Austausch der Regierung in Frankreich: Auslaufmodell Macron
Nicht nur in Frankreich schwindet die Überzeugungskraft der politischen Elite. Politische Tatkraft muss deshalb in der Gesellschaft sprießen dürfen.

D ie Auswechslung des Premierministers ist in einer Präsidialrepublik wie Frankreich kein politisches Erdbeben. Der Staatschef hat die Macht, er sitzt dem Kabinett vor und hat die Richtlinienkompetenz; der Regierungschef organisiert bloß die Umsetzung der Beschlüsse und verantwortet sie vor dem Parlament. Nicht umsonst gilt Frankreich als eine Art Wahlmonarchie mit festen Amtszeiten.
Emmanuel Macron, selbsternannter Erneuerer dieses fundamental undemokratischen politischen Systems, hat sich inzwischen in dieses System verliebt und die Technokratisierung der Macht auf die Spitze getrieben. Aber in drei Jahren ist seine Zeit um, und da er sich um lästige Dinge wie eine funktionierende Regierungspartei nicht kümmert, ist kein Erbe in Sicht. Fliehkräfte am linken und rechten Rand werden stärker, im Zentrum herrscht Stagnation – dort, wo der schon wieder vergessene Bewegungsname La République En Marche einst Tatendrang und Optimismus suggerieren sollte. Die Beförderung eines 34-jährigen Elitezöglings aus Macrons Bewundererzirkeln der ersten Stunde zum neuen Regierungschef verschärft dieses Problem eher, als es zu lösen.
Nicht nur in Frankreich schwindet die Überzeugungskraft der politischen Elite. In fast allen europäischen Ländern wächst der Verdruss darüber, dass die Bedürfnisse der Menschen gegenüber den Bedürfnissen der Politiker das Nachsehen haben. Auch in Deutschland wollte die Ampelkoalition einst „mehr Fortschritt wagen“ und festgefahrene politische Raster aufbrechen – heute stolpert sie ständig über sich selbst und ihren technokratischen Hang, die realen Folgen ihrer gedanklichen Schnellschüsse erst hinterher erschrocken zur Kenntnis zu nehmen.
Zu den beliebtesten Worthülsen des Jahres 2024 gehört die Feststellung, dass Europa Führung braucht, um gegen die Monster in Moskau, Peking und demnächst vielleicht wieder Washington zu bestehen. Europa suchte Führung und bekam Macron und Scholz. Sie stecken nun im ermüdenden Wettlauf mit Populisten – von Geert Wilders über Marine Le Pen bis Sahra Wagenknecht. Es sind Bestätigungen des Diktums des italienischen Marxisten Antonio Gramsci vor 100 Jahren: „Die Krise besteht genau darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann; in diesem Zwischenreich tritt eine Vielzahl von morbiden Symptomen auf.“
Führer hatte Europa eigentlich immer zu viele. Normale Menschen, die auch ohne führende Hand die Politik bewegen – die gibt es zu wenig. Europa muss seine Politik vom Kopf auf die Füße stellen, von den Führungspersönlichkeiten auf die gesellschaftliche Basis. Macrons Stil von der Politik als Wüste, mit sich selbst als einziger Oase, hat ausgedient. Politische Tatkraft muss überall in der Gesellschaft sprießen dürfen. Das ist die Herausforderung, vor der Europa steht und die Europas Regierende endlich begreifen müssen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links