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Bayerischer Streit um GewerbegebieteKühe, die auf Bauflächen schauen

Die Gemeinden Gilching und Gauting könnten Freunde sein. Wäre da nicht das Hickhack um ein Gewerbegebiet und die Frage: Was wird aus der Natur?

Da weidet's sich nicht so schön Foto: imago/photothek

Gilching/Gauting/Unterbrunn taz | In Unterbrunn ist die Welt noch in Ordnung. Vor dem Wirtshaus Böck im Landkreis Starnberg steht ein fescher Maibaum, wie ein Heiligenschein schwebt ein grüner Kranz am weißblauen Holzpfosten. Der Böck liegt rund 25 Kilometer vor der Landeshauptstadt und mittendrin in der „Metropolregion München“. Die erstreckt sich weit über den eigentlichen Ballungsraum bis hinaus nach Landshut oder Garmisch. Verkehr, Bebauung und Einwohner*innenzahlen steigen in dieser Region rasant in den letzten zehn Jahren. Und pro Jahr, so hat es das „Volksbegehren gegen den Flächenfraß“ errechnet, verschwinden 45 Quadratkilometer, so groß wie der Ammersee, in ganz Bayern unter Asphalt und Beton.

Beim denkmalgeschützten Böck in Unterbrunn hat der Regisseur Herbert Achternbusch einst Einkehr gehalten, verewigt im Film „Der Neger Erwin“. „Nach dem Spiel wird jeder wissen, wie er hätte spielen müssen.“ Solcher Art sind die Sinnsprüche, die im uralten Gebälk der Wirtsstube eingeritzt sind, und just dieser steht recht gut für das Folgende. Darin geht es um die die bayerischen Gemüter erhitzende Frage, wer in Zukunft wo und wie die Landschaft mehr als eh schon versiegeln darf. Und ob die bayerische Flur weiter zugebaut werden soll mit unschönen Gewerbegebieten samt dinglicher Infrastruktur. Und auch wenn jetzt im neuen bayerischen Koalitionsvertrag, der erkennbar beeinflusst ist vom grünen Wahlerfolg, die Absicht steht, in Zukunft landesweit nicht mehr als 5 Hektar Fläche pro Tag zu bebauen – dann ist das eben nur eine Absicht, von Gesetzesinitiative keine Spur. Aktuell wird jedenfalls das Doppelte verbraucht.

Wie unter einem Brennglas bayerischer Befindlichkeiten erscheint deshalb diese Geschichte, die nah bei Unterbrunn spielt. Sie handelt von Expansionsdrang und Sturheit, von Zwiespälten und Naturliebhaber*innen ­versus Landschaftsfatalist*innen.

Letztlich handelt sie von viel Geld, das im Spiel ist oder erwartet wird. Da ist einmal das wohlhabende und flächenmäßig ausgedehnte Gauting im Würmtal mit seinen rund 21.000 Einwohnern. Und da ist Gilching, nur etwa 6 Kilometer weg, und, wie ein Spaziergänger dort mit altdeutschem Schäferhund anmerkt, „das hässliche Entlein im schönen Fünfseenland bei Starnberg“. Ganz so stimmt es nicht: Gilching ist weder ein Entlein mit seinen knapp 19.000 Einwohner*innen, noch ist es flächendeckend hässlich.

Dennoch wird der Ort vom Verkehr überrollt. Lange schon ist er eine Art Gewerbezentrum im Landkreis Starnberg mit aktuell etwa 100 Hektar solcher Flächen. Momentan wird das vierte Gebiet entwickelt, die Gewerbesteuereinnahmen lagen 2017 bei fast 17,5 Millionen Euro. Stau ist in Gilching normal, das direkt an der Autobahn München–Lindau liegt. Denn wer ein Gewerbegebiet nutzt, der oder die fährt an und ab. Und das meist per eigenem Auto.

In einer geschützten Naturzone

Es passt also Bürgermeister Manfred Walter von der SPD, seit 2008 im Amt, so gar nicht, dass der Nachbar direkt an der Westgrenze des Gautinger Gemeinderaums 60 Hektar Gewerbegebiet plant. Und das auch noch in einer geschützten Naturzone. Bis jetzt hat der Ort kein Gewerbegebiet, „da haben wir jahrzehntelang Strukturentwicklung verschlafen“, sagt die derzeitige Bürgermeisterin Brigitte Kössinger, 62 und von der CSU. Allerdings ist der Ort beim Gemeindeanteil an der Einkommensteuer privilegiert. Der lag 2017 bei 17,7 Millionen Euro, andere im Umland haben oft viel weniger.

Walter ist Anfang 50, und er freut sich in seinem lichten Amtszimmer wie ein Junge, dass „wir mit der Ausweisung unserer Gewerbegebiete vielleicht schlicht Glück gehabt haben“. Lang und breit klagt er über die „fehlende Kommunikation“ seiner Amtskollegin, die seit 2014 ihr Rathaus leitet. Gilching respektiere ja den Wunsch der Gautinger nach Gewerbeflächen, „aber sie sollen sich nicht einfach so an unserer Infrastruktur bedienen“. Fakt ist auf alle Fälle, dass Gauting entwickeln will – im zurzeit dreifach als Bannwald, Landschafts- und Wasserschutzgebiet ausgewiesenen Unterbrunner Holz.

Bürgermeisterin Kössinger führt am Telefon ins verminte Feld, dass das mittlerweile von der Landesregierung recht geschleifte „Anbindungsgebot“, eingehalten werde. Es schrieb vor, dass Gewerbegebiete in Bayern möglichst nicht auf der grünen Wiese gebaut werden. „Da entstehen doch dann schnell Syn­ergien mit den Gilchingern.“ Und der geschützte Bannwald? „Ist großteils kaputter und kranker Fichtenstangenwald“.

Ortsbegehung im umkämpften Forst mit Christian Winklmeier, 27, vom „Aktionsbündnis Pro Bannwald“. Hier haben sich unter anderen SPD, Linke und Grüne, aber auch der Fahrradclub ADFC und ein Gautinger Umweltzentrum zusammengetan. Auch der zweite Gilchinger Bürgermeister, Martin Fink (CSU), spricht sich öffentlich gegen die Pläne der CSU-geführten Nachbarn aus. Im September, am ersten Wiesn-Wochenende, hat das Aktionsbündnis protestiert. Über 500 Leute kamen, Ludwig Hartmann, der bayerische Ko-Grünenchef, hat das „Wettrüsten der Gewerbegebiete“ kritisiert und gefordert, dass „die Landesplanung Leitplanken setzen muss“. Die Spielregeln sollten für alle gleich sein.

„Weil die halt die Kreisform so schön fanden“

„Das Ganze hat Gauting viel zu groß gedacht“, kritisiert Jutta Kreuzer vom örtlichen Bund Naturschutz (BUND). Aus Sicht von Kreuzer ist „Natur ein Wert an sich“. Dafür müssten Gemeinden etwas kriegen, „nicht für die Zersiedelung“. Und vom grünen Gilchinger Gemeinderat Peter Unger kommt der radikale Vorschlag, dass alle Landkreisgemeinden ihre Gewerbeflächen in eine gemeinsame Gesellschaft einbringen. Die baut dann, wenn überhaupt, nur noch ökologisch verträglich. Per Verteilungsschlüssel teilen sich die Gemeinden die Steuereinnahmen. Davon könnte etwa Gauting profitieren „und auf die Zerstörung von Natur und Landschaft verzichten“, so Unger.

Für die vier Gautinger Grünen im Gemeinderat verlief die Kontroverse ums Unterbrunner Holz bis jetzt im Zickzack. So recht will man sich bei ihnen nicht mehr erinnern, wie im Rat 2015 unter Bürgermeisterin Kössinger abgestimmt wurde, als man grünes (sic!) Licht für das Projekt gab. Klar ist, dass zumindest 2016 zwei grüne Ratsmitglieder für den momentan geltenden Entwurf votiert haben, „weil die halt die Kreisform so schön fanden“, beschwichtigt Anne Franke, die damals nicht da war. Heute plädiert sie für ein abgespecktes Modell außerhalb vom Bannwald und wirbt um Verständnis „für Gemeinderäte, die gucken müssen, dass ihr Ort finanziell okay ist“. Frankes grüner Ortsverband war stets gegen das Projekt. Grüne Zwiespälte – die nicht kleiner werden zukünftig.

Aus der Bayerntaz

Schwestern und Brüder, auf zur Sonne, auf nach Bayern: Diesen Artikel lest Ihr/lesen Sie im Rahmen des weißblauen Sonderprojektes der taz zum 100. Geburtstag des Freistaats Bayern. Unter der zünftigen Federführung des Obermünchners Andreas Rüttenauer haben sich nur die besten bayerischen Kräfte der taz an die Recherche gemacht: alle Texte. Ein Prosit auf Sie und auf uns!

„Klima, Mobilität – eben die üblichen Dinge, die auch bei der Entwicklung des Unterbrunner Holzes nötig sind“, sagt Bernd Schulte-Middelich am Telefon. Es klingt professionell, fast gelangweilt. Schulte-Middelich ist geschäftsführender Gesellschafter der asto Business Group, die den benachbarten Flughafen Oberpfaffenhofen managt. Und er ist Geschäftsführer der Astopark Gauting Entwicklungsgesellschaft mbH. Die soll den Forstteil im Auftrag der Gemeinde neu gestalten.

30.000 Tonnen Co2 sollen einmal im „Ecopark Gauting“ durch Geothermie eingespart werden; man will laut Schulte-Middelich ein „sozial, ökologisch und energetisch nachhaltiges Gewerbegebiet“. Christian Winklmeier vom Aktionsbündnis hält dagegen, das meiste davon sei „pure Öko-Augenwischerei, wie sie zurzeit überall grassiert.“ Dass etwa fast kein Auto reinfahren dürfe, „ist doch komplette Utopie“.

„Wer soll sich des alles leisten können? I net.“

Schulte-Middelich glaubt erwartbar fest an das Projekt. „Unsere Gegner können uns lange behindern, aber das Gewerbegebiet nicht verhindern.“ Dass der zuständige Starnberger Kreistag das betroffene Waldstück als Bannwald und Landschaftsschutzgebiet „herausnehme“, sei nur eine Frage der Zeit – beim Blick auf frühere Kreistagsbeschlüsse richtig.

Bis dato sind auch 5 Hektar, die Gauting im Gelände des Flughafens Oberpfaffenhofen hat, nicht genutzt. Ein Ort, und das finden auch die Gautinger Grünen, der genutzt werden sollte – ebenso wie fast 10 Hektar naturschutzfreie Felder in einer Senke Richtung Unterbrunn. Hier will Bürgermeisterin Kössinger ebenfalls Gewerbe ansiedeln. „Reicht doch!“, sagen darob die Gegner der Bauidee im Unterbrunner Holz. Zumal auf diesen Feldern möglichst örtliche Betriebe gefördert werden sollen. Außerdem entsteht bereits ein kleinerer „Handwerkerhof“ im Ort.

„Reicht doch!“: Am Unterbrunner Stammtisch vom Gasthof Böck drückt es derweil ein Metzger ähnlich aus, jedoch mundartlicher. Der stämmig kleine Mann ist zum Handyklang „Bayerischer Defiliermarsch“ eingezogen. Sitzend vor einer halben Bier positioniert er sich zum kommunalen Hickhack zwischen Gilching und Gauting. „Mei“, sagt er und drückt den Marsch energisch weg, „mei, Gilching hat doch schon so viel, jetzt will Gauting den Wald da zubauen. Schluss mit immer noch mehr Geraffel! Wer braucht des alles?“ Später ertönt erneut der Defiliermarsch des Metzgers. Der erhebt sich vom Stammtisch, dreht sich zum Herrgottseck. Im Abgang begriffen, ruft er: „Und wer soll sich des alles leisten können? I net.“

Ob es also „Bayern am Ende gut gehen wird“, wie es jüngst CSU-Generalsekretär Markus Blume verkündet hat? Die Frage bleibt im bebauten – und, solange es ihn noch gibt – unbebauten Raum bestehen. Hymnisch ausgedrückt: „Gott mit dir, du Land der Bayern!“

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