Benin-Bronzen im Humboldt Forum: Es bleibt angenehm unfertig

Am Wochenende erfolgt die letzte Teileröffnung des Humboldt Forums. Das wurde unfreiwillig zum Motor des Umbruchs für ethnologische Museen.

Eine Frau fotogafiert eine der berühmten Benin-Bronzen in einer Vitrine

Die Benin-Bronzen: am 15. September 2022 fand die letzte Teileröffnung des Humboldt Forums statt Foto: Michael Sohn/ap

BERLIN taz | In einem Ausstellungsraum ragen hinter Bildschirmen unförmige Aufhängungen auf. Die Objekte, für die sie einmal gebaut wurden, sind schon auf halbem Weg nach Nigeria. In einem anderen Raum wirken die Regale so wild bestückt wie nach einem chaotischen Umzug. Und wieder ein anderer ist mit grob zusammengezimmerten Bauholzkon­struktionen voller pink markierter Leerstellen vollgestellt. Hier geht es um Tansania, die ehemalige Kolonie Deutsch-Ostafrika also, wo mit dem Maji-Maji-Aufstand 1905 einer der größten Kolonialkriege begann. Am Ende hatten die Deutschen etwa ein Drittel der Bevölkerung ermordet.

Wegen der Pandemie habe die Kollaboration mit Kol­le­g*in­nen aus Tansania verschoben werden müssen, berichtet Kuratorin Maike Schimanowski, diese Ausstellung sei bestenfalls ein Zwischenstand. Anstelle von Objekten ungeklärter Herkunft zeige man nur Stellvertreter*innen, die die Originale darstellen, aber nicht kopieren – und deren Geschichten sie gut erzählen können.

Die gute Nachricht ist: Das Humboldt Forum bleibt ein Jahr nach seiner Eröffnung und nach seiner letzten ­Teileröffnung an diesem Wochenende, wenn zu den rund 6.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche noch einmal rund 9.500 dazukommen, angenehm unfertig. Die schlimmsten Befürchtungen, die Kri­ti­ke­r*in­nen seit Jahrzehnten gegen dieses teuerste Kulturprojekt der Bundesrepublik in Berlins wiederaufgebautem Hohenzollernschloss vorbringen, haben sich nicht erfüllt.

Eine Art Motor für den Umbruch

Das Humboldt Forum zeigt sich von seiner bislang einsichtigsten Seite. Indem das Projekt seit Jahren von der Öffentlichkeit, den Medien, der Zivilgesellschaft, Mu­se­ums­wis­sen­schaft­le­r*in­nen und Ver­tre­te­r*in­nen des postkolonialen Diskurses mit schärfster Kritik begleitet wurde, hat es sich zu einer Art Motor für den Umbruch der ethnologischen Museen weltweit entwickelt. Womit wir auch schon bei der schlechten Nachricht wären. Denn dieser Motor stottert bildlich gesprochen an manchen Stellen noch gewaltig.

Zum Hintergrund: Es ist gut 30 Jahre her, dass Wilhelm von Boddien, ein Landmaschinenhersteller aus Schleswig-Holstein, zum ersten Mal die Idee zum Wiederaufbau des Schlosses hatte und auf großen Planen eine Simulation installierte. Erstaunlicherweise überzeugte er damit nicht nur die konservative Elite Berlins, die seither viel Geld für die barocken Fassaden spendete, sondern auch die deutsche Politik.

Vor knapp 20 Jahren wurde das Schloss vom Bundestag beschlossen. 2006 bis 2008 wurde eines der umfänglichsten Symbole der DDR, der Palast der Republik, der zuvor von Künst­le­r*in­nen subversiv zwischengenutzt worden war, dafür zurückgebaut. Von Boddien hatte die Ziele seines persönlichen Kalten Kriegs erreicht: die angebliche Wiedergutmachung des Schlossabrisses auf Veranlassung Walter Ulbrichts 1950 und die Zerstörung jeder Erinnerung an die DDR an diesem Ort.

Eine schallende Ohrfeige

Vor diesem Hintergrund empfanden es viele als schallende Ohrfeige, als sich 2012 die Idee durchsetzte, dass ausgerechnet das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst vom entlegenen Berliner Stadtteil Dahlem in die Mitte der Stadt rücken und den Löwenanteil der Flächen im Humboldt Forum bespielen sollten. Koloniale Raubkunst in einem Haus, das nur kleine Teile der Berliner Stadtgesellschaft wollten und das wie kein anderes ans deutsche Kolonialreich erinnert? Der Aufschrei der Schloss­geg­ne­r*in­nen – allen voran der afrodeutschen Diaspora in Berlin – hätte kaum lauter sein können.

Sie hatten allen Grund, wütend zu sein. So hatte der Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2011 über die Entstehung des Ethnologischen Museums Ende des 19. Jahrhunderts in einer Werbebroschüre verlauten lassen: „Damals entstand das wissenschaftliche Fundament des Ethnologischen Museums in Berlin, und es entstand auf legale Weise. Die Berliner Museen sind deshalb rechtmäßige Besitzer ihrer Bestände.“ Noch zur pandemiebedingt digitalen Eröffnung des Humboldt-Forums Ende 2020 wiegelte Intendant Hartmut Dorgerloh ab: Die umstrittenen Benin-Bronzen sollten nicht nach Afrika gehen, sondern in seinem Haus der wichtigste Publikumsmagnet bleiben.

Seitdem ist nicht viel Zeit ins Land gegangen, aber die Debatte über Deutschlands koloniale Vergangenheit und die Politik der Rückgabe kolonialen Raubguts hat den unbeweglichen Tanker Humboldt-Forum mit seinen vielen Ak­teu­r*in­nen geradezu überfahren. Das lässt sich am besten an den Bronzen aus dem Königreich Benin im heutigen Nigeria erzählen. Sie gelangten im Zuge einer kolonialen „Strafaktion“ britischer Soldaten 1897 nach Europa. Berlin hat nach London die zweitgrößte Sammlung weltweit.

Nigeria verlangt die Bronzen seit Anfang der 1970er Jahre offiziell zurück, manche davon sogar schon seit 1935. Doch erst in den vergangenen zwei Jahren wurde der Druck so hoch, dass die deutschen Museen mit größeren Benin-Beständen – neben Berlin sind dies Hamburg, Köln, Leipzig und Stuttgart – ihre grundsätzliche Bereitschaft zu „substan­ziellen Rückgaben“ erklären mussten. Am 1. Juli 2022 unterzeichneten Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Außenministerin Annalena Baerbock mit ihren nigerianischen Amtskollegen eine entsprechende Absichtserklärung. Seit Ende August gehören die 512 „Berliner“ Benin-Bronzen offiziell Nigeria – Berlin darf kostenlos für zehn Jahre 168 Objekte behalten.

Planänderung in letzter Sekunde

Das Humboldt Forum musste sich immer heftiger in die Riemen legen. In den letzten sechs Monaten, bestätigt der Chef des Ethnologischen Museums Lars-Christian Koch während einer Presseführung am Dienstag, wurde die Gestaltung eigentlich fertiger Räume verworfen, allen voran desjenigen über Benin: Ursprünglich war geplant, rund die Hälfte der 506 Berliner Benin-Objekte zu zeigen, aktuell sind nur noch rund 30 zu sehen.

Statt große Reliefs zu betrachten, kann man nun einer Diskussion über Restitution folgen. Es gibt In­ter­ven­tio­nen zeitgenössischer Künst­le­r*in­nen aus Nigeria. Um einen großen Tisch für Workshops hängen leere Vitrinen, die sich erst nach und nach mit den Ergebnissen der Workshops füllen werden.

Aber auch darüber hinaus hat das Humboldt Forum vieles verändert: Es gibt eine Ausstellung über den amerikanischen Ethnologen und Omaha Francis La Flesche, die von Ver­tre­te­r*in­nen der Omaha gestaltet wurde, und eine Ausstellung über die Naga, eine Bevölkerungsgruppe im Nordosten Indiens, die von der Fotokünstlerin und Naga Zubeni Lotha cokuratiert wurde.

Hier hat das Weltdeutungszentrum Europa nicht ein paar nette Ergänzungen von außen eingeholt, sondern einen echten Perspektivwechsel vorgenommen. Das Reformbedürfnis dieser Institution und der Wille, endlich wieder in die Vorhand zu kommen, sind deutlich spürbar. Das ist das eine.

Erklärtexte an den Bronzen

Das andere aber ist wie gesagt, dass es nicht durchgängig gelingt. Im Ausstellungsraum für Benin etwa gibt es Erklärtexte an den verbleibenden Bronzen, in denen noch immer die Rede davon ist, die Objekte seien „gesammelt“ worden – dabei haben sich große Teile der Museumswelt längst auf das zutreffendere „angeeignet“ geeinigt. Bei zwei Thronhockern, die bald nach Nigeria gehen werden, ist die Rede von einer „Einnahme der Stadt Benin“ – eigentlich verbrannten und verwüsteten die britischen Soldaten die Stadt und plünderten den königlichen Palast. Eine Ngonnso-Statue aus Kamerun (die taz berichtete) soll zwar nun ebenfalls endlich zurückgehen – aber eine Erklärung dazu gibt es an der Vitrine noch nicht.

Der größte Ausfall aber in den neuen Ausstellungen ist das sture Festhalten des Humboldt Forums an seinen riesigen, obszönen Schauvitrinen, in denen sich die Objekte bis unter die Decke reihen – und wahlweise an Omas Kellerregale voller Apfelkompott oder Kaufhausregale erinnern. Bereits zur ersten Teileröffnung vor einem Jahr wurde das Museum kritisiert, dass es immer noch ungebrochen eine Schatzkammerästhetik wie in den 1950er Jahren vertrete. Tatsächlich geht es hier nach wie vor weniger darum, Depots dem Publikum zugänglich zu machen, als darum, zu zeigen, was man hat.

Die Objekte, die Geschichten zu erzählen hätten und Eigenleben entwickeln könnten, bleiben stumm. Ein einfaches Schild mit der beschämenden Anzahl der Objekte, die sich in den Sammlungen der beiden Museen im Humboldt Forum befinden, hätte da völlig gereicht.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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