Bedeutung von Lokalzeitungen: Die Einzeitungskreise
In vielen Regionen gibt es keine Konkurrenz auf dem lokalen Zeitungsmarkt. Das schafft Distanz zwischen Medien und Konsument:innen.
V or rund 20 Jahren startete die taz ihre Serie über Einzeitungskreise. Es ging um Regionen, wo es keine lokale oder regionale Konkurrenz mehr auf dem Zeitungsmarkt gab. Damals war das in 299 von seinerzeit 443 Kreisen bzw. kreisfreien Städten der Fall. Heute gibt es nur noch 401 Kreise und kreisfreie Städte. Aber nochmal Einzeitungskreise nachzählen macht nur traurig. Denn die Tendenz steigt.
Besonders in Ostdeutschland, wo die fatale Medienpolitik nach der Wende dafür gesorgt hatte, dass es nach dem kurzen Boom 1989/90 den blühenden Presselandschaften sofort an die Wurzeln ging. Die Treuhand verramschte an Westverlage, Neugründungen hatten nie eine Chance. Von ganz wenigen Ausnahmen überlebt haben nur die alten, vielfach von ihren Vorteilen aus DDR-Zeiten zehrenden ehemaligen SED-Blätter.
Damit es keine Missverständnisse gibt, die waren nach dem Austausch der Parteijournalist:innen okay bis gut gemacht, die meisten jedenfalls. Sie schlugen sich im Vergleich zur Lokalberichterstattung made in Westdeutschland mindestens ebenbürtig. Denn die zeichnete sich eher durch gepflegte Langeweile aus, während im Osten in den 1990er Jahren mächtig was los war.
Auch in Luckau, wo 1813 Napoleon eine kalte Nacht verbrachte. Davon übrig ist eine Anekdote über eine Wärmflasche, die sich Napoleon angeblich ins Bett bringen ließ und die heute im Niederlausitzmuseum in der Kulturkirche besichtigt werden kann. Bestimmt haben sie da auch ein Exemplar der Luckauer Kreiszeitung, die bis 1943 erschien und dann der Presseplattmache der Nazis erlag.
Lebenswirklichkeit
Heute wird Luckau mit der Lausitzer Rundschau (LR) aus Cottbus versorgt. Die LR ist traditionell für die Gegend von Cottbus bis Guben, den Spreewald, die Region Elbe-Elster und Teile Nordostsachsens zuständig. Natürlich lässt sich bei Schlagzeilen wie „Das sind die neuen Pläne für ein WC in der Stadt“ die Nase rümpfen.
Aber komm du mal nach ein paar Bier und vier Stunden auf dem Rad in Luckau an und hab ein menschliches Bedürfnis. Neben zu viel Einzeitungskreisen ist Deutschland schließlich auch das „Viel zu wenig öffentliche Toiletten“-Land. Die LR berichtet auch über Ärztemangel in Luckau, über Gewalt an örtlichen Schulen, aber auch über schöne Sachen wie das Luckauer Vereinsleben. Lebenswirklichkeit nennt sich das.
Und genau die fehlt, wenn die Lokalredaktion dichtmacht. „Meinst du mit Lebenswirklichkeit, dass die Einwohner*innen sich freuen, wenn sie sich selbst in der Zeitung lesen und sehen, so als wären sie Napoleon selbst?“, fragt die Mitbewohnerin. Genau, aber das geht natürlich nicht, wenn viele Redaktionen ganz woanders sitzen und plötzlich für ein irre großes Gebiet zuständig sind. So groß, dass Napoleon mehrere Tagesritte um den Einzeitungskreis gebraucht hätte. „Wird Zeit für ne neue Serie in der taz“, sagt die Mitbewohnerin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“