Belgischer Internationalismus im Fußball: Gemischte Hymne
Belgiens Fußballer singen am Dienstag vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Estland ihre Hymne erstmals dreisprachig. Das ist vorbildhaft.
Nationalhymnen? Klare Diagnose: Ausdruck des Vorgesterntums. Und dann noch bei Fußballspielen: Was soll das, das Rasenpersonal vor Matchbeginn solch altbackenes Zeug mitsingen zu lassen? Glücklich sind in diesem Fall die Spanier und Spanierinnen, deren Hymne textfrei ist – allerdings ist Fußballspanien derzeit anderweitig schwer gebeutelt.
Die belgische Hymne heißt Brabançonne, der Text ist in französischer Sprache gehalten. Nun gibt es aber auch die Flamen. Die haben ihr Niederländisch. Also gibt es die Brabançonne längst auch mit niederländischem Text. Und mit deutschem! Denn im Königreich Großfrittannien leben auch noch die Ostbelgier, jenes bescheidene Häuflein von nicht mal 80.000 Menschen zwischen Luxemburg und Aachen. Die reden als „deutschsprachige Minderheit“ in erster Linie Deutsch.
Ja, Belgien ist offiziell dreisprachig. BürgerInnen Ostbelgiens haben ein Anrecht, offizielle Schriftstücke sogar aus dem fernen Brüssel oder Namur auch auf Deutsch zu bekommen. Und sie haben eben auch die Landeshymne auf Deutsch.
Jetzt soll der Fußball das textliche Durcheinander mit Wohlklang harmonisieren. Erstmals beim EM-Qualifikationsspiel in Brüssel am Dienstag gegen Estland sollen die Diables Rouges (frz.)/ Rode Duivels (nld.)/ Roten Teufel (dt.) vor dem Spiel die belgische Hymne dreisprachig singen. Die drei Texte wurden munter gemischt. Das wird dann so klingen – Textauszug:
„… Et ton invincible unité,
Le Roi, la Loi, la Liberté!
Gesetz und König und die
Freiheit hoch!
Voor Vorst, voor Vrijheid en
voor Recht! …“
Anfeuerung auf Englisch
Der Grund? „Die Kenntnis der belgischen Nationalhymne lässt zu wünschen übrig, sowohl bei den Spielern als auch bei den Fans“, schreibt der Verband. Zukünftig gilt: „Von den Jugendmannschaften bis zu den A-Mannschaften werden von nun an alle die Brabançonne in einem Mix aus den drei Landessprachen singen.“
Der belgische Fußballbund ist ohnehin sehr besonders. Er firmiert zwar in allen drei Landessprachen, doch seit 2019 präsentiert er sich nur noch auf Englisch, ob auf Website oder mit dem Logo: Royal Belgium Football Association, also in einer vierten Sprache, die zudem nicht offizielle Landessprache ist. Sie vertreten die Red Devils, auf den Spielertrikots steht seit Langem nur „Belgium“; angefeuert wird auch auf Englisch („Belgium, Belgium“), damit es keine Kakofonie wird.
Und die Auftritte in der Weltsprache Englisch gelten sogar im belgischen Sport allgemein: Es gibt offiziell die Red Lions, das sind die ehemaligen Welt- und Europameister der Herren im Hockey, Red Panthers sind die Damen. Belgian Cats heißt das Frauen-Basketballteam, Belgian Tornados die 4x400-Meterstaffel der Leichtathleten.
Die Hymnen-Premiere am Dienstagabend werden indes zwei der drei belgischen Fußballweltstars verpassen: Thibaut Courtois und Kevin de Bruyne sind verletzt. Dem Dritten, Sturmkoloss Romelu Lukaku, kann sein deutscher Trainer Domenic Tedesco Hilfestellung geben: „C’est appelé ‚Frei’eit ooch‘, Romelu!“
Europa muss belgisch werden
Belgien, von wegen Land des andauernden Sprachenstreits zwischen Flamen und Wallonen, ist im Gegenteil durch seine Mehrsprachigkeit internationalistisch. Ein Vorbild! Verschiedene Kulturen müssen sich einigen, aufeinander zugehen, mischen, kooperieren. In Belgien gehört das seit jeher zur Staats-DNA. Schon vor über 20 Jahren hat der Brüsseler Schriftsteller Geert van Istendael gesagt: „Europa muss belgisch werden oder es wird untergehen.“
Wäre eine Hymnenänderung auch für unser deutsches Fußballland angemessen? Schwerlich: Wer möchte „des Glückes Unterpfand“ übersetzen, in welche Sprache auch immer? Ob es hülfe, die Flicksche DFB-Trümmertruppe mit „Germany, Germany“ anzufeuern? Oder sollte man, wo wir halt nur eine Landessprache haben, ersatzweise die Staatshymnen von BRD und DDR mischen?: „Auferstanden aus Ruinen, danach lasst uns alle streben. Blühe Deutschland, einig Vaterland…“
Allerdings: In beiden Texten ist von brüderlichem Dasein die Rede. Was könnte schwesterlich sein? Hilfsweise bietet sich die Hymne der EU an, deren Machtzentrum ja im multilingualen Belgien liegt: Im Text Beethovens Neunter („Ode an die Freude“) ist immerhin von einem „holden Weib“ die Rede und einer „Tochter aus Elysium“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja