Autor über Italo-Pop: „Sommerhits sind Handwerkskunst“
In seinem Buch „Ciao Amore, Ciao“ schreibt Eric Pfeil über Italo-Pop. Anhand von 100 Songs verknüpft er Musik mit Politik, Religion und Aberglaube.
taz: Eric Pfeil, ihr neues Buch heißt „Ciao, Amore Ciao“. Heißt es nach den italienischen Rechtsaußen-Erfolgen bei den Europawahlen etwa langsam „Ciao“ zu sagen?
Eric Pfeil: Das frage ich mich auch ständig. Wenn wir über Italien im Speziellen reden, ist das Merkwürdige, dass Ministerpräsidentin Meloni nach außen hin extrem pro-europäisch auftritt und auch die Ukraine unterstützt.
taz: Also läuft doch alles gut in Italien?
Pfeil: Natürlich nicht. Ich sage bei meinen Lesungen immer: Wer wissen will, was passiert, wenn Stramm-Rechte an die Macht kommen, muss einen Blick nach Italien werfen. Zum einen arbeitet Meloni an einer Reform des Wahlrechts, sie strebt eine Direktwahl beim Ministerpräsidentenamt an. Das wäre eine Vollkatastrophe, wenn das eintreten würde. Was in Rom außerdem eher leise und perfide vor sich geht, ist ein Sägen an den Strukturen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk RAI. Man bekommt das hierzulande kaum mit: Vor anderthalb Monaten sollte ein italienischer Autor in einer Sendung auftreten, der Medientheoretiker Antonio Scurati, der eine Linie von Mussolini und den jetzigen Fratelli d’Italia, der Partei Melonis, ziehen wollte. Daraufhin wurde er auf Druck von oben ausgeladen.
Eric Pfeil, 1969 in Bergisch Gladbach geboren, erlangte größere Bekanntheit als Produzent beim Kölner TV-Musiksender VIVA, wo er das Format „Fast Forward“ entwickelte. Später entwickelte er „Sarah Kuttner – Die Show“. Daneben waren für Kundige seine Rezensionen bis 2023 der einzige Grund, den deutschen Rolling Stone aufzuschlagen: Pfeils mit Finesse geschriebenes „Pop-Tagebuch“ war ein Lichtblick. 2022 erschien sein musikalischer Reiseführer „Azzuro. Mit 100 Songs durch Italien“ und wurde zum Bestseller. Nun liegt der Nachfolger vor.
Das Buch: Eric Pfeil: „Ciao Amore, Ciao“ KiWi-Verlag, Köln, 2024, 368 Seiten, 14 Euro
taz: Passt der Vergleich zwischen damals und heute überhaupt?
Pfeil: Melonis Partei Fratelli D'Italia wird hier als postfaschistische Gruppierung bezeichnet. Das sind einfach Neofaschisten. Meloni gibt die Staatsfrau, aber der Rest tickt anders. La Russa, der Senatspräsident, sammelt Mussolini-Büsten und zeigt offen seine Sympathie in dem er auch mal den ‚römischen Gruß‘ empfiehlt. Dann ist da Francesco Lollobrigida, der Schwager von Meloni, der wirklich diese Umvolkungsgeschichte glaubt. Die Fratelli sind trotzdem jetzt Teil dieser konservativen Familie im Europäischen Parlament, und werden von CSU-Mann Manfred Weber und Ursula von der Leyen umworben. Das ist die Realität in Europa.
taz: In Ihrem neuen Buch erzählen Sie in 100 Songs über Italien – und eben nicht nur von Gelato, sondern auch von Politik, der Katholischen Kirche und dem Aberglauben. Warum stoßen Sie trotz profunder Italienkenntnisse immer wieder an Ihre Grenzen?
Pfeil: Ich werde oft mit ordentlichen Autoren, die in Italien leben, in einem Atemzug genannt. Meine Perspektive ist jedoch eine Seitenlinienperspektive, eine Draufschau eines Außenstehenden. Ich empfinde gerade diese Perspektive als sehr reizvoll, weil die einen bestimmten Sound, ein Unterlaufen von Klischees überhaupt erst ermöglicht. Manchmal sind es die Italiener*innen selbst, die noch das letzte Klischee umarmen. Dann komme ich, das schreibe ich auch am Anfang, als Schwärmer und Beschwörer ins Bild. Ich beschwöre gerne eine Utopie von einem Italien, das sich für mich idealisiert in einer bestimmten Phase erzählt. Sagen wir, von den 1960ern, über die 1970er, bis in die frühen 1980er hinein – als Berlusconi die Privatsender gegründet hat.
Eric Pfeil
taz: Apropos Berlusconi: Dem „widmen“ Sie ein Lied, nämlich eines von seiner Lieblingsdiva Ornella Vanoni.Pfeil: Berlusconi ist ein Symbol von Widersprüche-aushalten-können, was man in Italien perfektioniert hat. Wo selbst Feminist*innen dem übergriffigen Frauenhelden und Sexist die Ehre erwiesen haben. Es war gar nicht so einfach, über ihn zu schreiben. Mein Kapitel über Berlusconi, da gab es Stimmen, die gesagt haben, er käme zu gut weg. Das finde ich nicht. Nur, ich habe gedacht, wenn ich jetzt alle Berlusconi-Witze hintereinander aufschreibe, – Stichwort Bunga-Bunga –, bringt das nichts. Das musste ich unterlaufen, weil das Berlusconi-Bild in Deutschland schrecklich eindimensional ist. Man beschäftigt sich gar nicht mit seiner Politik, sondern nur mit der vermeintlichen Witzfigur, aber der hat das Land politisch und moralisch ausgehöhlt. Das wollte ich erzählen!
taz: Aber die Aushöhlung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks hat Berlusconi nicht alleine zu verantworten!
Pfeil: Die hat bereits zum Zeitpunkt der Entführung von Aldo Moro, 1978 angefangen. Damals ist die Zweite Republik gescheitert und Berlusconi konnte sich allmählich als Retter Italiens aufspielen. Das hat er wirklich auf eine avantgardistische Weise gemacht und die Blaupause geliefert, die Trump und Orban heute bedienen: Verächtlichmachung von Andersdenkenden und Homosexuellen, Diskriminierung von Frauen, von Leuten, die irgendwie subtiler denken und so weiter. Ich finde Berlusconi sehr schrecklich. Nur man muss ja eher erzählen, was die Italiener*innen an ihm mögen, weil das ja für uns so unvorstellbar ist.
taz: Nennen bitte Sie ein Beispiel?
Pfeil: Der Sänger Adriano Celentano, selbst Kritiker Berlusconis von Tag Eins an, hat es folgendermaßen formuliert: Berlusconi habe die kuriose Natur der Italiener vollumfänglich verkörpert. Die schlimmsten und die besten Seiten zugleich.
taz: „War Berlusconi eines der Desiderate, die Sie zum Schreiben von „Ciao Amore, Ciao“ inspirierten?“
Pfeil: Beim ersten Buch dachte ich: Das wird jetzt ein Selbstgänger, ich schreibe ein Buch über Italo-Pop, ein Thema, das mir sehr naheliegt. Da blieben aber viele wichtige Sachen unerwähnt, weil für sie bei der Niederschrift über das Grundsätzliche kein Platz war. Zum Beispiel Berlusconi. Oder der aufkeimende Faschismus.
taz: Wo Faschismus ist, ist in Italien glücklicherweise immer auch der Antifaschismus. Sie zeigen das anhand des Gassenhauers „Bella Ciao“.Pfeil: Ja, ein Beispiel aus dem Dezember 2023, als die Saison er Mailänder Scala eröffnet wurde. Nachdem das Orchester die Nationalhymne gespielt hat, ruft jemand in den Saal: „Viva l’Italia antifascista!“. Adressaten dieser Aktion sind Matteo Salvini von der Lega und eben Ingnazio Benito La Russa von den Fratelli. Es gibt hierzulande diese dämonische Erzählung von den neuen Faschisten, die vollkommen zutrifft. Was aber kaum bekannt ist, dass es in Italien eine Zivilgesellschaft gibt, die dagegen angeht. Oder ein aktuelles Beispiel vom Festival in Sanremo: Ein linker Journalist fragt bei der Pressekonferenz den Moderator: ‚Sie haben gesagt, das Festival wäre auf Wunsch der RAI unpolitisch?‘ Auf die Bestätigung von Seiten des Podiums, fragt der Journalist nach: ‚Aber würden Sie denn an dieser Stelle sagen, dass Sie Antifaschist sind?‘ Moderator und Festivalleiter bestätigen das, daneben sitzt der Co-Moderator, der Sänger Marco Mengoni, und bekennt sich ebenfalls zum Antifaschismus. Und als nächstes singt der gesamte Pressesaal „Bella Ciao“. Solche Momente werden in Deutschland nicht rezipiert.
taz: Sie haben gerade vom Schlagerfestival Sanremo gesprochen. Was macht es so besonders?
Pfeil: Sanremo, ältester Gesangswettbewerb Europas, ist einfach monströs, wofür es mehrere Gründe gibt: Zum einen, ist es das Aushängeschild der wichtigsten Handwerkskunst Italiens, nämlich der Herstellung von Sommerhits. Ein weiterer Punkt ist das schiere Ausmaß: 1951 von einem Blumenhändler ins Leben gerufen, läuft das Festival seither alljährlich. Fünf Tage lang, Einschaltquoten liegen etwa bei 16 Millionen, Tendenz steigend. Jung und Alt schauen das, auch die, die nicht gucken, sind an Bord, weil sie sonst nicht in der Bar mitreden können. Das Entscheidende ist die kulturelle Bedeutung, denn in Sanremo wird wirklich der Puls gemessen. Da wird alles verhandelt, was gerade in Italien eine Rolle spielt. Was man nicht nur bei der eben angesprochenen Pressekonferenz sehen konnte. Vor zwei Jahren trat Schauspieler Roberto Benigni auf und hielt eine Lobrede auf die italienische Verfassung. Es gab auch Auftritt von Aktivistinnen gegen Femizide in Italien, der Autor Roberto Saviano sprach über die Bedrohung durch die Mafia – bei einem Gesangswettbewerb, zur besten Sendezeit, vor der gesamten Nation. Diese Gleichzeitigkeit von allem, was das Land bewegt, das verkörpert Sanremo.
taz: Und dann ist da der Mythos um den Song, der Ihrem Buch den Titel spendierte …
Pfeil: Ja, der Song stammt von Luigi Tenco: Der Star geht auf die Bühne von Sanremo, singt sein Lied „Ciao Amore, Ciao“, qualifiziert sich nicht für das Finale, kehrt ins Hotelzimmer zurück und begeht Suizid. Das ist sicherlich die extremste Sanremo-Geschichte; aber beileibe nicht die Einzige. Und – ich habe Luigi Tencos Geschichte bereits im ersten Buch, „Azzuro“, erwähnt – so traurig sie ist, sie ist nur eines von vielen Puzzlestücken, um dieses widersprüchliche Land zu verstehen.
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