Irans erster WM-Auftritt: Verschwiegene Gemeinschaft

Iran verliert 2:6 gegen England. Das Zeichen, das die iranischen Spieler setzen, erntet Respekt – die Binde, die Englands Kapitän trägt, eher nicht.

Spieler und Betreuer des irnischen teams bilden auf dem Spielfeld einen Kreis

Nach dem Spiel spricht Irans Trainer Carlos Queiroz mit seinem Team Foto: Xinhua/imago

Da der Fußball weit mehr ist als ein Spiel, reichen die Ausläufer seiner Bedeutung auch in den Bereich der Semiotik. Welche Zeichen sind wichtig? Wie sind sie zu deuten? Welchen Inhalt und Ausdruck hat so ein Zeichen? Vor dem Spiel der iranischen Fußballnationalmannschaft musste man kein Semiotik-Experte vom Schlage eines Ferdinand de Saussure sein, denn was da auf den T-Shirts von manchen Fans, Frauen wie Männern, prangte, war ganz einfach zu dechiffrieren.

Da standen Slogans mit klaren Botschaften: „Rise with the Women of Iran.“ Oder: „Free Iran.“ Nur ein sehr kleiner Teil der persischen Schlachtenbummler trug so etwas, die meisten hatten schlicht das Teamtrikot und Schweißbänder in den Farben der Islamischen Republik an, aber immerhin.

Im Khalifa-Stadion von Doha ging das semiotische Spiel dann weiter. Zu den Klängen der Nationalhymne blieben die Spieler um Kapitän Ehsan Hajsafi stumm, das Publikum schien diese Geste zu bejubeln, ein paar iranische Fans machten den Doppeldaumen nach unten, um zu zeigen, was sie vom Regime der Mullahs und des ultraorthodoxen Wächterrats halten: nichts. Im Land gibt es bekanntlich einen Aufstand gegen die Bartmänner um Ali Chamenei, nicht selten getragen von Frauen, die zum Zeichen ihres Protests den Schleier ablegen und für individuelle Freiheitsrechte kämpfen.

Als die Hymne verklungen war, reckten die iranischen Spieler die Hände gen Himmel und blickten nach oben, während alle Anwesenden im Stadion darauf warteten, dass Harry Kane, der englische Teamkapitän, endlich seine blaue Trainingsjacke auszieht, damit zu sehen ist, was für eine Armbinde er denn nun zum Zeichen der Weltverbesserung trägt.

Wie sich alsbald herausstellte, war es nicht die „One Love“-Binde, sondern ein „No Discrimination“-Teil, das des Weiteren zwei sich umschlingende Hände zeigte, umrahmt von einem Herzchen. Auch kniete die Elf der Engländer, wie man das seit Monaten (oder Jahren?) aus der englischen Premier League kennt. Diese Semiotik-Kaskade bedarf natürlich einer Erklärung. Der Ball ist rund, und das Spiel dauert 90 Minuten, aber die Kniesache ist ein Zeichen gegen Polizeigewalt in den USA, und die „One Love“-Binde ist nicht etwa eine an die WM 2014 in Brasilien (Motto-Song: „One Love, one Rhythm“) angelehnte und wiederaufgelegte Fifa-Kampagne zur Völkerverständigung, sondern richtet sich gegen das homophobe Katar und die herumeiernde Fifa.

Kanonisierte Binde

Kane trug die „No Discrimination“-Binde unbehelligt, der katarische Schiedsrichter zeigte ihm dafür keine Gelbe Karte, was dafür sprach, dass die Binde kanonisiert worden war vom Fußballweltverband unter der Leitung von Gianni Infantino. Es hatte bis zum Anpfiff am Montagmittag heftige Dis­kussio­nen gegeben, ob „One Love“ gegen den Willen der Veranstalter durchzusetzen ist oder nicht.

Jetzt ist klar: Diese Binde, von einigen europäischen Mannschaften wie Deutschland, Frankreich, England und Dänemark favorisiert, schafft es wohl nicht mehr auf den Bizeps der Kapitäne, was Infantino freuen dürfte, den Schweizer aus dem Wallis, der sich intern bestimmt wieder über den Tugendstolz und den Kulturimperialismus der Europäer aufregt und nach außen erklärt, alle Nationen müssten bei solchen Aktionen halt mitgenommen werden, auch die autoritären, diktatorischen, halb- und vierteldemokratischen Teilnehmer an diesem Championat.

Es ist wahrlich ein Kreuz! Beziehungsweise: ein Halbmond. Die Mentalität des Mitnehmens von allen führt zwangsläufig zu faulen Kompromissen, und die europäischen Taktgeber retten sich nach solchen Vereinbarungen in Aussagen von zweifelhaftem Wert – wie der deutsche DFB-Manager Oliver Bierhoff: „Sie können uns die Binde nehmen, nicht aber unsere Werte.“ Aber worin bestehen die Bierhoff’schen Werte? Dass er ungestört ein Leben als Markenbotschafter und Testimonial mit hübschem Wohnsitz am Starnberger See führen kann? Dass er, moralisch hoch zu Ross, in der eskapistischen Reichenresidenz im Norden Katars über die Verfehlungen der anderen sprechen darf?

Das große Zappeln

Aber zurück zum Spiel, das schnell erzählt ist. Die Iraner, eigentlich ein sehr solides Defensivteam, schien die Köpfe voll mit Politik zu haben, abgelenkt zu sein von den unmittelbaren Aufgaben, die ihnen die Engländer stellten. Es ging dann Schlag auf Schlag. Das Netz zappelte sehr oft. 6:2 für das Team von Coach Gareth Southgate, der danach in der Pressekonferenz, in der er alle Anwesenden zum Tragen von Masken zwang, durchaus Verständnis hatte für die Position der Fifa: „Ich verstehe sie, es ist schwer, eine klare Linie zu ziehen.“

An den Binden-Verhandlungen vor Matchbeginn sei er nicht beteiligt gewesen, „aber die Leute wissen ja, wofür wir stehen“. Das weiß man mittlerweile auch von vielen Spielern des iranischen Teams. „Bis auf zwei Spieler äußerten sich bisher alle kritisch gegenüber dem Regime, keiner singt die Nationalhymne mit oder freut sich nach Toren“, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour in einem Interview. Die Iraner freuten sich zwar über ihre zwei Tore, aber mit der kritischen Haltung hat er wohl recht. Vor allem Teamkapitän Hajsafi wagte sich vor: Er würde sich freuen, wenn sein Team als Kraft für den Wandel im Land diente, sagte in einer PK vor dem Spiel.

„Wir müssen akzeptieren, dass die Bedingungen in unserem Land nicht richtig und unsere Leute nicht glücklich sind“, verdeutlichte er. „Wir sind hier in Katar, aber es bedeutet nicht, dass wir nicht ihre Stimme sein sollten oder wir sie nicht respektieren dürfen.“ Und weiter: „Wir müssen kämpfen. Wir müssen einige Ziele erreichen, um dem tapferen Volk des Iran ein vernünftiges Ergebnis zu präsentieren. Ich hoffe, dass sich die Bedingungen der Menschen ändern.“

Trainer der iranischen Mannschaft ist der Portugiese Carlos Queiroz, der bereits von 2011 bis 2019 die iranische Elf betreut hat. Seit diesem Jahr hat er den Posten wieder inne. Er bat die Journalisten am Montagnachmittag fast schon inständig darum, die Spieler nicht mehr mit Fragen zur Politik zu löchern. „Let the kids play“, sagte er immer wieder. Lasst sie in Ruhe ihr Spiel machen, sich darauf konzentrieren, was bei dieser WM für ihn wichtig ist: „Wir sind hier in der Nummer-eins-Fußballshow, und das sollte meinen Spielern klar sein.“

Natürlich hätten er und seine Schützlinge „Meinungen, Einstellungen und Emotionen“ zur brisanten Lage, „aber wir werden sie zu gegebener Zeit kundtun, nicht jetzt“. Auch das ist ein Zeichen, dessen Deutung eine Frage der Perspektive ist. Carlos Queiroz, 69, ist eben ein Fußballmensch, und als solcher will er eine fokussierte, erfolgshungrige Elf trainieren. Die Klatsche gegen England definierte er kurzerhand um zum „Trainingsmatch“. Nun sei der Iran viel besser auf die Partie gegen Wales vorbereitet. Und dann wieder: „Hey, teachers, let the kids play!“

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