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Autofreundliches BerlinSichere Straßen? Sind dem Senat egal

Uwe Rada
Kommentar von Uwe Rada

Auf bis zu 25 Straßen könnte der Senat kommende Woche wieder Tempo 30 aufheben. Dabei ermöglicht es die neue StVO sogar, mehr Zonen auszuweisen.

Bonde gibt freie Fahrt. Aber nicht für Tempo 30 Foto: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

U nd wieder einmal sitzt die SPD nur auf dem Beifahrersitz. Bis zu 25 neue Tempo-50-Strecken will Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) kommende Woche im Senat beschließen lassen. Die SPD-Senatorinnen und -Senatoren werden es abnicken. Vielleicht werden sie sagen, es seien ihnen die Hände gebunden. Bondage durch Bonde. So geht das schon, seitdem die Autosenatorin die zarten Ansätze einer Verkehrswende rigoros abräumt.

Schon vor zwei Monaten hatte Bonde ihre Pläne angekündigt, dass wieder Gas gegeben werden darf auf bis zu 25 der 41 Tempo-30-Strecken, die wegen des Luftreinhalteplans von 2019 ausgewiesen wurden. Auf 34 dieser Strecken ist die Luft besser geworden, der Reduzierung der Geschwindigkeit sei damit die Grundlage entzogen, argumentiert Bondes Verkehrsverwaltung.

Weil sich an neun der 34 Abschnitte aber eine Schule, eine Kita, eine Klinik oder ein Altenheim befinden, wird es dort weiter Tempo 30 geben, sagte Bonde damals. Und kündigte an, weitere Ausnahmen zu prüfen. Denn die vor kurzem erst veränderte Straßenverkehrsordnung (StVO) sieht auch vor, die Geschwindigkeit an „hochfrequentierten Schulwegen“ zu begrenzen.

Überprüft werden sollten nach RBB-Informationen unter anderem Abschnitte der Danziger Straße in Pankow, der Hermannstraße in Neukölln, der Invalidenstraße in Mitte, des Mariendorfer und Tempelhofer Damms in Tempelhof-Schöneberg sowie der Kaiser-Friedrich-Straße in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Was bei den Überprüfungen herausgekommen ist, ist nicht bekannt. Sie wolle der Verabschiedung des neuen Luftreinhalteplans nicht vorgreifen, sagte Bonde. Gut möglich, dass also auf allen 25 Straßen am Dienstag wieder Tempo 50 gilt.

Nachts dann mehr Begrenzung

Gleichzeitig soll am Dienstag auch der Lärmschutzplan vom Senat verabschiedet werden. Der sieht vor, auf insgesamt 230 Kilometern Hauptstraßen nachts von 22 bis 6 Uhr Tempo 30 einzuführen.

Tagsüber wieder schnell, dafür nachts langsamer: Für Kritiker wie den BUND Berlin ist das eine Mogelpackung. Nächtliche Temporeduzierungen seien kein Ersatz für die Rücknahme der Tempo-30-Strecken am Tag, sondern überfällig, heißt es zu Recht.

Darüber hinaus erleichterten die Tempo-50-Straßen am Tag kaum den Verkehrsfluss. Stattdessen werde aber das Unfallrisiko erhöht, so der BUND.

Und die Senatorin? „Man kann Tempo 30 nicht mal eben so anordnen nach dem Motto 'Wir hätten das gerne hier, weil …’“, sagte Bonde jetzt. „Ansonsten müsste die StVO geändert werden.“ Berlin tue, was gesetzeskonform sei.

Nun ist die Straßenverkehrsordnung aber gerade erst geändert worden – und gibt den Kommunen eben sehr wohl mehr Spielraum.

Berlin, das gehört zur bitteren Wahrheit, nutzt ihn nicht, im Gegenteil. Ute Bonde muss sich künftig bei jedem Unfall auf einer neuen Tempo-50-Strecke fragen lassen, ob er nicht auf ihre Kappe geht.

Und die Beifahrerin SPD gleich mit ihr.

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Uwe Rada
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.
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5 Kommentare

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  • Berlin war unter RRG ein Aushängeschild dafür, das Veränderung in Deutschland möglich ist.



    So auch in der Verkehrspolitik. Plötzlich gab es auch in Deutschland eine Großstadt, die nach dem Vorbild von Paris, Barcelona und Kopenhagen endlich Stadt für die Menschen und nicht nur für deren Autos sein wollte.



    Es macht traurig zu sehen, das alle Fortschritte von diesem Senat wieder zurückgenommen und in ihr Gegenteil verkehrt werden. Das Deutschland auch hier im europäischen Vergleich die Rolle eines rückständigen, unbelehrbaren und peinlichen Landes angenommen hat.

    Und es macht wütend zu sehen, das all diese Roll-Backs mit Hilfe der SPD realisiert werden, die ähnlich wie die Grünen den Machterhalt über Inhalte und Wahlversprechen stellt.

  • Derartige Verhältnisse sind leider kein Alleinstellungsmerkmal Berlins. Auch in anderen Kommunen ist dieser Trend zu beobachten. cdsU verhindern in der gesamten Republik sinnvolle Maßnahmen wie Geschwindigkeitsbeschränkungen oder Klimaschutzverordungen. Denen geht es um die angebliche "Freiheit" . Die Freiheit einer etwas besseren Atemluft, der Unversehrtheit der Menschen (vor allem der Kleinen auf dem Schulweg) zählt gar nicht. Da bleibt man der eigenen Stadtratsmandate wegen lieber extrem populistisch und unternimmt nichts, was dem egoistischen Kleinbürger missfallen könnte.

    • @Perkele:

      Ich weiß nicht worüber Sie sich aufregen. Genau für diesen Rückbau der Geschwindigkeitsbeschränkungen wurde die CDU gewählt. Wenn Sie also jemanden beschuldigen wollen, dann deren Wähler - die CDU erfüllt nur ihren Regierungsauftrag.

  • Naja, die Wähler in den Außenbezirken, die überwiegend diese verkehrspolitische Unfähigkeit gewählt haben, wollen nur eins - schnell in die Innenstadt mit dem PKW brettern (zu 95% alleine besetzt). Keine Ahnung, was die da wollen.



    Paris macht das Gegenteil - umfangreiche Radwege zur Verbesserung der Luftqualität und im Sinne einer lebenswerten Stadt. Wahrscheinlich sind die dortigen Verantwortlichen von "Ideologie" geprägt.



    Hier in Berlin ist halt seit 30 Jahren SPD-genehmigte Provinzposse ohne Plan und Verstand. Natürlich fällt dann die Bilanz ernüchternd aus.

  • Der letzte Senat reduziert die Geschwindigkeit zur Schadstoffminderung. Messungen ergeben, dass die Maßnahme erfolgreich war. Die aktuelle Verkehrssenatorin hebt die Geschwindigkeitsbeschränkung auf, weil die Luft jetzt ja besser geworden sei. - Ein Schildbürgerstreich der zeigt, für wie doof uns manche Politikerinnen halten; oder eher wie doof manche Politikerinnen in Wirklichkeit sind?