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Autor über fantastische Erzählungen„Wenn der Fluss des Lebens stockt“

Sachte seltsam: Philipp Böhm liest in Hamburg und Bremen aus seinem Erzählungsband „Supermilch“.

Manchmal tritt das Andere ziemlich deutlich auf: Wenn ein Mensch zur Kröte wird, z.B Foto: Ján Krošlák/dpa
Alexander Diehl
Interview von Alexander Diehl

taz: Herr Böhm, in Ihren Erzählungen geht es um Dinge, die wir alle kennen: Loft-Büros, in denen an „Projekten“ gearbeitet wird, auf Möbeln aus neuen Paletten, die aussehen wie alte. Auf der anderen Seite dann Barfuß-Seminare und Selbstfindungs-Kram. Was ist das für ein Milieu, in dem sie spielen?

Philipp Böhm: Ich glaube, was sie weniger verbindet als das Milieu, sind Lebenssituationen – und das sind Krisen. Die Figuren stehen alle an einem Punkt, an dem der reguläre Fluss ihres Lebens irgendwie unterbrochen wird. In der zweiten Geschichte ist es ja tatsächlich so, dass der Fluss einer Stadt unterbrochen wird: der Abwasser-Fluss.

Durch einen Riesen-Fettberg.

Es geht um Momente, in denen etwas gerade nicht funktioniert. Mir war es wichtig, verschiedene Figuren drin zu haben und jeweils zu schauen: Wie stehen die in der Welt? Es gibt einen Werbetexter, der nicht mehr darauf klarkommt, dass er Textmüll produziert und das auch noch abfeiern soll. Es gibt aber auch den Kanalarbeiter, der eben dazu da ist, diese Fettberge zu entfernen und eine eigenartige Faszination dafür entwickelt. Den Youtuber, der ein allerletztes Video aufnimmt. Und da schaue ich mir viel die Arbeitsverhältnisse an. Mich interessiert, wie die Menschen arbeiten – gerade auch Menschen, die das nicht unbedingt so tun, wie ich selbst.

Sind da auch eigene Erfahrungen eingeflossen – oder ist das einfach gut ausgedacht?

Bild: Nane Diehl
Im Interview: Philipp Böhm

geboren 1988 in Ludwigshafen, hat in Jena und Bremen studiert. Er ist Redakteur des Literatur- und Kulturmagazins „metamorphosen“, schreibt für die Wochenzeitung „Jungle World“ und arbeitet für das Berliner Literaturhaus „Lettrétage“.

2019 erschien sein Debütroman „Schellenmann“ im Verbrecher Verlag, soeben folgte dort der Erzählungsband „Supermilch“ (174 S., 22 Euro).

Beides. Ich habe selbst ein Jahr lang mal solchen Agentur-Textmüll geschrieben, deswegen ist diese Geschichte auch sehr nahe dran. Ich brauche dann aber etwas, das die Texte sich so ein bisschen von der Realität abheben lässt. Es gibt immer etwas Seltsames da drin.

Der Klappentext spricht von „surreal“, ich habe mich erinnert gefühlt an die „Blue Ant“-Trilogie von William Gibson aus den 2000er-Jahren, in der er die Handlung nur ganz leicht in die Zukunft versetzt. Auch bei Ihnen kommt das Seltsame, die Verfremdung teils sehr subtil daher.

Für mich hat es den Vorteil, dass mir dieser Zugriff größere Freiheiten darin erlaubt, bestimmte Bilder zu erschaffen. Jeden Abend eine Hologramm-Show am Himmel oder Menschen, die sehr, sehr alt werden können, weil sie gleichzeitig sehr reich sind und man einfach neue Organe züchten kann: Das sind Sachen, über die wird schon nachgedacht. Die Genres, mit denen ich aufgewachsen bin, das sind Science-Fiction, Fantasy und Horror – und denen bin ich auf eine Art und Weise immer noch verpflichtet. Ich kann auch gar nicht so richtig einen rein realistischen Text schreiben. Ich will nicht einfach die Welt noch mal verdoppelt in Literatur erschaffen. Es reicht ja, dass es sie schon einmal gibt.

Haben Sie Texte im Buch am Stück geschrieben oder sind sie über die Jahre entstanden?

Manche davon sind schon etwas älter, und ich hätte nie gedacht, dass ich die mal in gesammelter Form veröffentlichen könnte. Kurzgeschichten-Bände haben es schwer auf dem deutschen Buchmarkt. Ich hatte das große Glück, dass mein Verlag diese Reihe „kurze Form“ gestartet hat. Und dann hatte ich also eine Reihe von Geschichten, bei denen ich dachte: Ach, die spielen eigentlich alle in derselben Welt, vielleicht nicht unbedingt zur selben Zeit. Und habe mich noch mal ran gesetzt, um die noch etwas mehr miteinander zu verbinden.

Termine

Lesungen:

Mi, 13. 4., 20 Uhr, Hamburg, Thalia Theater/Nachtasyl;

Do, 14. 4., 19 Uhr, Bremen, Kukoon

Aber es ist nicht so, dass etwas, was Sie beim ursprünglichen Schreiben noch deutlich in der Zukunft verortet hatten, in der Zwischenzeit einfach Gegenwart geworden ist?

Sie hatten ja William Gibson angesprochen und ich erinnere mich, die Bücher nicht gelesen zu haben, aber Artikel darüber, wo genau das diskutiert wurde: Dass jene Bücher eben die Reaktion darauf sind, dass sich niemand mehr große Zukunftsszenarien zu schrei­ben traut, weil das zu schnell wieder Gegenwart werden kann. Science-Fiction interessiert mich auch weniger als Zukunftsprognose; eher als so eine Art atmosphärisches Mittel, um die Welt wieder fremd werden zu lassen. Deswegen gibt es bei mir auch weniger die ganz krassen technologischen Neuerungen, sondern eher kleine Schrauben, an denen ich drehe.

Es geht um Hologramme, aber nicht gleich darum, sich irgendwo hin beamen zu können.

Genau.

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