Bafög-Reform der Ampel: Wer Geld hat, kriegt weniger
Die Regierung will das Bafög elternunabhängiger machen. Wieso nur? Ungleichheit erfordert Ungleichbehandlung.
B afög ist für mich eine Abkürzung, die viele Gefühle auslöst. Erleichterung, Überforderung, Dankbarkeit, Frust. Alle paar Monate, wenn sich das Bafög in Form der Ratenrückzahlung zurückmeldet, erinnere ich mich an diese Gefühle. Manchmal denke ich dann: Ohne Bafög hätte ich vielleicht gar nicht studieren können. Dann wäre an dieser Stelle ein anderer Text eines anderes Autors erschienen.
Aktuell weckt die vom Bundeskabinett beschlossene Bafög-Reform Erinnerungen. Die 27. Bafög-Novelle bringt mehr Geld, mehr Wohnpauschale, die Altersobergrenze von Bafög-Empfänger:innen wird von 30 auf 45 Jahre angehoben. Angesichts steigender Preise und historischer Inflation bleibt das Leben als Bafög-Empfänger:in trotzdem eine Herausforderung.
Weshalb das Deutsche Studentenwerk 10 statt der jetzigen 5 Prozent Erhöhung der Bedarfssätze fordert. Dem und auch allem, was über diese Forderung hinausgeht, kann ich nur zustimmen. Jedes Mehr im Zusammenhang mit dem Bafög ist begrüßenswert. Nur in einem Punkt ist es das nicht.
Denn das Bundeskabinett hat auch beschlossen, das anrechnungsfreie monatliche Elterneinkommen von 2.000 Euro auf 2.400 Euro zu erhöhen. Damit will Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die Reichweite der staatlichen Unterstützung ausdehnen, also den Kreis der Empfänger:innen erweitern. Deren Zahl nimmt seit zehn Jahren kontinuierlich ab. Weil 2.000 und 2.400 Euro nicht weit voneinander entfernt sind und 2.400 Euro immer noch sehr wenig Geld ist, ist die aktuelle Maßnahme nicht das Problem. Ein Problem wäre es aber, wenn der Freibetrag in Zukunft weiter und massiver angehoben würde, damit noch mehr Menschen Bafög bekommen. Und wenn die Berechtigung immer weniger von den Finanzen der Eltern abhängen würde. Im Ampel-Koalitionsvertrag steht, man wolle das Bafög elternunabhängiger machen.
Wirksame Förderungen
Dabei hat die Elternabhängigkeit des Bafögs einen guten Grund: Die einen werden in Familien mit wenig, die anderen in Familien mit viel Geld hineingeboren. Möchte man ein wirksameres Förderprogramm, sollten diejenigen mehr bekommen, die wenig haben. Möchte man die Reichweite ausdehnen, wäre es hilfreich, bedürftige Menschen gezielter anzusprechen, ihnen den Zugang zu erleichtern und den ultrabürokratischen Prozess der Antragstellung zu entkomplizieren (deshalb Frust und Überforderung!).
Die aktuelle Bafög-Reform hat so auch eine besonders lästige Erinnerung bei mir geweckt: die an Kommiliton:innen mit reichen Eltern, die darüber klagen, dass sie kein Bafög bekommen, dass das doch unfair sei, weil sie gerne auch so unabhängig von ihren Eltern wären. Was sie nicht gecheckt haben: Eine Gesellschaft mit großer Ungleichheit muss der Ungleichheit nun mal mit Ungleichbehandlung begegnen, will sie den Anschein einer demokratischen Gesellschaft nicht komplett verlieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen