Belastung von Frauen wächst: Neues aus der Mutti-Falle

Arbeit in der Familie verschiebt sich in Pandemie-Zeiten zu Lasten der Frauen. Ein Grund für Depressionen? Dann doch lieber Eierlikör und Italo Disco.

Illustration einer fliegenden Frau - Supermom

Neues aus der Mutti-Falle – die Erwartungen an die Frauen, alles zu schaffen, steigt Foto: Fotoage/imago-images

Der Kollege smst mir zu dieser Kolumnenreihe: „Inzwischen schreiben da ja nur noch Muttis über das Coronaleben mit Kindern. Väter scheinen was anderes zu tun zu haben.“ Ein paar Tage war ich dann nochmal eine Umdrehung depressiver. Dann wütender. Auf ihn, auf mich, auf die ganze Scheißsituation, aufs Schweinesystem. Denn vielleicht hat er recht.

Über was zum Henker soll ich denn sonst schreiben? Was ist da schon noch? Außer eben: Wir sind zu Hause, die Heizungsluft ist schlecht, wir müssen drei Mal Essen machen. Die Kinder kriegen neue Wochenpläne. Die Kinder haben Videokonferenzen. Sie können weder Disziplin noch Technik allein. Die Stimmung ist ätzend, weil Eltern nicht ohne Grund nicht die Leh­re­r*in­nen ihrer Kinder sein sollten und alle mehr Zeit für sich bräuchten.

Und ja, tatsächlich, die Mütter scheinen anders, stärker betroffen zu sein von der irre anstrengenden Heimschul- und Betreuungsarbeit als die Väter. Zumindest beobachte ich das bei vielen. Nicht, dass die Väter nicht auch sitzen mit den Kindern, schwitzen und verzweifeln, loben, schimpfen und Tränenausbrüche aushalten.

Wir schneiden uns ins eigene Fleisch

Aber sie gehen danach arbeiten, in die Werkstatt, das Büro, ins häusliche Arbeitszimmer. Die Verwaltung dieses ewigwährenden Zustands scheint mehr auf den Schultern der Mütter zu ruhen. Wir Frauen können das halt oft besser. Wir mailen und telefonieren, wir haben die Termine und Stundenpläne im Blick, tauschen uns mit anderen Müttern aus und organisieren das bisschen Rumpffreizeit für die Kinder, das noch möglich ist. Wir meckern, wenn die Männer den Musik-VK-Termin vergessen. Wir schneiden uns ins eigene Fleisch, weil die Männer uns dann eben machen lassen, wo wir es doch so viel besser können.

Und dann haben wir den Salat. Den neuen Job aber nicht.

Denn am Ende des Tages bleibt uns nach all dem Gerödel höchstens noch genug Energie für Rumpferwerbsarbeit (Kolumnen schreiben zum Beispiel, das geht nämlich auch nachts oder ganz früh morgens, bevor alle geweckt werden müssen, weil gleich die „Schule“ anfängt). Aber sicher nicht fürs Bewerbungen-Schreiben. Call it Mental Load. Verzehrende Immanenz. Stagnation. Mutti-Falle.

Herrgottsakra.

Darauf einen selbstgebrauten Eierlikör beim spätabendlichen Distanzspaziergang mit der Freundin.

Mir fehlt dieser Tage die intellektuelle Hellsichtigkeit, um Ursachen und Wirkungen vollends aufzudröseln, die Erkenntnisse sämtlicher feministischer Waves anzuwenden und luzide Schlussfolgerungen zu ziehen.

Traurigkeit omnipräsent

Ich verweise in Sachen schlaue, datengestützte Analyse zu den Fallstricken weiblicher Sozialisation (für den sozial-emotionalen Kitt sorgen, die Bedürfnisse anderer frühzeitig erkennen und sich selbst zurücknehmen, verbindlich und kommunikativ sein, belastbar und rücksichtsvoll und vor allem nie lange sauer) auf das schöne Buch „Speak Out! Die Kraft weiblicher Wut“ der US-Amerikanerin Soraya Chemaly. Es ist im Mai 2020 erschienen, und ich habe die Hälfte davon übersetzt. Die andere Hälfte habe ich nicht geschafft. Burnout, so lautete die ach so zeitgemäße Diagnose.

Corona macht Traurigkeit und Erschöpfung noch mehr zu gleichzeitig omnipräsenten wie irgendwie geheiligten Zuständen; Mütter sprechen viel darüber untereinander, denken aber trotzdem, es allein hinkriegen zu müssen. Und beantragen dann drei Wochen Mutter-Kind-Kur.

Schluss damit.

Wir sind viele. Und wir werden jetzt aufmüpfig. Lassen die Beschulung einfach sein. Machen es uns und den Kindern schön. Fahren in die Wälder, mit Sack und Pack, den neuen tropischen Zimmerpflanzen und dem Eierlikör. Bauen Lehmhütten, sammeln Kräuter, machen Feuer, häuten Wildkaninchen. Tanzen zu Trance, Italo Disco und Happy Hardcore. Fahren nur noch mal kurz in die Stadt, wenn wir einen Impftermin haben. Ach was, entwickeln einen eigenen Impfstoff. Gründen Imperien. Kirsten Riesselmann

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Jahrgang 1976. Studierte Kulturwissenschaftlerin und ausgebildete Redakteurin (Berliner Journalistenschule). taz-Redakteurin von 2005-2008 (Berlin Kultur). Freie Autorin und Journalistin (u.a. für taz, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Spex), Kolumnistin (v.a. taz), Redakteurin (u.a. fürs Goethe Institut). Übersetzerin von Sachbüchern und Belletristik aus dem Englischen. Schwerpunkte: Popkultur, Feminismus, politischer Essay, kritische Reportage, Graphic Novels, Literatur, Krimis.

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