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Bahn­fah­re­r*in­nen im Rollstuhl1. Klasse nicht vorgesehen

In der 1. Klasse der Deutschen Bahn gibt es keine Plätze für Rollstuhlfahrer*innen. Constantin Grosch kritisiert das – und stößt auf Unverständnis.

Ist Fan der Öffis: Constantin Grosch Foto: dpa/Grosch | Michalek

Hamburg taz | Constantin Grosch ist neu gewählter SPD-Landtagsabgeordneter in Niedersachsen. Deshalb darf er kostenlos in der 1. Klasse der Deutschen Bahn reisen. Kann er aber nicht, weil er im Rollstuhl sitzt. In der 1. Klasse gibt es keine Plätze für ihn. Dazu verfasste Grosch am Dienstag einen Tweet und erntete Unverständnis: Seine Kritik wurde als „privilegiertes Rumgeheule“ bezeichnet und ironisches Mitleid bekundet.

Er wolle mit dem Tweet aber lediglich zum Ausdruck bringen, dass es in der Klasseneinteilung in Zügen auch zu Diskriminierung unabhängig vom sozialen Status komme, sagt ­Grosch. Der 30-jährige Abgeordnete bezeichnet sich selbst als „großen Fan von Öffis“. Nicht nur, weil Menschen mit Behinderungen auf ihn angewiesen seien, sondern auch, weil der ÖPNV die Möglichkeit biete, die Gesellschaft ökologischer zu machen.

Neben seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat der Verkehrsgesellschaft Hameln-Pyrmont ist ­Grosch in der Behindertenbewegung aktiv. Weil die Suche nach einer barrierefreien Uni und Wohnung so schwierig war, begann er sich zu engagieren, zunächst im eigenen Interesse.

Mit dem selbst gegründeten Verein „Ability Watch“ legte Grosch 2020 Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz zur Regelung in Triage-Situationen ein. Über den daraufhin überarbeiteten Gesetzentwurf wurde am Donnerstagabend im Bundestag abgestimmt. Aber auch bei „plakativen Aktionen“, wie Grosch sie nennt, sei er dabei gewesen: „Wir haben uns an den Bundestag gekettet, um Aufmerksamkeit auf unsere Forderungen zum Bundesteilhabegesetz zu lenken.“

Barrierefreiheit für alle

Barrieren begegnen Grosch in seinem Alltag nicht nur beim Bahnfahren: „Es ist gut und wichtig, dass im öffentlichen Sektor mittlerweile barrierefrei gebaut werden muss, aber mein Leben findet nicht im Rathaus statt, sondern im Supermarkt, im Kino oder im Restaurant.“ Im Verkehr und bei privaten Bauten fehle es nach wie vor an Vorschriften.

Die 1. Klasse in Zügen ganz abzuschaffen, hält Grosch nur im Nahverkehr für sinnvoll, da gerade hier der Nutzen fraglich sei. Im Regional- und Fernverkehr findet er: „Wenn die Unternehmen das aus wirtschaftlichen Gründen beibehalten wollen, sollen sie das tun, nur muss das Angebot für alle zugänglich sein!“

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10 Kommentare

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  • "Kann er aber nicht, weil er im Rollstuhl sitzt. In der 1. Klasse gibt es keine Plätze für ihn"

    Es ist richtg, dass es Ziel sein muss, in allen Bereichen Barrierefreiheit zu gewährleisten. Der Artikel suggeriert, dass es generell keine Plätze für Rollstuhlfahrer in der ersten Klasse gibt. Das stimmt so aber nicht.

    Das hier sagt der VdK zum vorliegenden Fall:

    "Im Gegensatz zu ihren Vorgängern 1 und 2 gibt es in vielen ICE-3-Zügen Plätze für Reisende mit Rollstuhl nur in der 2. Klasse. Betroffen sind die ICE-3-Baureihen 403 und 406, nicht aber der neuere Typ 407....Die DB teilte mit, er könne auch weiterhin in der 1. Klasse fahren, wenn er beispielsweise in einem Faltrollstuhl reise und es ihm möglich sei, auch die dortige Toilette zu nutzen."

    Laut Deutscher Bahn umfast die Flotte derzeit 367 ICE Triebfahrzeuge. Davon fallen 67 Stück auf die Baureihen 403 und 406. Das bedeutet, dass in lediglich 18% der Züge keine Plätze in der 1.Klasse für Rollstuhlfahrer vorhanden sind.

    • @Deep South:

      Aber ich muss nicht verstehen, wieso man auf die Idee kommt in neuen Zügen Rollis auszuplanen ...

      • @Tz-B:

        Find ich auch komisch. Zwar nur in der ersten Klasse, aber trotzdem nicht gut. Das betrifft aber nur die Züge der Reihen 403 (bis 2006 gebaut) und 406 (bis 2012). Die neueren Reihen haben das wieder. Ging mir nur drum das mal einzuordnen.

        • @Deep South:

          Ey, danke für die Auskunft!

  • Ich kann das Anliegen von Hr. Grosch gut nachvollziehen. Ich muss aber einmal naiv fragen, was für ihn als Rollstuhlfahrer in der 1. Klasse eines deutschen ICEs anders wäre als in der 2. Klasse?



    Der Unterschied besteht hauptsächlich darin, dass man dort nur drei statt vier Sitze pro Reihe hat und dementsprechend mehr Platz. Hr. Groschs Rollstuhl verändert sich aber nicht dadurch, wie viele Sitzplätze pro Reihe um ihn rum so sind.

    Ja, zugegeben, in der 1. Klasse kann man vielleicht einmal pro Stunde und nicht nur einmal pro Tag einen Kaffee direkt am Platz kaufen - aber ansonsten dasselbe in grün.

    In der Abwägung fände ich es daher nicht sinnvoll, aus den ohnehin begrenzten Sitzkapazitäten noch mehr Sitze rauszuschrauben.

    • @Graustufen:

      Man hat durchaus auch mehr Ruhe und es ist nicht gesagt, dass er im Rollstuhl sitzenbleibt übrigens...



      Man hat weniger Ärger mit Kinderwagen und Rollkoffern, die auf den Rollstuhlplätzen stehen und deren Besitzer man meist suchen müde .



      Und wenn man eine halbwegs bekannte Person des öffentlichen Lebens ist, schätzt man vielleicht auch, weniger Leuten zu begegnen, aber das weiß ich nicht...

    • @Graustufen:

      Auch wenn das nachvollziehbar ist - Darum geht es nicht. Mit der gleichen Logik könnten Sie den Rolli auch ins Fahrradabteil stellen, mit 1x stündlich Kaffee.



      Vielleicht reist man nicht alleine ?



      Vielleicht möchte man nicht mit Fussballfans oder Kegelbrüdern reisen ?



      Vielleicht ist es schlichtweg egal, warum jemand in der 1.Klasse fahren möchte...

  • Mehr SPD geht nicht.

    Anstatt das Problem holistisch zu betrachten und die eigentliche Ungerechtigkeit eines Klassensystems zu benennen (die Grosch sogar verteidigt!), meint man nur der eigenen Blase anzugehören. Natürlich ist es besser, Rolliplätze in der 1. Kl. zu schaffen, als das nicht zu tun. Aber wenn man nur ein paar Sekunden länger am kognitiven Ball bleibt, dann sieht man vielleicht auch mal das große Ganze.

    Die SPD...

  • Das "Leben findet nicht im Rathaus statt, sondern im Supermarkt, im Kino oder im Restaurant.“ Im Verkehr und bei privaten Bauten fehle es nach wie vor an Vorschriften."

    Da er recht. Und es ist gut, dass er jetzt eine Position hat, in der er auf diese Probleme aufmerksam machen kann.



    Behinderte Menschen sind Teil der Öffentlichkeit, sie werden nur zu häufig und gerne vergessen, weil sie sich häufig nur mit Mühe und unter großem Aufwand in der Öffentlichkeit bewegen können.

    Man gehe mit offenen Augen durch unsere Orte, und beachte die pseudo-mittelalterlichen Straßenpflaster, sportlich steilen Rampen und engen Gehwege. Wer das gut findet, sollte weder alt werden, noch behindert sein oder werden.

    Bahn und ÖPNV sind entweder in der Hand des Staates oder werden durch ihn finanziert. Probleme für behinderte Menschen dürfte es da eigentlich nicht geben.

  • "Die 1. Klasse in Zügen ganz abzuschaffen, hält Grosch nur im Nahverkehr für sinnvoll [...] Im Regional- und Fernverkehr findet er: „Wenn die Unternehmen das aus wirtschaftlichen Gründen beibehalten wollen, sollen sie das tun, nur muss das Angebot für alle zugänglich sein!“"

    Mit solchen "Linken" braucht man keine FDP mehr