Benotung von Schülern im Norden: Jeder wie er meint
Die Frage, wie das Abi 2020 zustande kommt, ist noch nicht vom Tisch. Auch bei der Benotung der Heimarbeit von jüngeren Schülern herrscht Uneinigkeit.
Da war das noch gar nicht beschlossen. Doch Rabes Grammatik und Wording wurde in den Medien größtenteils übernommen, sodass Prien als vermeintliche Verliererin da stand, als sie tags drauf nach einer KMK-Schalte verkündete, dass es bei den April-Abi-Terminen bleibt.
Doch das Szenario, dass es 2020 ein „Anerkennungsabitur“ geben könnte, errechnet aus den Kursnoten der Oberstufe, ist nicht vom Tisch. Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) gab am Freitag bekannt, dass er den Start der schriftlichen Abi-Prüfungen vom 15. April auf den 11. Mai verschiebt.
Sollte auch dies nicht möglich sein, weil es das Infektionsgeschehen der Pandemie es nicht erlaubt, würden die Prüfungen „ersatzlos abgesagt“, kündigte Tonne an. Niedersachsen und Bremen haben den Vorteil, dass sie mehr Zeit haben, weil die Sommerferien erst Mitte Juli beginnen, zwei Wochen später als in Hamburg oder Schleswig-Holstein.
Landesschülerrat beschwert sich
Doch auch sonst agiert Tonne schülerfreundlich in der Krise, die seit dem 16. März zur Schließung aller Schulen führte. Das wurde deutlich, als sich am Mittwoch der Landesschülerrat Niedersachsen beklagte: Lehrer wollten die Aufgaben, die sie den Schülern ins Haus schickten, auch benoten – entgegen der Vorgaben des Ministers. Tonne hatte verfügt, dass der Unterricht bis zu den Osterferien „ersatzlos ausfällt“. Die Lehrer dürften die Schüler zwar mit Materialien versorgen, doch die Aufgaben hätten „freiwilligen Charakter“ und dürften nicht in die Leistungsbewertung einfließen.
„Ich finde das richtig“, sagt Ole Moszczynski vom Landesschülerrat. „Nicht alle Schüler haben die gleichen Voraussetzungen zu Hause.“ Viele hätten keinen Computer oder müssten auf jüngere Geschwister aufpassen, weil die Eltern arbeiten. „Die dürfen nicht durch verpflichtende Aufgaben abgehängt werden.“
Minister Tonne hielt am Mittwoch im Landtag eine Rede, in der er das weitere Vorgehen darlegte. Sollte die Schule auch noch über die Osterferien hinaus bis Ende Mai zu sein, würden als Basis für die Noten des zweiten Schulhalbjahrs die 13 Wochen Unterricht vor und nach der Schulschließung noch reichen. Sollten die Schule gar bis zu den Sommerferien geschlossen sein, würde die Leistung des ersten Halbjahres und der ersten Wochen des zweiten Halbjahres bewertet. Fächer, die nur im zweiten Halbjahr erteilt werden, würden benotet, aber nur berücksichtigt, wenn sie zum Ausgleich schwacher Leistungen in anderen Fächern beitragen.
Hamburg, das seine Frühlingsferien schon hinter sich hat, geht einen anderen Weg und benotet den „Fernunterricht“. In einem Brief des Landesschulrats von Freitag heißt es: „Die im Fernunterricht erbrachten Leistungen sind Gegenstand der Beurteilung und Leistungsbewertung.“ Die Lehrer sollen zwar „erschwerte Bedingungen im häuslichen Umfeld“ berücksichtigen, aber zugleich beachten, dass die „Fernlernzeiten“ der Kinder dem üblichen Stundenplan in der Schule entsprechen.
Ole Moszczynski, Schülersprecher
Mindestens einmal in der Woche soll mit jedem Schüler per Telefon oder Video direkt gesprochen werden. Auch Eltern von Vorschulkindern sollen den Lehrern Ergebnisse zeigen, etwa „Fotos von Bildern oder Gebasteltem“ oder „kleine Audioaufnahmen von Reimen“.
Rabes Sprecher Peter Albrecht sagt, Unterricht finde aktuell in anderer Form statt, insofern hätten die Aufgaben „keinen freiwilligen Charakter“. Eine Benotung hänge auch davon ab, ob vergleichbare Bedingungen der Schüler gegeben sind. Albrecht: „Wenn es daran im Einzelfall Zweifel gibt, freuen wir uns über entsprechende Hinweise.“
Auch aus Bremen heißt es, mit eingestelltem Schulbetrieb sei die Schulpflicht nicht aufgehoben. Aufgaben der Lehrer seien „prinzipiell zu erledigen“ und könnten auch benotet werden. Schleswig-Holstein will die Heim-Lernzeit bis zu den Osterferien nicht benoten, Schüler sollten die Zeit zur Wiederholung nutzen.
Früher gab es weniger Prüfungen
Sowohl in Niedersachsen als auch in Hamburg gibt es Klagen, dass Lehrer zu viele Aufgaben geben. Unnötigen Stress sehen Lehrer in den ebenfalls nicht abgesagten Prüfungen der zehnten Klassen für den Ersten und Mittleren Abschluss. Diese wurden 2005 erst eingeführt. „Es ging früher auch ohne diese Prüfungen“, sagt Hamburgs GEW-Chefin Anja Bensinger-Stolze und mahnt, an die Gesundheit zu denken. Und auch die Linken-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus sagt, Hamburg sollte „die Leistung über das ganze Schuljahr betrachten und sich von liebgewonnenen Regelungen distanzieren“.
Gar nicht zufrieden bei der Abi-Frage ist die Hamburger Schülerkammer. „Keiner weiß genau, wie der Infektionsschutz während der Abiturprüfungen aussehen soll“, sagt der Vorsitzende Henry Behrens. Auch sei die psychische Belastung groß. Die Kammer fordert eine flexible Lösung. Schüler sollten selber wählen, ob sie zu den Prüfungen hingehen oder ein Anerkennungsabitur erhalten, oder, als dritte Option, die Vorabiturklausuren werten lassen.
Gut an kommt dagegen Grant Hendrik Tonne in Niedersachsen. Die Planungen wirkten „verständig und mitdenkend“, sagt Florian Reetz vom Landesschülerrat. „Dass das Ministerium Lösungen für verschiedene Szenarien vorhält, zeigt, dass wir flexibel vorbereitet sind“, ergänzt Ole Moszczynski. Er vertraue auf die Wissenschaft. Sollten die Prüfungen im Mai nicht möglich sein, gebe es halt das „Durchschnittsabi“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit