Bei schönem Wetter zu Hause bleiben: Ich bin gern ein Drinnie
Alle wollen ins Freie, damit sie fühlen, dass sie lebendig sind. Unsere Autorin ist stolz auf ihr Stubenhockerdasein – auch bei gutem Wetter.
Ob es nun an der Klimakrise liegt oder nicht – gefühlt wird das Wetter immer „besser“. Ständig scheint die Sonne, im Frühling warm, im Sommer glühend heiß, im Herbst ganz golden und im Winter glitzerig. Jedenfalls meistens.
Das Wetter ist immer ein Grund rauszugehen. Alle wollen immerzu raus. Kinder ohnehin, Hunde ebenso, aber auch Erwachsene. Die Jungen besonders, die müssen wirklich immerzu raus, sonst fühlen sie quasi gar nicht mehr, dass sie noch leben, aber auch die Mittelalten und die silbernen Senior*innen. Sie walken und lachen und halten ihre gebräunten Gesichter in die Sonne. Und abends ist es so gemütlich im Straßencafé, wenn die Stimmung endlich italienesk wird und der Deutsche das Laissez-faire für sich entdeckt. Da wird geschlendert und gebummelt, unter freiem Himmel getanzt, getrunken und gefeiert.
Wer nach einem Wochenende nicht die ganze Zeit draußen gewesen ist, hat definitiv ein Problem. Das hat nichts mit einem strengen, 1950er-Jahre-angehauchten „Das Kind muss an die frische Luft“ zu tun. Nein, es ist State of the Art. Wer mal ein bisschen rumgetindert hat, kann sich davon überzeugen. Alle wollen immer „draußen in der Natur“ sein. Die Fotos – bei Frauen wie bei Männern – zeigen ständig wandernde, surfende, Stand-up-paddelnde Menschen, am Strand, in den Bergen.
Wer sich traut, ein Foto aus einem Innenraum hochzuladen, greift entweder auf das altbekannte Aufzugselfie zurück (bäh!) oder outet sich gleich als das, was es bloß nicht zu sein gilt heutzutage: ein Drinnie. Alle sind sie Draußies.
Ich verbrachte ein Semester auf La Réunion, einer Insel im Indischen Ozean. Dort war das Rausgehen noch viel wichtiger und das Im-Zimmer-Bleiben noch viel verpönter als in Deutschland. Wer mit Mitte 20 nicht ständig am Strand, auf einer Party oder wandern sein möchte, ist komisch.
An einem sonnigen Tag gesund im Bett rumgammeln
Nur ein Kommilitone entzog sich diesem Sog. Er kam aus England und war leichenblass – daran änderten auch sechs Monate Äquatornähe nichts. Er saß einfach in seinem Zimmer und spielte Computer und guckte Fußballspiele der Premier League. Seinen Ruf gänzlich ruinierte er sich, als er Besuch von einem Kumpel bekam. Dieser flog 10.000 Kilometer, um La Réunion kennenzulernen – oder auch nicht. Die beiden machten eine Woche lang keinen Schritt aus dem Wohnheim. Jetzt, viele Jahre später, kann ich sie verstehen. Und verstehe auch immer mehr, warum ich mich oft so entfremdet gefühlt habe in diesen Monaten auf der Insel: Ich hatte mit all den glücklichen, immer draußen sein wollenden Menschen einfach zu wenig gemein. Ich liebe lange Regentage, den grauen Himmel und schmuddelig-feuchtkalte Zeiten.
Charlotte Roche erzählt in ihrem neuen Podcast „Paardiologie“ davon, warum sie die heftigen Kater nach durchzechten Nächten mindestens genauso gut fand wie ebenjene: Der Kater ist der einzige Zustand, in dem sich Erwachsene gegenseitig zugestehen, einfach mal drinnen zu sein. Im Pyjama rumzugammeln, zu essen, worauf mensch Lust hat, im Bett zu liegen und nichts zu tun. Würde man das an einem „normalen“ Wochenende machen, die Menschen würden fragen: Bist du krank? Der Kater ist erlaubte Rückzugszone, gesellschaftlich legitimiert, weil das Saufen ja – in Deutschland – dazugehört.
Beim Kranksein darf man auch im Bett liegen. Die Decke anstarren, vielleicht ein bisschen aus Selbstmitleid weinen, die Nase hochziehen und Serien gucken. Aber auch nur dann – denn warum sollte ein gesunder Mensch an einem sonnigen Tag einfach im Bett rumgammeln? Womöglich noch mit heruntergelassener Jalousie?
Dabei ließen sich ernsthafte seelische Erkrankungen wie Ängste oder Depressionen vielleicht vorbeugen, wenn das Nichtstun genauso hochgelobt wäre wie die Aktivität (fast hätte ich es Aktionismus genannt). 2017 meldete sich Madalyn Parker aus Michigan zwei Tage lang krank, „to focus on her mental health“. Sie war nicht depressiv, sie hatte nur das Gefühl, es werden zu können. Und zog sich zwei Tage zurück. Diese Aktion – und die vorbildliche Reaktion ihres Arbeitgebers – ging auf Twitter viral. Geändert hat sich dennoch nicht viel.
Kochen und Essen, Stricken und Fernsehen
Niemand gibt unter Hobbys „drin rumhängen“ an. Dabei gibt es so viel Wunderschönes zu tun an einem Wochenende, an dem mensch von Freitagabend bis Montagmorgen weder rausgeht noch mit jemandem spricht.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Kochen und Essen, Stricken und Fernsehen, Lesen und Basteln, Aufräumen und Putzen, Schlafen und Baden. Schön ist auch, wenn Freund*innen dieselbe Leidenschaft haben. Denn um Einsamkeit oder Alleinsein geht es nicht primär. Kürzlich fragte ich meine beste Freundin, ob sie mit zu einem Konzert wolle, ich hätte Pressekarten. Sie antwortete: Warum sollten wir rausgehen, wenn wir im Bett liegen und Sushi essen können? Ich hatte keine Antwort.
Nur, wie ließe sich ein Instagram-Profil füllen, ein Montagmorgen im Büro überstehen, der nächste Party-Small-Talk führen, wenn man nicht draußen gewesen ist?
Es müsste einfach mehr regnen. Dann ginge es nicht nur der Natur besser, sondern die Drinnies dürften endlich so sein, wie sie eben sind.
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