piwik no script img

Bau des Südschnellwegs in HannoverLauter Wahrheiten über den Biber

Manche hoffen auf dem Biber beim Schnellstraßen-Protest in Hannover. Aber als politisches Symbol hat der Nager sich in Europa kaum durchgesetzt.

Auch in Jacob van Maerlants „Der Naturen Bloemen“ wird gezeigt und erklärt, was Biber im Mittelalter so konnten Foto: Public Domain

BREMEN taz | Biber, wer kennt sie nicht: Ihr hervorragendstes Merkmal sind die extremen, nachwachsenden und sich selbst nachschärfenden Schneidezähne mit einer Länge von bis zu dreieinhalb Zentimetern.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Während sich der Biber für Kieferorthopäden als Wappentier eher verbietet, haben ihn weltweit etliche Zahnpasten als Maskottchen gewählt. Auch mindestens zwei in Deutschland handelsübliche werben mit dem größten Nagetier Europas: Blendi für Kinder und Dent-a-Gard für Zweitzahnträger.

Logisch: Die Biberzähne haben eine Kraft von 1,17 Kilonewton (kN) – also die Kraft, die nötig ist, um 1.170 Tafeln Schokolade hochzuhalten. Das reicht völlig aus, um auch Hartholz zu durchnagen, sodass der Bieber ohne zu klettern an schmackhaftes Blattwerk selbst gefällter Eichen kommt. Aber reicht sie auch, um den Bau des Südschnellwegs aufzuhalten?

Vermutlich nicht. Zwar gibt es die Biber von Tümpeltown. Statt sich dafür auf die Schulter zu klopfen, dass dieses einst nahezu ausgerottete Tier in der südlichen Leineaue wieder heimisch geworden ist, hatte die Naturschutzbehörde das lange bestritten.

Politische Vergangenheit

Mittlerweile räumt sie es ein und beauftragt Gutachter, zu sagen, dass die Rodung der Bäume in der Leinemasch kein Problem gewesen und die Umsiedlung des ansässigen Bieberpärchens total easy und quasi schon vollzogen sei. Dabei stehen sowohl das Fangen, Verletzen oder Töten von Bibern als auch das Zerstören ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten unter Strafe, das Bußgeld liegt in Niedersachsen jeweils bei bis zu 50.000 Euro.

Denn das Tier gilt laut Bundesartenschutz-Verordnung als selten: Das Bundesnaturschutzgesetz müsste also zu seinen Gunsten greifen. Auch wenn sich die Population im Laufe der vergangenen Jahrzehnte rasant gut entwickelt hat – die Bundesartenschutz-Verordnung stand 2005 im Bundesgesetzblatt und basiert auf Daten der frühen 1990er. Die jüngste seriöse Biber-Erhebung aus Niedersachsen kam 2020 auf einen landesweiten Bestand von „zwischen 432 und 504 Bibern“.

Nicht nur Procter, Gamble, Colgate, Palmolive und Bristol-Myers mit ihrem „Bucky Beaver“ haben den putzigen Biber, lateinisch für die europäische Variante Castor fiber, für die Markenbildung eingespannt. Auch die Hamburger Grün-Alternative Liste hatte 1981 mit seiner Hilfe ihre Corporate Identity hergestellt, obwohl man doch damals ständig gegen Kastoren demonstrierte.

In Bergedorf hält man ihm sogar nach wie vor die Treue, auch wenn die grafische Darstellung – sie zeigt einen zügig von links nach rechts marschierenden Comic-Biber – heute eher etwas unglücklich wirkt. Zeit­zeu­g*­in­nen zufolge war den Gründungs-GALier*innen die Sonnenblume zu niedlich und „zu vegetarisch“, schrieb das Hamburger Abendblatt im vergangenen Jahr.

Dabei isst auch ein Biber keine Tiere. Stattdessen wird er selbst von Wölfen, Füchsen, Welsen und Hechten verspeist, die in der Leine und an ihren Ufern in ausreichender Größe und Stückzahl vorhanden sind. Und natürlich von Menschen.

Lecker Biber

Nicht-Vegetarier*innen wissen: Ethisch vertretbar ist allerhöchstens Wildtiergenuss. Und in Bayern gibt es mittlerweile Gebiete, in denen das Tier gejagt – und folglich auch gegessen werden darf. Erprobte Rezepte finden sich vor allem in kanadischen Kochbüchern. Als Klassiker gilt „Les vraies recettes du petit-gibier“ also „Die echten Kleinwild-Rezepte“.

In dem haben Roger Fortier, der Leiter des Nationalen Fleischinstituts des Québec, und die Köchin Soeur Monique Chevrier (CND) nicht nur veranschaulicht, wie die Nager auszunehmen sind, sondern auch vier unterschiedliche Weisen, einen Biberbraten zuzubereiten und eine weitere für Biber-Ragout aufgeführt.

Plus die Empfehlung, Biberschwänze nach Art der auf der östlichen Labrador-Halbinsel ansässigen Innu immer frisch bei der Rückkehr von der Jagd ganz puristisch zu garen: Dafür sind sie lediglich auf die sehr heiße Grillpfanne zu werfen. Sobald die Haut platzt, diese in Streifen abziehen. Anschließend den Schwanz in heißem Fett scharf anbraten. Als Beilage empfohlen werden sautierte Spitzen vom Straußenfarn, ein tolles Wildgemüse. Der steht aber in Deutschland auch unter Naturschutz.

Rettung durch Selbstkastration

Apropos Schwanz: Die antike Zoologie hatte herausgefunden, dass Biber ihre Testikel abwerfen können. Diese Selbstkastration erfolge, weil den intelligenten Tieren klar sei, worauf die Jäger aus sind, haben Plinius der Ältere und der anonyme Verfasser des „Physiologus“ beobachtet.

Alle Welt wusste ja, dass aus Biberhoden ein sehr wirksames Mittel gegen Epilepsie zu extrahieren war. Indem er sich also sein Gemächt beherzt vom Unterbauch beißt und es hinter sich wirft, bringt der Biber die Verfolger zum Anhalten. Bei späteren Jagden reiche es ihm, sich auf den Rücken zu werfen, auf dass der Waidmann erkennen möge: Was er sucht, ist hier nicht zu finden.

Zwar hat Albertus Magnus in seiner im 13. Jahrhundert entstandenen Schrift „De Animalibus“ Zweifel an dieser Schilderung gestreut. Aber der glaubte ja auch an Einhörner.

Die Evolution ist nicht vorbei

Sein Verhalten wird vom „Physiologus“ durchaus zur Nachahmung empfohlen, und eben zu den Grünen würde das doch total super passen. Aber viel spricht dafür, dass sich der Biber gerade auch mit dieser Sonderfähigkeit in Europa die Karriere als Symbol verbaut hat: Es gibt hier keine nennenswerte Zahl von Biberbildern.

Als Wappentier von Bevern in Schleswig-Holstein sowie Bevern und Beverstedt in Niedersachsen kommt er zwar vor, aber Bär, Wolf und Einhorn sind zehnmal so beliebt und selbst der Pelikan schlägt ihn um Längen. In Erzählungen spielt er vielleicht mal in einem der deutschtümelnden Clemens-Brentano-Märchen eine Rolle, sonst aber nur bei den nordamerikanischen First Nations.

Aber seine Naturgeschichte ist ja auch abenteuerlich genug. So war ihm in der absoluten Hochphase der taxonomischen Biologie der Wechsel der Klasse gelungen. Dafür gesorgt hat der jesuitische Botaniker Pierre François Xavier de Charlevoix.

Der hat nämlich 1744 unter Berufung auf eine angebliche Entscheidung der medizinischen Fakultät der Sorbonne festgestellt, dass es sich bei dem Tier angesichts seines Lebensraums und seines markanten Schwanzes um einen Fisch handeln müsse, und ergo nicht um Fleisch, sodass es auch freitags und in der Fastenzeit gegessen werden darf.

Und die Evolution ist noch nicht abgeschlossen! Zwar gilt der europäische Biber (Castor fibri) weiterhin als Säugetier. Aber seit 2010 zeichnet sich nun ein Wechsel in die Unterfamilie der Antilopenartigen ab: Der Staudammbauer wird nämlich seither für möglichst alle Flutkatastrophen verantwortlich gemacht – dient also als ganz typischer als Sündenbock (Cabra peccatum omnia).

Er durchlöchere nämlich, vermutlich aus purer Eifersucht, die menschlichen Konkurrenz-Wasserbauwerke. Dieser Bedrohung durch vermeintliche Biberplagen steht ein empirisch belegter Nutzen gegenüber: Denn Stauungen durch Biberburgen verringern Fließgeschwindigkeit und Flutwellen-Gefahr in Bächen und Flüssen. Aber die Legende lässt sich deutlich besser politisch ausschlachten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!