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Ausstellungsempfehlung für BerlinDer paradoxe Lauf der Dinge

Bei HORSEANDPONY Fine Arts – einst Metzgerei, dann Dönermanufaktur und heute Ausstellungsraum – interpretieren vier Künstler*innen den Fluss von Material, Ware und Sinn .

Anna Solal, „Morning Clouds“, 2018 (Courtesy Anna Solal und New Galerie, Paris). Im Hintergrund: Jesse Darling, „Light Work“, 2018 Foto: Frank Sperling
Sophie Jung
Interview von Sophie Jung

Vom Junk-Space zum Running Room, von der Metzgerei zur Dönerfleischmanufaktur und schließlich zum Kunstraum – in dem Neuköllner Ladengeschäft von HORSEANDPONY Fine Arts werden die architektonischen Schichten zum Symbol widersinniger Materialströme. Vier Künstlerinnen sondieren in der Ausstellung „Running Room“ zwischen Jugenstilkacheln, cleanen Industrie­fliesen und roher Backsteinwand den schmalen Raum zwischen Sinn und Überfluss.

Jesse Darling (s. u.) lässt aus erdigem, noch feuchtem Ton emsige Hände aus der weißen Fliesenwand hervorlugen, die mit kleinen Bürsten die glatte Oberfläche zu schrubben scheinen. Doch sobald der Ton trocknet, haften die Hände nicht mehr und werden in einem paradoxen Lauf der Dinge zu Dreckspuren an der Wand.

Anna Solal steckt Bilderrahmen aus zerbrochenen Handyscreens zusammen und füllt sie mit einer handgezeichneten Wolkenromantik während Ari Sariannidis mit seiner Installation aus Normregalen und Fotografien die sonst so verdeckten Überwachungssysteme im Warenfluss offenlegt.

Aude Pariset kehrt den Entwertungsprozess um: Wachswürmer ließ sie sich durch übliche Plastiktüten fressen. Ein Souvenirbeutel mit Katzenmotiv, eine Alditüte – die Weichtiere nährten sich am Müll unseres Alltags, dessen durchlöcherte Überreste Pariset nun aufgespannt und gerahmt als Gemälde reinszeniert – oder als weitere Attrappe im Junkspace, folgt man der Theorie des Architekten Rem Koolhaas. Eine Tonaufnahme von Koolhaas dringt schließlich als zynische Botschaft vom offenen Keller in das fein kuratierte, aber nicht überkuratierte Interieur: „Shopping is there to eliminate reality“.

Ausstellung

"Running Room" bei HORSEANDPONY Fine Arts. Bis 13. 1., Sa./So., 13–18Uhr oder per Anmeldung: info@horseandponyfinearts.com, Altenbraker Str. 18

Einblick 752: Jesse Darling, Künstler*in

taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?

Jesse Darling: Ich war ziemlich bewegt von der AA Bronson- bzw. General Idea-Ausstellung bei Esther Schipper. Und ich mochte „Welt ohne Außen“ im Martin-Gropius-Bau. Dort habe ich mir auch die Ausstellung von Philippe Parreno ‑angeschaut, aber mein Kind fand sie irgendwie furchterregend und ich kann verstehen warum: Hauptsächlich waren es die Besucher selbst, die dort in demütiger Ruhe auf diesen sanften rotierenden Sofa-Skulpturen saßen – die Ruhe war totenähnlich, die Atmosphäre begräbnisgleich. Alles Leben schien aus den Räumen gesogen und von Kunst ersetzt zu sein. Ich glaube, das heißt, es ist als künstlerische Arbeit erfolgreich, trotzdem mochte ich es nicht.

Im Interview: 

Jesse Darling arbeitet als Künstler*in mit Skulptur, Installation, Text, Sound und Performance. Dabei beschäftigt sie sich mit der Verletzlichkeit des menschlichen Körpers innerhalb der soziopolitischen Strukturen, in denen wir leben, und untersucht Strategien des Überlebens und Wohnens, um weiterzumachen. Darling lebt in London und Berlin. Gerade zeigt die Tate Britain ihre Einzelausstellung "The Ballad of Saint Jerome". In Berlin ist aktuell eine Arbeit Darlings bei HORSEANDPONY zu sehen.

Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?

Ich gehe zur Zeit nicht genug aus, um etwas empfehlen zu können.

Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?

Immer Wikipedia, aber ich habe gerade ein Buch über Kunst und Theologie mit dem Titel „Draw Your Weapons“ zu Ende gelesen.

Was ist dein nächstes Projekt?

Dafür müsste ich in meinem Kalender nachsehen.

Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?

Ich lebe quasi für meine erste Tasse Kaffee am Morgen und ich liebe es, am Kanal entlang zu laufen und auf die Vögel zu schauen.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer donnerstags in der Printausgabe der taz.

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