Belastung durch Stickstoffdioxide: Wissen für die Fabrik
Abgasforschung im Auftrag der Autoindustrie: Die Forschung benötigt Drittmittel aus der Industrie. Doch wo ist die Grenze?
Vor wenigen Tagen kannten diesen Mann nur Insider. Jetzt kämpft Thomas Kraus, Leiter des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der Universitätsklinik RWTH Aachen, um seinen Ruf als Wissenschaftler. Kraus ist verantwortlich für eine Studie, die die Belastung durch Stickstoffdioxide am Arbeitsplatz untersuchte – die ausgerechnet von einer in den Dieselskandal verwickelten Organisation der deutschen Autoindustrie in Auftrag gegeben wurde. Fünfundzwanzig gesunde Menschen setzte er einer geringen Konzentration des Gases aus. Zu Schaden sei keiner gekommen, sagt Kraus.
Trotzdem sorgt die Studie für Wirbel. Von Menschenversuchen ist die Rede, von moralisch verwerflichem Verhalten. Dabei hat Kraus – wie üblich bei Versuchen dieser Art – seine Studie bei der Ethikkommission der Universitätsklinik eingereicht. Neunzehn Experten – unter dem Vorsitz von Günther Schmalzing, Leiter der Abteilung Molekulare Pharmakologie an der Uni-Klinik – haben sich sein Vorhaben angeschaut, es geprüft und genehmigt. Laut Schmalzing gab es zu keinem Zeitpunkt Kritik an der Studie.
Es ist jedoch nicht nur die Versuchsanordnung, die irritiert. Finanziert wurde die Studie von der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT). Ein Verbund, der vor knapp zehn Jahren von Daimler, BMW, VW und Bosch gegründet wurde. In den Gremien versammelte die Autolobby renommierte Wissenschaftler, die die Folgen der Industrie abschätzen sollten – im Sinne der Autobauer.
Vorsitzender des Forschungsbeirats war der Toxikologe Helmut Greim, dem vorgeworfen wurde, industrienahe Positionen zu vertreten. Diese Vereinigung taucht nun im Zusammenhang mit geschönten Abgaswerten auf: Unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Forschung wurde offenbar versucht, Untersuchungsergebnisse zu manipulieren. Das Institut gibt es seit 2017 nicht mehr.
Mit den Affenversuchen nichts zu tun
Institutsleiter Kraus von der Uni-Klinik Aachen weist den Vorwurf von sich, dass seine Studie in Zusammenhang mit dem Dieselskandal stehe. Schließlich sei der Versuch lange vor Bekanntwerden der Abgasaffäre umgesetzt worden. Auch mit Affenversuchen in den USA hätte sein Versuch nichts zu tun. Anfang der Woche war bekannt geworden, dass amerikanische Wissenschaftler Affen Abgasen ausgesetzt hatten, um die Auswirkungen auf deren Gesundheit zu untersuchen. Das EUGT hatte die Experimente in Auftrag gegeben. Die Empörung war groß.
Man hätte den Forschungsförderer EUGT zum damaligen Zeitpunkt nicht hinterfragt, beteuern die Wissenschaftler der Uni-Klinik Aachen. Für die Zusammenarbeit mit der Industrie hat die RWTH strenge Auflagen. Es darf keinen Einfluss auf das Studiendesign oder die Durchführung der Versuche geben, zudem müssen die Resultate unabhängig vom Ergebnis veröffentlicht werden – und es muss klar sein, wer den Versuch bezahlt hat. Alle Bedingungen seien erfüllt worden.
Für Peter Dabrock hat die ganze Geschichte dennoch „ein Geschmäckle“. Dass hinter dem Institut, das die Studie an der Uni-Klinik Aachen finanzierte, die Autoindustrie steckt, hätte transparenter gemacht werden müssen, sagt der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Grundsätzlich hält er aber das Zusammenspiel zwischen Industrie und Wissenschaft nicht für verwerflich, solange die Beziehungen zueinander eindeutig sind. Das gelte insbesondere dann, wenn Auftraggeber und Profiteur der Ergebnisse identisch sind.
Dass Unternehmen Studien finanzieren und Hochschulen für ihre Dienste bezahlen, ist längst Alltag in der Forschung. 2015 flossen 1,4 Milliarden Euro aus der Wirtschaft in die Uni-Budgets – fast dreimal so viel wie vor zwanzig Jahren. Gleichzeitig ist der Anteil der staatlichen Finanzierung am Gesamtbudget der Universitäten immer weiter geschrumpft.
Schauen Hochschulen manchmal nicht genau hin?
Die gesamten Drittmittel von Unternehmen, Stiftungen oder öffentlichen Geldgebern haben sich im selben Zeitraum sogar beinahe vervierfacht – auf 7,4 Milliarden Euro. Das heißt: Heute müssen die Hochschulen fast jeden dritten Euro selbst einnehmen. Im Jahr 2016 hat die RWTH Aachen 325 ihrer 900 Millionen Euro selbst eingeworben.
Diese Abhängigkeit führe möglicherweise dazu, dass Unis bei den Projekten, die Geld bringen, nicht genau hinsehen, sagt Andreas Keller, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Im Fall der RWTH Aachen sei es „offenkundig“, dass es sich bei der EUGT um „eine Lobbyorganisation“ handle, die Konzernziele mit Studienergebnissen absegnen wolle. „Die Entscheidung der Ethikkommission zeigt, dass die Hochschulen häufig nicht in der Lage oder nicht willens sind, diese Absicht zu erkennen.“
Diese Frage muss man sich nicht nur bei Forschungsaufträgen stellen. Denn die meisten deutschen Konzerne treten auch als großzügige Stifter in Erscheinung. Autobauer VW unterhält derzeit 1.290 Kooperationen mit mehr als 100 Hochschulen und über 60 Forschungsinstituten. VW zielt vor allem auf die Fakultäten für Maschinenbau oder Elektrotechnik ab. Gesponsert werden Professuren, Institute, Stipendien.
Auch Vodafone, Bertelsmann und die Telekom bezahlen Studien, andere Unternehmen finanzieren ganze Forschungsinstitute. Die Post-Stiftung ist ein solcher Fall – oder Google. Rund 9 Millionen hat der Internetkonzern bereits in das 2012 gegründete Berliner Institut für Internet und Gesellschaft gesteckt – 2019 endet die Finanzierung, dann soll der Staat einspringen.
Verhaltenskodex für Geldgeber aus der Wirtschaft
Auch bei diesen Kooperationen wünschen sich die Geldgeber mitunter eine Gegenleistung für ihr Geld. Ein eklatantes Beispiel hierfür ist eine fragwürdige Kooperation der Deutschen Bank mit zwei Berliner Spitzenuniversitäten, die von der taz aufgedeckt worden war. Die Banken wollten über die Besetzung von Professuren mitbestimmen und die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen absegnen – eine klare Einflussnahme seitens des Unternehmens.
Das hatte zur Folge, dass der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – dem 3.000 Unternehmen, darunter fast alle großen deutschen Konzerne – angehören, einen Verhaltenskodex für Geldgeber aus der Wirtschaft aufgestellt hat. „Dies hat offenbar zu einem Bewusstseinswandel geführt“, sagt Mathias Winde, beim Stifterverband für Hochschulpolitik zuständig. Laut einer Befragung von Hochschulleitern, die zwei Jahre nach Einführung des Kodex durchgeführt wurde, meldeten 96 Prozent der Teilnehmenden, dass ihnen keine Versuche der unerlaubten Einflussnahme – etwa auf Forschungsergebnisse – bekannt seien.
Was nicht zwingend bedeutet, dass es nicht noch zu Versuchen der Einflussnahme kommt: 2015 kam – wieder dank einer taz-Recherche – heraus, dass die Boehringer Ingelheim Stiftung, die dem gleichnamigen Pharmakonzern nahesteht, eine Millionenspende an die Uni Mainz an eine Bedingung knüpfte: dass sie bei der Berufung der Professoren an das finanzierte Institut mitentscheiden darf. Mittlerweile hat die Universität Mainz Fehler eingeräumt.
Hier kommt den Ethikkommissionen eine besondere Rolle zu. Sobald es um Versuchsanordnungen mit Menschen geht und ein Arzt Verantwortung trägt, müssen die Wissenschaftler die jeweiligen Kommissionen befragen. Das sind meist Gremien an den Universitäten oder an den Hochschulen. Deren Mitglieder prüfen in der Regel ehrenamtlich Hunderte von Projektseiten – meist unter Zeitdruck. Denn zwischen der Prüfung bis zu Genehmigung liegen häufig nur wenige Wochen. Bei naturwissenschaftlichen oder psychologischen Experimenten müssen die Kommissionen nicht befragt werden.
Fragwürdige Kooperationen
Aber: „Ohne das Votum einer Ethikkommission ist eine Veröffentlichung der Studien in namhaften Wissenschaftszeitschriften nicht möglich“, sagt Peter Dabrock vom Deutschen Ethikrat. Bei Publikationen wie Science oder Nature gibt es strenge Kriterien dafür, ob eine Studie dort abgedruckt wird. Zur Transparenz gehören auch Angaben über die Finanzierung des Experiments.
Dabrock setzt aber darauf, dass sich die Institute nicht nur deshalb für eine Prüfung durch das Expertengremium entscheiden, um ihr Renommee zu stärken. Man müsse darüber nachdenken, auch in der naturwissenschaftlichen und psychologischen Forschung, bei der Versuche mit Menschen gemacht werden, verbindliche Ethikkommissionen einzuführen. Andere fordern das bei Entscheidungen über Rüstungsforschung.
Andreas Keller von der GEW geht mit seiner Forderung sogar noch weiter. „Jedes Hochschulmitglied sollte sich über solche Fragen Gedanken machen, nicht nur eine Ethikkommission.“ Dazu, so Keller, sei aber der erste Schritt, dass sämtliche Forschungskooperationen mit Unternehmen öffentlich gemacht würden. Bisher schreibt dies der Gesetzgeber nur in wenigen Bundesländern vor – und auch dort können die Unis ihre Geldgeber und das konkrete Forschungsfeld teilweise anonymisieren (siehe Kasten). „Transparenz ist wichtig, damit auch Professoren und Studierende einer Hochschule Verantwortung übernehmen und selbst eine Kooperation melden können, die ihnen fragwürdig erscheint“ betont Keller.
Von der Industrie gesponserte Forschung wird sich derzeit nicht verhindern lassen. Zwar sind Bund und Länder immer noch die größten Geldgeber, doch etliche Großkonzerne – darunter die Autobauer – haben ihre Budgets für Forschungsausgaben deutlich aufgestockt. Sie hoffen auf politischen Einfluss, auf Ergebnisse für neue Produkte – und auch auf Fachkräfte, die die Institute nach Testreihen zurücklassen. Die Wissenschaft braucht die Wirtschaft – und umgekehrt.
Unis sollen dauerhaft Bundesgelder erhalten
Kai Gehring, wissenschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, hält die Abgastests für „besonders verabscheuungswürdig“. Für ihn legt die Diesellobby ein absurdes Verhalten an den Tag – vergleichbar mit dem der Tabakindustrie, die zu beweisen versucht, dass Rauchen doch nicht schädlich ist. Dass die Forschung unabhängiger wird – und bleibt –, dafür sieht Gehring Bund und Länder in der Pflicht.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Die mögliche neue Regierung aus Union und SPD hat am Donnerstag nun versprochen, die Unis dauerhaft mit Bundesgeldern ausstatten. Sollte die Groko ein weiteres Mal regieren, sorgt sie immerhin dafür, dass sich die finanzielle Lage der Unis nicht verschlimmert. Für mehr aber auch nicht.
Und von mehr Transparenz bei Forschungsaufträgen ist bei der zehnseitigen Koalitionsvereinbarung keine Rede.
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