Belgiens AKWs sind unterversichert: Der atomare Haftungs-GAU
Belgien findet für seine Pannenmeiler Doel und Tihange keine neue Versicherung. Das beträfe auch Ansprüche aus Deutschlands grenznahen Regionen.
taz | Versicherungen sind in einer Welt wachsender Risiken ein wichtiges Fundament des Handelns – und sie sind umso wichtiger, je größer das mögliche Risiko ist. Bestes Beispiel ist die Haftpflichtversicherung sowohl für Privatleute als auch für die Industrie. Das potenziell größte Desaster könnte ein Atomkraftwerk anrichten. Wer haftet dann? Wer zahlt?
Die pannenreichen Meiler in Belgien, Doel bei Antwerpen und das besonders störanfällige Tihange nahe Lüttich, haben damit aktuell ein Problem: Ab 2021, wenn eine Neuregelung zur Versicherungshöhe greift, müssen sie sich deutlich umfänglicher versichern – und finden dafür keine Assekuranz. Das berichtete jetzt die flämische Zeitung De Standaard.
Bislang beträgt die vorgeschriebene Haftpflicht in Belgien kümmerliche 1,2 Milliarden Euro. Selbst wenn sie verzehnfacht würde, wäre das noch eine dramatische Unterversicherung. Eine Studie von Greenpeace Energy kam 2017 auf bis zu 430 Milliarden im Falle eines GAU. Finanzmathematiker haben errechnet, wie teuer dann eine Haftpflichtpolice für ein AKW eigentlich sein müsste: 72 Milliarden Euro jährlich. Abzudecken wäre das mit dem Zwanzigfachen des Strompreises. So wirtschaftlich ist Atomenergie.
Ungeklärt ist zudem, ob Geschädigte in Belgiens Nachbarländern überhaupt etwas bekämen. Die Aachener Stadtgrenze ist vom Meiler Tihange in Hauptwindrichtung Westsüdwest nur 57 Kilometer Luftlinie entfernt, das niederländische Maastricht 44 Kilometer. Insgesamt wohnen etwa neun Millionen Menschen in 75 Kilometer Umkreis.
„Nicht attraktives Risiko“
Ein Sprecher der belgischen Versicherungsgesellschaften stellt fest: „Die Versicherung kann heute nicht gedeckt werden, und sie kann auch international nicht rückversichert werden.“ Atomkraftwerke würden als „nicht attraktives Risiko“ gelten: „So etwas hassen die Versicherungen.“ Unattraktiv sind sie auch, weil viele Versicherer seit einigen Jahren offensiv mit Nachhaltigkeitsdenken werben. Da sind Schrottmeilerpolicen ein Image-GAU.
Aber: Ohne ausreichende Versicherung, so De Standaard, müsse der Kraftwerkebetreiber Engie Electrabel bei der Regierung vorstellig werden, um eine gesetzliche Garantie zu beantragen. Einspringen müsste also der Staat. Nur welcher? Belgien ist, Stand heute, seit 426 Tagen ohne Regierung. Das Land wird nur geschäftsführend verwaltet, ohne die Möglichkeit zu Gesetzgebung oder Budgetentscheidungen. Am Freitag ist der nächste königliche Vermittler gescheitert. Bis zu Belgiens eigenem Weltrekord von 541 Tagen Regierungslosigkeit (2010/11) sind es nur noch vier Monate.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert