Bebauung am Ernst-Thälmann-Park: Dringender Bedarf
Seit Jahren streiten sich Bezirk und Investor über die Bebauung eines ehemaligen Güterbahnhofs. Es geht auch um die Frage: Wer gestaltet Berlin?
Da wären zunächst die baufreudigen privaten Investor:innen, auf denen die Hoffnung liegt, sie könnten Berlins Wohnungsnot lindern. „Hier verhindert die Linke Wohnungen für 2.000 Pankower & eine Schule für 300 Kinder“, klagt ein Plakat, das sich quer über eine Brücke an der Greifswalder Straße erstreckt. Aufhängen lassen hat das Transparent kurz vor der Wiederholungswahl am 12. Februar der Berliner Immobilienunternehmer Christian Gérôme, der Eigentümer des Grundstücks.
Gérôme antwortete leider nicht auf taz-Anfragen. Doch laut dem Bezirk vorgelegten Präsentationen hat der Investor Großes vor: Zu dem prägenden Ensemble aus Thälmann-Denkmal und den drei 1986 errichteten DDR-Plattenbau-Wohntürmen sollen bald bis zu vier ebenso hohe 18-stöckige Hochhäuser dazukommen mit Platz für Wohnungen, Büros und Einzelhandel.
Doch einen Bebauungsplan (B-Plan), auf dessen Grundlage Gérôme seine ambitionierten Hochhauspläne umsetzen könnte, gibt es bislang nicht. Der zuständige Bezirk Pankow wünschte sich auf der Brachfläche vor allem eine Oberschule. „In den letzten Jahren wurde der Druck bei der Suche nach Oberschulplätzen immer größer“, sagt Bezirksstadträtin Rona Tietje (SPD) gegenüber der taz. Man habe unabhängig von den Eigentumsverhältnissen verschiedene Flächen analysiert und den ehemaligen Güterbahnhof als geeignet befunden.
Entgegen der vorherigen Absprachen mit dem Investor, bei denen der Bau von 450 Wohnungen im Gespräch war, beschloss der Bezirk 2019, ein Bebauungsplanverfahren in die Wege zu leiten. Ermöglicht werden sollten nur ein Schulstandort und ausgedehnte Grünflächen. „Der Konsens war, nur eine Schule zu planen und keine größere Wohnbebauung“, sagt Tietje.
In dieser Form wäre der Bebauungsplan ein Fiasko für Gérôme, dem kaum etwas anderes übrig bliebe, als das Grundstück zu verkaufen. Doch bereits 2017, zwei Jahre zuvor, erklagte er sich ein Schlupfloch: Der Paragraf 34 im Baugesetzbuch ermöglicht es Investor:innen, auch ohne einen Bebauungsplan zu bauen, wenn sich das Bauvorhaben in die Umgebungsbebauung einfügt. Der Bezirk müsste also Gérômes Bauanträge genehmigen, allerdings nicht in der Höhe, in der er gerne bauen möchte.
Um zu verhindern, dass der Immobilienunternehmer vorzeitig Fakten schafft, beschloss die Bezirksverordnetenversammlung im April 2020 eine zweijährige Veränderungssperre für das Grundstück, die jegliche Bebauung untersagte. Diese hätte im Mai vergangenen Jahres eigentlich verlängert werden müssen, doch im Bezirksparlament stimmte eine Koalition aus CDU, FPD und Grüne überraschend dagegen. Möglich war das Votum, da die rot-rote Zählgemeinschaft im Bezirk keine Mehrheit hatte.
Brachen in bester Lage Wie viele ungenutzte Betriebsflächen von der Bahn es in Berlin noch gibt, ist nicht zentral erfasst. Der BUND zählt eine Fläche von mindestens 120 Hektar aus, für die eine Bebauung geplant ist. 2018 beschloss der Senat, systematisch Bahngrundstücke anzukaufen und sie für soziale und ökologische Stadtentwicklung zu nutzen. Davor wurden die Flächen in der Regel an den Meistbietenden verkauft.
Beispiele Die Europacity am Hauptbahnhof und der Gleisdreieckpark an der Yorckstraße sind bekannte Beispiele dafür, wie ehemalige Bahnflächen entwickelt werden können. Weniger bekannt ist die „Westkreuzbrache“: Auch hier sollte von einem Investor gebaut werden, doch der Bezirk zog rechtzeitig sein Vorkaufsrecht, sehr zur Freude der Kleingärtner:innen, deren Parzellen erhalten bleiben.
„Wir wollen, dass auf diesem gut erschlossenen innerstädtischen Gebiet auch Wohnungen entstehen, die Berlin dringend braucht“, begründete die grüne Fraktionsvorsitzende Almuth Tharan die Entscheidung im Mai. Ihren Willen, auf dem ehemaligen Güterbahnhof Wohn- und Gewerbeflächen zu ermöglichen, bekräftigten CDU, Grüne und FDP kurz vor der Wahl im Dezember mit einem weiteren BVV-Beschluss mit dem Titel „Lernen, Wohnen und Arbeiten an der Greifswalder Straße“. Darin forderte das Parlament das Bezirksamt auf, die Planungen sowohl für Schulbau als auch für Wohnen und Gewerbe voranzutreiben.
Öffentliches Eigentum verscherbelt
Damit ist der Weg frei für einen Bebauungsplan in Gérômes Sinne. „Als Bezirksamt müssen wir dem Willen der BVV nachgehen“, bestätigt Tietje etwas zähneknirschend.
Wie viel bezahlbarer Wohnraum durch das Bauprojekt allerdings entsteht, ist unklar. Feste Zusagen, ob Miet- oder Eigentumswohnungen oder nicht doch Büros entstehen sollen, gibt es keine.
„Der Neubau ist doch nur für Leute mit großem Geldbeutel“, vermutet Markus Seng, der sich in einer Anwohnerinitiative schon seit fast 10 Jahren gegen die Bebauung am Ernst-Thälmann-Park engagiert. Hochpreisige Eigentumswohnungen würden wohl kaum zur Lösung des Wohnungsproblems beitragen. „Hier geht es nur um die Profite eines privaten Grundstückshändlers“, kritisiert Seng. Wenn überhaupt, würden auf dem Gelände maximal 30 Prozent der Wohnfläche gemäß der Berliner kooperativen Baulandentwicklung zu bezahlbaren Mieten angeboten werden – und das für 30 Jahre. Und das auch nur, falls sich der Investor an eine solche Vereinbarung hält und nicht doch lieber ausschließlich Büroflächen errichtet. Langfristig entsteht durch solche Vereinbarungen kaum bezahlbarer Wohnraum, da jährlich mehr Wohnungen aus der Preisbindung fallen als neue entstehen.
Was den Fall ebenfalls exemplarisch für Berlin macht, ist, dass es sich bei dem Grundstück lange um öffentliches Eigentum handelte, das deutlich unter Wert an private Investor:innen verscherbelt wurde. Bis 2009 war der ehemalige Güterbahnhof noch Eigentum der Deutschen Bahn und als Betriebsfläche in keiner Planung vorgesehen. Schon damals erwog der Bezirk, auf der Fläche dringend benötigte soziale Infrastruktur und Grünflächen zu schaffen. In einem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vom September 2011 wurde das Bezirksamt aufgefordert, die Fläche des Güterbahnhofs für „potentielle zukünftige Bedarfe, insbesondere für … Schule und Sport bzw. Umwelt und Natur anzumelden“.
Fraglicher Flächentausch
Zu diesem Zeitpunkt war der Verkauf des Filetgrundstücks schon im vollen Gange. Bereits 2009 verkaufte die Bahn das Grundstück stückweise an Gérôme, wie eine parlamentarische Anfrage von 2014 belegt. Das Vorkaufsrecht, mit dem der Bezirk die Möglichkeit gehabt hätte, dem Investor zuvorzukommen, wurde damals nicht genutzt.
Der Verkaufspreis war verhältnismäßig niedrig, eben weil das Gelände noch als Bahnbetriebsfläche vorgesehen war – für den Käufer gab es also keine Gewissheit, ob, wann und was auf dem Gelände gebaut werden kann. Schon jetzt dürfte sich die Spekulation gelohnt haben: Mit dem Baurecht in greifbarer Nähe dürfte das Grundstück ein Vielfaches des Kaufpreises wert sein.
Da das Bezirksamt unbedingt an dem Schulstandort festhält, verhandelt es seit Monaten über einen Flächentausch mit dem Investor. Demnach bekäme Gérôme ein derzeit als Parkplatz genutztes landeseigenes Grundstück an der Lily-Henoch-Straße in unmittelbarer Nähe. Der Bezirk bekäme dann Teile des Güterbahnhofs, auf denen er Sportstätten für die geplante Oberschule errichten will.
Ein schlechter Tausch für den Bezirk, kritisiert der Linken-Bezirksverordnete Fred Bordfeld. „Der Flächentausch ist schwierig“, vor allem, da der Güterbahnhof als schadstoffbelastet gelte und das Tauschgrundstück planungsrechtlich einfacher zu bebauen sei. „Warum geht das Land nicht selbstbewusster mit seinen Flächen um?“
Muss es immer Neubau sein?
Zuletzt offenbart der Fall ein grundlegendes Problem der Berliner Stadtentwicklungspolitik: Neubau wird von keiner im Abgeordnetenhaus vertretenen Partei grundlegend infrage gestellt, auch wenn Umweltverbände das verstärkt fordern. Ginge es nach den Wünschen der Anwohner:inneninitiative, würde aus der Brachfläche, die aktuell von einem Kunstkollektiv zwischengenutzt wird, eine Erweiterung des anliegenden Ernst-Thälmann-Parks.
„Hier im Prenzlauer Berg brauchen wir mehr Grünflächen“, erklärt Markus Seng, der sich seit Jahren gegen die Bebauungspläne des Investors einsetzt. In den letzten Jahren hätte es eine unglaubliche Verdichtung durch Neubauten in der Nachbarschaft gegeben, bereits Hunderte zusätzliche Wohneinheiten seien hier entstanden. Daher seien Parks nicht nur wichtig für die Naherholung, sondern angesichts der Klimakrise auch für das Stadtklima: „Wir müssen um jeden Baum und jede Grünfläche kämpfen“, sagt Seng. Neubau hingegen müsse aufgrund der hohen CO2-Emissionen, die das Bauen verursacht, so weit es geht vermieden werden – und Büroräume und Luxuswohnungen brauche niemand in der Stadt, erklärt Seng.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag