberufen einer außerordentlichen Versammlung sollten 500 Mitglieder genügen. Ab einer bestimmten Größenordnung müsste die Genossenschaft eine Förderbilanz darüber erstellen, was sie außer der Dividende für die Mitglieder gemacht hat, zum Beispiel für ihr demokratisches Selbstverständnis. Und der Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens hat vorgeschlagen, in das Genossenschaftsgesetz die Formulierung aufzunehmen: „Eine Listenwahl ist nicht zulässig.“ Dem kann ich mich anschließen.

Gut, aber das ist Zukunftsmusik. Sind große Genossenschaften also auch nicht besser als rein gewinnorientierte Unternehmen?

Wenn man Genossenschaften mit herkömmlichen kapitalistischen Unternehmen vergleicht, handeln sie gesellschaftlich fast immer verantwortlicher. Die Volks- und Raiffeisenbanken etwa haben im Vergleich zu den klassischen Investment- und Spekulationsbanken eine sauberere Weste. Das liegt auch an der Verankerung vor Ort, die sie zu einer stärkeren Verantwortung für ihr lokales Umfeld zwingt: Sie vergeben auch Kredite an das Kleingewerbe und den Mittelstand und sind kaum an Spekulationsgeschäften beteiligt.

Wie demokratisch ist eigentlich die taz-Genossenschaft?

Die Konsumenten unter den Genossen haben bei weitem nicht so viel Rechte wie die Mitglieder aus der Belegschaft, was anfangs nicht genug kommuniziert wurde. Die Regelung selbst halte ich aber für berechtigt, weil die taz ja früher ein kleiner selbstverwalteter Betrieb war, der sich als Genossenschaft geöffnet hat. Vorbildlich an der taz-Genossenschaft ist, dass sie auf ihren Generalversammlungen nicht nur die Bilanzverabschiedung in den Mittelpunkt stellt, sondern auch richtige Strategiediskussionen führt – etwa darüber, ob und wo Regionalredaktionen verankert werden sollen.

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2 Kommentare

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  • Einigermaßen erstaunt war ich beispielsweise, als ich das "Angebot" bekam, als Mitglied der Greenpeace-energy-Genossenschaft die Vertreterversammlung zu wählen. Fein dachte ich, mal sehen, wer kandidiert. Und kandidieren tat nur eine Liste, der ich zustimmen konnte oder eben nicht. Ausgewählt wurden diese Teilnehmer von Vorstand, Aufsichtsrat nach Kriterien, die einem die Haare zu Kopfe steigen lassen. Auf Nachfrage wurde mir mitgeteilt, dass dies irgendeine Mitgleiderversammlung mal so entschieden hätte, allerdings war die Genossenschaft entweder nicht willens oder nicht in der Lage, mit eine Kopie des Protokolls dieser Sitzung zuzusenden. Aber man bot mir an, auf der nächsten Vertreterversammlung mein Anliegen vorzutragen. Wohlgemerkt vor einer Vertreterversammlung, die ihre eigene Position schwächen würde, wenn sie meinem Anliegen nachkommen würde. Es stimmt: Genossenschaften und das Genossenschaftsrecht verdienen eine Generalüberholung, und dass man auch anders handeln, beweisen die taz-Genossenschaft und die Elektrizitätswerke Schönau (EWS), die jedesmal alle Genossen einladen, von denen dann auch jeder exakt eine Simme ausüben kann.

  • Auch Genossenschaften haben kein anständiges Belohnungssystem für ihre Mitarbeiter.

    Während sich Eliten und Etablissement mit gut dotierten Preisen und Medaillen überhäufen sind Beschäftigte im Kapitalismus nicht mal so viel wert wie Laborratten.