Beleidigungen in den Fußballstadien: Eine nette autoritäre Familie
Erst werden die Fußball-Ultras wie Pubertierende abgekanzelt, nun werden sie für ihre Kreativität gelobt. Das hat System.
Zum Durchklicken. Kreative Fanproteste.“ Selbst auf der Homepage von Sky, dem exklusiven TV-Partner der Deutschen Fußball-Liga, lockte man an diesem Wochenende die Internetkundschaft, indem man die Kommerz- und Verbandskritik der Ultras auf schönen Bilderstrecken präsentierte. Das ist nichts weiter als eine Randbeobachtung. Sie illustriert jedoch gut, wie schwer es für die Ultras ist, aus dem vielfach kritisierten kommerziellen System auszubrechen. Sie sind schon seit Jahren ungewollt Bestandteil dieses Systems.
Allein die große Anzahl ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter bringt es jedoch mit sich, dass ihre Positionen stets arg plakativ und wenig ausdifferenziert erscheinen. Ihnen haftet das Stigma des pubertären Protests an. Umso leichter kann sie kollektiv und generell abgewiesen werden, was wiederum Gegenreaktionen provoziert.
Der Protest gegen Dietmar Hopp am vorletzten Spieltag, der ja eigentlich einer gegen Kollektivstrafen war, kann als jugendliche Eskalationsstrategie gelesen werden, um Aufmerksamkeit und Gehör zu finden. Die Großkopferten des Fußballs nahmen die Rolle des Patriarchen ein, der darauf hinweist, dass Kritik – auch von unten – ja schön und gut sei, aber nur innerhalb der Grenzen, die man den Fußballfans vorgibt.
Um im Bild zu bleiben, befinden sich nach dem großen Familienkrach alle Seiten – zumindest kurzweilig – wieder auf dem Kurs der Deeskalation. Die Ultras führten dieses Wochenende in unzähligen Fußballstadien Selbstgebasteltes und Selbstgedichtetes vor und verzichteten bereitwillig auf unflätige Beschimpfungen. Die Fans des SC Freiburg lasen etwa ihrem ehemaligen geschätzten Vereinschef und heutigem DFB-Präsidenten Fritz Keller fast schon kreuzbrav die Leviten: „Zurück zu Kollektivstrafen. Rassismus relativiert. Bewusst eskaliert. Fritz Keller – nichts kapiert.“
Keine Lösung in Sicht
Die erbosten Kritiker der vergangenen Woche lobten nun die Fans für all die vielen Spruchbänder und für ihre Zurückhaltung und Kreativität. Zufriedenstellen wird das die Ultras mit Sicherheit nicht, wird ihnen doch so auch ihre Ohnmacht vor Augen geführt. Eine tragfähige Konfliktlösung ist nicht in Sicht.
Man muss sich keine Sorgen machen, dass die organisierte Fanszene nicht um ihre Bedeutung wüsste. Mit ihren Machtansprüchen, die insbesondere die Ultras daraus ableiten, scheitern sie jedoch eben regelmäßig. Die wirklich mächtigen Funktionäre und Vereinsbosse fressen ihnen nur in Ausnahmefällen aus der Hand, wenn sich aus deren Sicht Nützliches herauspicken lässt.
Der Erhalt der Stehplätze in den deutschen Fußballstadien wäre etwa ohne das große und leidenschaftliche Engagement der organisierten Fanszene kaum möglich gewesen. Die damit bewahrte Ursprünglichkeit des Fußballs, seine Zugänglichkeit für alle sozialen Schichten, ist für die DFL längst zu einem profitablen Imagefaktor bei der Vermarktung ihres Produkts geworden. Auch wenn die Stehränge weniger Eintrittsgelder einspielen, die vollen und vor allem stimmungsvollen Stadien zahlen sich dafür umso mehr bei den Werbepartnern aus. Ein begehrtes Produkt weckt Begehrlichkeiten.
Bei großzügigen Geldgebern zum Beispiel wie Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp, dem Brause-Milliardär Dietrich Mateschitz oder Hertha-Investor Lars Windhorst. Die Ultras bleiben Teil dieses Geschäfts. Und ihre Proteste wird die Familie schon wieder in den Griff bekommen.
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