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BSW in KoalitionenBald an der Macht – aber mit Risiko

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Das Bündnis Sahra Wagenknecht steht vor Regierungsbeteiligungen. Der Widerspruch zwischen Systemveränderung und einem Weiter so bleibt ungelöst.

Lebt von den Projektionen der anderen: Sahra Wagenknecht (BSW) Foto: Jens Schicke/imago

W as hatte es im Vorfeld nicht an Warnrufen gegeben: Wagenknecht sei eine „Systemsprengerin“, titelte der Spiegel. Sie drohe, die Westbindung Deutschlands aufzukündigen und die Union zu „zerstören“, fürchteten manche in der CDU und forderten einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Aber auch in der SPD gab es Unmut: Brandenburgs SPD-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach warf aus Protest gegen die Koalition mit Wagenknechts Leuten hin.

Diese Überhöhung spielt Sahra Wagenknecht in die Hände. Sie wolle einen „echten politischen Wandel“, trompetete sie im Wahlkampf, ein „Weiter so“ werde es mit ihr nicht geben. Darum ist der Streit um die Stationierung von Raketen und Friedensverhandlungen mit Russland so wichtig für sie, auch wenn das Thema in der Landespolitik keine große Rolle spielt.

Das Getöse soll den Eindruck erwecken, dass es um Grundsätzliches geht. Das ist identitätsstiftend. Nun liegen in Brandenburg und Thüringen die ersten Koalitionsverträge des BSW vor und siehe da, die Revolution ist abgesagt, das Abendland geht nicht unter. Sicher, die neue Partei hat Akzente gesetzt: Das Wort „Frieden“ etwa steht 28 Mal im Thüringer Koalitionsvertrag. Die Handschrift des BSW ist erkennbar. Doch es ist eine größtenteils sozialdemokratische und teilweise konservative Handschrift und sicher keine systemstürzende. Das zeigt: Wagenknecht ist ein Scheinriese. Sie wirkt aus der Entfernung weitaus größer und bedrohlicher, als sie in Wirklichkeit ist. Sie lebt von den Projektionen der anderen. Aus der Nähe betrachtet schrumpft sie auf Normalmaß zusammen.

Bisher kannte Wagenknecht nur die Fundamentalopposition. Nun wird sie in Thüringen und Brandenburg jeweils drei Ministerien besetzen. Damit geht sie vor der Bundestagswahl ein großes Risiko ein: Zum einen fehlt ihr das Personal. Indem sie externe Fachleute ins Amt hievt, könnte Wagenknecht aus der Not eine Tugend machen. Ihr Vorschlag, nach der Bundestagswahl eine „Expertenregierung“ zu bilden, weist bereits in diese Richtung.

Wagenknecht ist ein Scheinriese. Sie wirkt aus der Entfernung weitaus größer und bedrohlicher, als sie in Wirklichkeit ist

Zum anderen aber muss ihre Partei Kompromisse eingehen und Verantwortung tragen – und könnte damit Wähler enttäuschen, die sich mehr erwartet haben. Der Einbruch, den das BSW derzeit in den Umfragen erfährt, dürfte damit zusammenhängen. Wagenknecht habe Sorge, „dass wir durch unseren pragmatischen Thüringer Stil ihr Wahlkampfkonzept einer klaren Abgrenzung zu anderen Parteien kaputtmachen“, analysierte BSW-Landeschefin Katja Wolf in der Zeit. Deshalb reagiert Wagenknecht so scharf auf den Vorwurf der AfD, sie sei bloß eine „Steigbügelhalterin“ und „nützliche Idiotin“ der „Altparteien“, die sie für ein „Weiter so“ einspannten. Das ist weitaus image­schädigender als der Vorwurf, sie sei Putins Marionette.

Dabei ist „Weiter so“ genau das, was viele Wagenknecht-Wähler wollen: Sie wollen möglichst lange weiter Benzin tanken. Sie wollen nicht, dass sich ihr gewohntes Umfeld durch Einwanderung zu sehr verändert und dass sich Russlands Krieg in der Ukraine auf ihren Geldbeutel auswirkt. Sie fürchten sich vor zu viel Veränderung und um ihre soziale Sicherheit.

Realitätsschock wird kommen

Darum hat das BSW ziemlich viel „Weiter so“ durchgesetzt: In Brandenburg will es den Kohleausstieg hinauszögern und alle Krankenhäuser erhalten. In Thüringen will es mit CDU und SPD trotz Geburtenrückgangs möglichst viele Schulen und sogar Kinos auf dem Land retten, die ärztliche Versorgung garantieren und stillgelegte Bahnstrecken wieder in Betrieb nehmen. Wie das finanzieren werden soll, ist unklar.

Thüringen schleppt ein strukturelles Haushaltsdefizit von über 1,3 Milliarden Euro mit sich mit, und auch in Brandenburg wachsen die Bäume nicht in den Himmel: Das Land rechnet mit 403,7 Millionen Euro weniger Steuereinnahmen als erwartet. Man werde Prioritäten setzen müssen, kündigt Brandenburgs BSW-Chef Robert Crumbach schon mal an. Und in Thüringen hat man erkannt, dass man ohne gezielte Anwerbeoffensive für ausländische Fachkräfte bald nicht mehr genug Ärzte, Pfleger und Apotheker haben wird. Ganz ohne weitere Einwanderung wird es also auch in Thüringen nicht gehen.

Das BSW kann aber noch für Überraschungen gut sein. Das liegt am ambivalenten Verhältnis zur AfD. In Brandenburg und Thüringen hat es eine Zusammenarbeit mit der AfD zwar ausgeschlossen. In Sachsen, wo sich das BSW einer Koalition verweigerte, hat es aber bereits zwei Mal Anträgen der AfD zugestimmt: zur Aufarbeitung der Coronamaßnahmen und zur Stationierung von US-Raketen. Das BSW weicht die Brandmauer nach rechts auf. Damit könnte es die politische Landschaft langfristig am stärksten erschüttern.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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8 Kommentare

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  • Zitat: "Dabei ist „Weiter so“ genau das, was viele Wagenknecht-Wähler wollen: Sie wollen möglichst lange weiter Benzin tanken. Sie wollen nicht, dass sich ihr gewohntes Umfeld durch Einwanderung zu sehr verändert und dass sich Russlands Krieg in der Ukraine auf ihren Geldbeutel auswirkt. Sie fürchten sich vor zu viel Veränderung und um ihre soziale Sicherheit."

    Das würde aber nur passen, wenn man voraussetzt, daß die Leute verstehen, daß sie das bei den Etablierten Demokraten nicht mehr bekommen würden. Und dann wählen die eher jemanden, der sie vor allem beim allerletzten der der obigen Punkte konsequent "unter den Bus schmeißt": www.volksverpetzer...destag-afd-aermer/

    Die Prozente, die SW abgegriffen hat, stammen eben gerade nicht von den sogenannten "konservativen" Parteien.

  • Zitat: "Wagenknecht habe Sorge, „dass wir durch unseren pragmatischen Thüringer Stil ihr Wahlkampfkonzept einer klaren Abgrenzung zu anderen Parteien kaputtmachen“, analysierte BSW-Landeschefin Katja Wolf in der Zeit."

    Echt jetzt? Abgrenzung zu anderen Parteien heißt dann aber konsequenterweise, mit niemandem zusammenarbeiten. Damit bewegt man dann auch nichts. Da hätte sich SW mit dem Griff nach einer ehemaligen OB etwas vertan. Auf dem Posten muß man, da geht es nicht anders.

    Die Frau Wolf sollte bei ihren Einschätzungen mal ihren Blick gen Osten richten. Die Welt endet nämlich nicht am Altenburger Land. Dahinter war es das jetzt schon mit der Abgrenzung. Und wo wird, wer jemanden sucht, der mit A*D stimmt, sinnvollerweise sein Kreuzchen machen? Ja, genau.

  • Dass die Revolution ausbleibt, war doch aber klar.

    Sahra Wagenknecht kommt aus der Linkspartei.

    Wo die regiert bzw. mitregiert hat, blieb immer die Revolution aus.

    In Berlin, in Thüringen, ...

    Hauptsächlich markige Wort.

    Welche Partei lebt denn nicht von Projektionen?

    Die Grünen tun es definitiv und wissen es.

    Deshalb gab es so schöne Fotos von Baerbock am Südseestrand.

    Feministische Außenpolitik blieb hingegen Projektion.

    Würde jemand Baerbock deshalb als Scheinriese bezeichnen?

    Die anderen Parteien machen im Prinzip das Gleiche.

    Selbst die Zivilgesellschaft ist den Projektionen verfallen.



    Beim Thema Migration, beim Thema Gendern, ...

    Zudem bedient das BSW Altlinke mit DDR-Sozialisierung. Da trifft sie sich aber mit der brandenburgischen SPD.

    Derzeit wünschen sich die meisten Wähler eine andere Politik als die älteren Parteien sie geliefert haben.

    Das bedient Wagenknecht.

    So läuft Demokratie.

    Insbesondere Opposition.

    Es macht natürlich Westlinke nervös, wenn man auf einmal Mainstream ist und das Dynamische, Revolutionäre woanders stattfindet.

    Entspricht so gar nicht dem Selbstbild.

    • @rero:

      Bevor die ersten Abstimmungen anstehen, ist schon klar, daß der Crumbach nicht mal ein Häufchen von vierzehn Leuten komplett bei der Stange halten kann. Ob Brandenburgs Wagenknechte über die Unterschrift unter dem Vertragsentwurf hinaus tatsächlich etwas liefern oder bedienen werden, ist noch nicht raus.

  • "Das BSW weicht die Brandmauer nach rechts auf. Damit könnte es die politische Landschaft langfristig am stärksten erschüttern."

    Es sollte doch inzwischen deutlich sein, dass das Konzept der Brandmauer die AFD weiter gestärkt hat. Sinnvoller dürfte es sein auch mit der AFD zu stimmen, wenn es ein sinnvoller Antrag. Ein Extrembeispiel: wenn die AFD einen Antrag für mehr Klimaschutz einbringen würde - warum aus Prinzip dagegen stimmen?

    • @Alexander Schulz:

      Zitat: "Ein Extrembeispiel: wenn die AFD einen Antrag für mehr Klimaschutz einbringen würde - warum aus Prinzip dagegen stimmen?"

      Das Beispiel wäre aber nur dann "extrem", wenn Regierungskoalitionen nicht aus Prinzip mit allen Anträgen aus der Opposition so verfahren würde, egal, wer da was eingebracht hat. Einfach mal einen Blick in den Brandenburger Koalitionsvertrag geworfen, dort verpflichtet sich das BSW gerade, genauso zu verfahren. Nix da, von wegen Revolution. Soweit scheint SW den noch nicht gelesen zu haben.

  • "Zum anderen aber muss ihre Partei Kompromisse eingehen und Verantwortung tragen – und könnte damit Wähler enttäuschen, die sich mehr erwartet haben."

    Vielleich erwarten ihre Wähler ja konstruktive Politik statt Fundamentalopposition?

    Wochenlang konnte man lesen, dass das BSW nur Unruhe stiften und nicht regieren will. Jetzt sind zwei Koalitionsverträge unterschriftsreif. In Sachsen sind die Verhandlungen gescheitert.

    Fazit. Das BSW will regieren, aber nicht um jeden Preis. Klingt nach vernünftiger Politik. Und Vernunft wurde versprochen.

  • Ganz zu schweigen vom Führerkult, der sich sonst mit übermäßiger Betonung von Personalfragen zufrieden gab. Beim BSW ist er voll sichtbar. Kill your idols