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Autorin Hami Nguyen über Rassismus„Es fängt mit Sichtbarkeit an“

Nguyen fordert in ihrem Debüt eine Auseinandersetzung mit anti-asiatischem Rassismus. Dieser würde wenig beachtet, auch wegen positiver Stereotype.

Autorin Hami Nguyen: „Der Mythos der Vorzeigeminderheit hat uns nicht geholfen.“ Foto: Hami Nguyen
Interview von Vivien Mirzai

taz: Seit Black Lives Matter debattieren wir vermehrt über Rassismus. Wieso müssen wir jetzt gezielt über anti-asiatischen Rassismus sprechen, Frau Nguyen?

Hami Nguyen: Warum anti-asiatischer Rassismus wenig Beachtung findet, ist ein Teil dieser Rassismusform: Unsichtbarkeit. Menschen, die vermeintlich ost- und südostasiatische Wurzeln haben, gelten als angepasst, fleißig und gut integriert. Diese rassistischen Stereotypen tragen dazu bei, dass Nichtbetroffene denken, dass diese Menschen keine Probleme hätten, weil ihnen oft nur positive Eigenschaften zugeschrieben werden. Dennoch gibt es Klischees über vermeintlich eklige Essgewohnheiten und unzivilisierte Praktiken. Die Coronapandemie hat diese Klischees potenziert. Der Mythos der Vorzeigeminderheit hat uns nicht geholfen. Wir haben trotzdem rassistische Gewalt erlebt, wie man in Rostock-Lichterhagen und Hoyerswerda gesehen hat.

Im Interview: Hami Nguyen

Geboren 1989 in Vietnam und 1991 mit ihrer Mutter nach Deutschland geflohen. Sie ist Referentin in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main und setzt sich als Autorin und Aktivistin für eine gerechtere Gesellschaft ein.

„Das Ende der Unsichtbarkeit“. Ullstein Verlag, Berlin 2023

Im August 1992 griffen mehrere Neonazis unter dem Beifall von bis zu 3.000 Zu­schaue­r*in­nen das „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen an. Es wurde von ehemaligen vietnamesischen Ver­trags­ar­bei­te­r*in­nen bewohnt. Dieser Pogrom stehe symbolisch für die fehlende historische Einbettung von anti-asiatischem Rassismus. Warum?

Wenn man gerade zu der Zeit auf die Diskurse rund um die Pogrome schaut, dann sehen wir, dass Po­li­ti­ke­r*in­nen nur die Tä­te­r*in­nen in den Vordergrund gerückt haben. Sie wurden als arme, wütende junge Menschen dargestellt, die keine Zukunftsperspektive hatten. Dabei waren sie auch waschechte Neonazis. Die meisten der betroffenen Personen, die die Anschläge erlebt haben, wurden abgeschoben. Die Betroffenenperspektive war einfach nicht relevant in diesem Zusammenhang. Wir erleben auch bei anderen rassistischen Anschlägen, dass immer nur von Einzelfällen gesprochen wird. Das wurde auch, wenn es um rassistische Gewalt gegen Menschen mit ost- und südostasiatischen Wurzeln geht, nicht gebrochen.

Die Bezeichnung „anti-asiatischer Rassismus“ wird oft von Menschen mit süd-/ostasiatischen Bezügen kritisiert. Warum haben Sie sich trotzdem für diese Bezeichnung im Untertitel entschieden?

Über mich sage ich nicht „Ich bin Asiatin“ oder „Ich bin asiatisch.“ Ich nutze diese Formulierung ausschließlich im Zusammenhang mit anti-asiatischem Rassismus. Das ist unsere Lebensrealität und beschreibt diese Diskriminierungsform am besten. Hätte ich die Begriffe anti-ostasiatischen oder anti-südostasiatischen Rassismus verwendet, würde das signalisieren, dass die, die uns rassifizieren, den Unterschied zwischen Ost­- und Süd­ost­asia­t*in­nen kennen würden. Das stimmt nicht, denn wenn ich rassistisch diskriminiert werde, dann bin ich die „Asiatin“. Mit dem Begriff „asiatisch“ ist gar nicht die geografische Lage gemeint, sondern die politische und soziokulturelle Kategorie.

Waren Sie in der Schule auch immer nur „die Asiatin“?

Positiver Rassismus ist eine Rassismusform, welche vermeintlich positive Zuschreibungen aufgrund äußerer Merkmale erklärt. Ich sehe ostasiatisch aus und deswegen schreibt man mir zu, ich sei gut in Mathe und immer höflich und unauffällig. Das ist eine Erwartungshaltung, die an mich gestellt wurde, und wenn ich die Erwartungen nicht erfüllen konnte, dann wäre ich als „Sonderling“ herausgefallen. Ich musste mich eigentlich nur „normal“ verhalten, wie alle anderen Schü­le­r*in­nen und auch mal widersprechen. Das wurde bei mir direkt als besorgniserregende Rebellion gewertet. Ich habe mich meine ganze ­Schulzeit über unsicher gefühlt. Ich wusste nie, wer ich war und was mir wirklich gefiel oder wo meine Interessen wirklich lagen, weil ich immer Fremdzuschreibungen ausgesetzt war.

Warum war Ihnen wichtig, ein Kapitel dem Thema Hypersexualisierung und Fetischisierung asiatisch gelesener Frauen zu widmen?

Dieses Thema ist ein sehr wichtiger Pfeiler des anti-asiatischen Rassismus und ich habe damit persönlich mehrere Erfahrungen machen müssen. Beispielsweise rief ein Mann im Restaurant meiner Mutter an, sagte „Ficki Ficki“ und legte auf. Die Verbindung zwischen ost- und südostasiatischen Frauen in der Sex-Kauf-Indus­trie ist eng verwoben. Das spiegelt sich auch in der Popkultur wider. Wenn man an Takako Chigusa aus Kill Bill denkt, ist sie eine hypersexualisiert dargestellte eiskalte Killerin in Schul­uniform. Man spricht dann von dem Bild der „Drachenlady“. Unterwürfige, sexwillige Frauen prägen das Stereotyp der sogenannten „Lotusblume“.

Warum kann anti-asiatischer Rassismus nicht ohne die Rolle Chinas beschrieben werden?

Das ist ein guter Bogen zu der Frage, warum ich den Begriff anti-asiatischen Rassismus verwende. Wir werden homogenisiert. Für die weiße Dominanzgesellschaft sind wir alle gleich. Als Kind wurde ich immer als Chinesin bezeichnet. Man kann uns nicht auseinanderhalten. Und deswegen hat der Diskurs um China auch immer einen Einfluss auf mich. Auch wenn ich keine Chinesin bin, wurde ich in der Pandemie rassistisch angegriffen. Niemand hat sich in der Straßenbahn neben mich gesetzt, weil sie Angst vor dem „Chinavirus“ hatten. Das ist die Lebensrealität vieler, denen zugeschrieben wird, dass sie aus China seien.

Was muss geschehen und geschieht schon, damit „asiatische“ Perspektiven und Erfahrungen gehört und anerkannt werden?

Ich wünsche mir, dass anti-­asiatischer Rassismus überhaupt in Diskursen erwähnt wird. Oftmals ist es so, dass diese spezifische Form in Rassismusdebatten vollkommen ausgeklammert wird, als ob sie nicht existent wäre. Ich glaube, es fängt mit Sichtbarkeit an. Dann kommt die Aufarbeitung historischer Ereignisse dazu. Die Geschichte vietnamesischen Ein­wan­de­r*in­nen ist für die deutsche Geschichte sehr wichtig, darüber muss gesprochen werden. Ich wünsche mir, dass diese Verharmlosung ein Ende hat und dass dieser Mythos der Vorzeigeminderheit aufgearbeitet wird. Ich möchte über meine Diskriminierungserfahrungen reden, ohne andere Rassismusformen dabei abzuwerten.

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2 Kommentare

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  • In der Perspektive auf vietnamesische Einbwanderer gab es einen klaren Ost-West-Unterschied.

    Zu DDR-Zeiten wurden Vietnamesen nicht so positiv gesehen wie im Westen.

    Der "Mythos der Vorzeigeminderheit" war ein West-Narrativ.

    Deshalb konnte er gegen Rostock-Lichtenhagen etc. nicht helfen.

  • Gutes und wichtiges Interview. Danke.