Belarus und der Krieg in der Ukraine: Die Geduld der Menschen hat ihre Grenzen

Die Entsendung eigener Truppen würde Lukaschenko endgültig zu einem politischen Leichnam machen. Einige Armeeangehörige haben sich längst geweigert.

Die Präsidenten Lukaschenko und Putin reichen sich die Hände.

Ein alter Mann hat das einfach für alle entschieden: Lukaschenko und Putin am 11. März 2022 Foto: Mikhail Klimentyev/Sputnik/ap

Noch vor nicht allzu langer Zeit nahmen die Belarussen in den sozialen Netzwerken die kollektive Verantwortung dafür auf sich, dass russische Truppen ins Land kommen konnten: „Das machen sie. Aber mir ist es peinlich.“

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Aber wer hat die Einwohner der Städte Gomel und Chojniki danach gefragt, ob sie das Gerassel von Panzern und Kampfflugzeugen neben ihren Häusern hören wollen? Ein alter Mann hat das mit seiner Einzelmeinung einfach für alle entschieden.

Während die Menschen, die mit Antikriegsplakaten auf den Straßen demonstriert hatten, für 15 Tage ins Gefängnis kamen, bewegten sich zur gleichen Zeit russische Militärzüge mit Kampfausrüstung in Richtung Grenze. All diese Bewegungen werden in einem Telegram-Kanal live aufgezeichnet. Während der Kanal vor einer Woche noch 27.000 Abonnenten hatte, sind es gegenwärtig bereits 88.000.

Unter den Kommentierenden sind viele Ukrainer, die sich für die Operativ-Informationen bedanken. In unserem Computerzeitalter kann jeder militärischer Kundschafter werden, und Nachrichten verbreiten sich sehr schnell. Genau wie Fake News.

Kürzlich sagte Lukaschenko, dass zwei Tage zuvor von ukrainischem Staatsgebiet aus eine Rakete vom Typ Totschka-U in Richtung Belarus abgeschossen worden sei, die man aber habe abfangen können.

„Sie liegt irgendwo in Flussnähe. Wen es interessiert – gehen Sie gerne hin und schauen Sie es sich an.“ Wir gingen hin und schauten. Nichts. So was nennt man Faktencheck. Sollte Lukaschenko nach einem Vorwand für die Armee suchen, in der Ukraine einzumarschieren, muss er sich was Besseres einfallen lassen.

Lieber vor Gericht als tot

Zum einen hat Belarus gar keine große Armee als solche. Und die, die wir haben, hat sich schon geweigert, zu kämpfen. Die Armeeangehörigen sagen, dass sie sich lieber vor ein Militärgericht stellen lassen oder ins Gefängnis gehen als in den Tod. Die Offiziere schreiben in Berichten, dass sie Angst davor haben, dass, wenn sie die Grenze überqueren, ihre Soldaten entweder desertieren oder die Waffen gegen sie richten würden.

Zum Anderen träumt Lukaschenko davon, Belarus zur Pufferzone zu machen und so vom Handel zwischen dem Westen und Russland zu profitieren. Naja, das wird ihm natürlich nicht gelingen. Die Entsendung seiner eigenen Truppen wird ihn endgültig zu einem politischen Leichnam machen.

Und vielleicht sogar zu Aufständen in den belarussischen Städten führen. Lukaschenko hat niemanden, mit dem er in den Krieg in der Ukraine ziehen könnte. Hinter ihm steht nicht das Volk, wie es in der Ukraine hinter Selenski steht.

Die Preise steigen. Die Panik machen wir bewusst

Neulich habe ich Gemüse auf dem Markt gekauft und mich dabei mit der Verkäuferin unterhalten. Sie hat gesagt, dass sie ihren Sohn und ihren Mann nicht in den Krieg ziehen lässt, sondern dass sie auf die Straße gehen werden. Und zwar nicht mit Blumen in den Händen wie noch im Jahr 2020.

Bitte, glauben Sie nicht, dass Belarussen mit Putin oder Lukaschenko gleichzusetzen seien. Wir sind gegen das, was die verrückten Opas da losgetreten haben.

Kürzlich haben belarussische Partisanen nachts die Bahnstrecke Domanowo-Lesnaja lahmgelegt, indem sie Bahntechnik zerstörten. Die Militärzüge mit russischen Panzern konnten nur noch etwa 10-15 km/h fahren.

Und dabei sind wir noch nicht mal richtig böse geworden. Lukaschenko versteht nicht, dass er einen Bürgerkrieg entfesseln könnte. Die Geduld der Belarussen hat ihre Grenzen.

In den Geschäften von Minsk passieren jetzt auch interessante Dinge. Die Verkäuferin schreit, dass man sie nach den Preisen der Waren fragen muss, weil die in dem Laden täglich geändert werden. Im Schnitt sind die Preise um 30-40 Prozent gestiegen.

Mein Lieblingsmineralwasser hat noch vor zwei Wochen 1,99 Rubel gekostet, jetzt ist es schon bei 2,75 Rubel (umgerechnet von etwa 0,55 auf 0,75 Cent; Anm.d. Redaktion). Und das, obwohl die Sanktionen Belarus noch gar nicht erreicht haben.

Aber die Belarussen machen bewusst Panik. Sie kaufen jetzt einfach Streichhölzer, Salz, Buchweizen und Mehl. Im Geschäft neben meinem Haus gab es kein Sonnenblumenöl, keine Hirse, keine Haferflocken und kein Soda mehr. Ich habe die letzten drei Tomatenkonserven aus dem Regal genommen. Während ich in der Kassenschlange stand, sah ich, dass alle vor mir Alkohol in ihren Einkaufskörben hatten.

Ich fühlte mich ein bisschen unwohl vor meinen Landleuten. Und nahm eine Flasche Merlot aus Chile aus dem Regal. Weil es die noch zum alten Preis gab, für etwa drei Euro. Und weil nicht klar ist, ob es ihn später überhaupt noch geben wird. Und ich werde auf jeden Fall bis zum Ende dieses verrückten Krieges trinken wollen.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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45, lebt und arbeitet in Minsk. Ihre Beiträge erscheinen unter Pseudonym.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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