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Ausstellung über den drohenden KollapsIm Angesicht des Todes

Seit 30 Jahren produzieren Künst­le­r:in­nen im Bremer Künstlerhaus und stellen aus. Die aktuelle Ausstellung fordert einen „Palliative Turn“.

Lebensecht, aber tot, weil aus Metall: Jana Thiel und Volker Grahmanns „Thanatologie mediterraneum“ Foto: Fred Dott

Das Qualitätsurteil „ziemlich“ haben ausstellende Künst­le­r:in­nen nach eingehender Prüfung und Befragungen dem Künstlerhaus Bremen verliehen: „Ziemlich palliativ“ sei es, unterstütze also „The Palliative Turn“ (TPT), so der Titel der aktuellen Schau. Sie knüpft an Gedanken der Hospizbewegung an und bezieht sich auf den Wendepunkt im Leben, ab dem es nicht mehr darum geht, eine Krankheit zu heilen, sondern einen würdevollen Umgang mit dem unausweichlichen Tod zu gestalten.

Angesichts der Ausbeutungsmechanismen von Mensch und Natur erweitert die „Association for The Palliative Turn“ (APT) in der 130 Quadratmeter kleinen Galerie den Blick vom individuellen Siechtum unserer Körper zum möglichen Verschwinden von Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. „Business as usual has nothing to offer anymore “, wie es im APT-Manifest heißt.

Die 30 gezeigten Arbeiten illustrieren aber nicht einfach Sensenmänner oder die Apokalypse. Die offene Künst­le­r:in­nen­grup­pe sucht einen positiven Umgang mit dem prognostizierten „systemischen Kollaps“ und fordert, ab sofort so kollaborativ wie einfühlsam zu zelebrieren, was noch möglich sei.

Ein Fest im Angesicht des Todes? Denn das Künstlerhaus selbst steht vor dem Aus? Endet gar die Kunst? „Nein, ich glaube, dass es hier noch lange weitergeht“, zeigt sich Kuratorin Nadja Quante optimistisch. Ihr Vertrag beim Künstlerhaus läuft zumindest noch bis Januar 2025. Und mit „The Palliative Turn“ eröffnet sie die Feierlichkeiten zum 30. Geburtstag der Institution – einem erfolgreich etablierten Konzept staatlich mitfinanzierter und selbstverwalteter Kreativpolitik.

Ausstellungs-, aber auch Produktionsstätte

Die einst von Gewürz- und Holzhändlern genutzten 2.200 Quadratmeter der Immobilie wurden 1988 von der Stadt gekauft und später umgebaut – als Ausgleich für die nahe Weserinsel Teerhof. Bis zu ihrer Bebauung hatten sich dort Kul­tur­ak­teu­r:in­nen ausgetobt und suchten eine neue Heimat.

Das Künstlerhaus verfügt über einen Jahresetat von 400.000 Euro, 150.000 Euro davon sind durch die institutionelle Förderung der Kulturbehörde gedeckt. Von Beginn an ist es nicht nur eine Ausstellungsstätte, die überregionale Bekanntheit erlangt hat, sondern auch Produktionsstätte, als die der Ort in Bremen wahrgenommen wird.

In 17 Ateliers arbeiten derzeit 20 einjurierte Künstler:innen. Zusätzlich haben sich Werkstätten, Kunstverbände, soloselbstständige Fotograf:innen, Designer:innen, Sound­künst­le­r:in­nen und ein Restaurant eingemietet. Alle 40 Nut­ze­r:in­nen sind die Mitglieder des Künstlerhaus-Vereins. Mit einfacher Mehrheit werden Entscheidungen getroffen. Gerade geht es um die gendergerechte Umbenennung des Hauses. Wichtig sei allen der gegenseitige Austausch in künstlerischer, handwerklicher, persönlicher Form, so Quante.

Zum 20-jährigen Jubiläum hatten Korpys/Löffler den „Geist“ der Institution aus der mit Schweißausdünstungen gesättigten Raumluft einer Vernissage destilliert. Wie riecht der Geist des Hauses heute? „Vielleicht nach Essen“, sagt Quante. Schließlich bekochen sich die Nut­ze­r:in­nen regelmäßig zur Gemeinschaftspflege.

Eingegroovt hatten sich einstige Kuratorinnen auf die Idee, junge Shootingstars der internationalen Kunstszene nach Bremen zu holen. Einerseits erwies sich das als Karrierebeschleuniger für die Ausstellungsmacher:innen, andererseits wollten sie so die lokale Szene global vernetzen. Quante argumentiert gegen die Altersdiskriminierung dieser Programmatik und den kapitalistischen Wettlauf um stets neue, marktgängige Namen.

Ressourcenarmes kuratorisches Arbeiten

Der Kulturwissenschaftlerin sind ästhetische und gesellschaftliche Fragestellungen wichtiger – etwa wie Performances auszustellen sind oder wie kuratorisches Arbeiten ressourcen- und CO2-arm möglich ist. Man könne nicht zu jeder Biennale fliegen und dann mangelhafte Maßnahmen gegen den Klimawandel kritisieren, so Quante. „Auch müssen wir nicht alle vier Wochen eine neue Schau raushauen.“ Drei, vier Ausstellungen pro Jahr reichten völlig aus.

Die Ausstellungen

„The Palliative Turn“, bis 3. 10., Künstlerhaus Bremen;

Geburtstagsausstellung „30 Jahre Künstlerhaus Bremen“: Sa, 15. 10., bis So, 20. 11.

Bereits jetzt zeichne sich ab, dass die Vor-Corona-Zahlen von je 300 bis 400 Besuchern wieder erreicht werden. Nur mit dem Geldzufluss hadert Quante. „12.000 Euro habe ich für alle Ausstellungen pro Jahr, ohne Drittmittel und die solidarische Unterstützung der Bremer Kulturszene geht da nichts.“

Jetzt also TPT. Mit Bremer Beteiligung. Laura Pientka verknüpft den wachsenden Schmerz des nahenden Ablebens mit der Entgrenzung des Alltags in schmerzlustvollen Sex-Praktiken – indem sie eine schwarze Kerze in einen keramischen Männerarsch züngeln lässt. Richtig Appetit machen Jana Thiel und Volker Grahmann. Servieren sie doch ein Büffet mit lebensechten Metallabgüssen von Würmern, Algen, Tintenfischen, Kraken und Krebsen, dazu ist einem Hör-Monolog zu lauschen zur These, der Kern jeder Utopie sei die Abschaffung des Todes.

Olav Westphalen, einer der beiden Zeichner, die unter dem Pseudonym Rattelschneck ihre Cartoons und Comics veröffentlichen, musste sich nach einer Krebsdiagnose „plötzlich und unerwartet“ mit dem Tod auseinandersetzen und wurde 2020 Mitbegründer von ATP. In Bremen zeigt er fotografisch, wie ihm seine Mutter ein „Mom“-Tattoo in den Arm ritzt, sich also in seinen Körper einschreibt – um auf diese Art fortzuleben? Karin Kytökangas (Schweden) hinterließ einen riesigen Wasserball in der Galerie – fürs spielerische Existieren am Strand des Lebens.

Die empathischen Dienste des Umzugsunternehmens „Pläsnt Dschörnie“ bietet Ethan Hayes-Chute (USA) an einem improvisierten Messestand an – was gerade Übersiedler ins Jenseits interessieren dürfte. Eindrücklich ist auch ein Ölgemälde des in elterlicher Pflege erfahrenen Teal Griffin (Großbritannien). Plastikhandschuhe wie sie Pfleger vor jeder Berührung von Todkranken überstreifen, verschließen den Blick in die Bildtiefe – wie ein Theatervorhang nach der Dernière einer Inszenierung (des Daseins).

Es sind solche Assoziationsreize, mit denen die Ausstellung das schwere Ende leicht machen will. Dabei wird traurig gedacht, aber stets freundlich – und mit hintersinnigem Humor. „The Palliative Turn“ funktioniert ziemlich gut als Prolog für die Geburtstagsschau „Künstlerische Auseinandersetzungen mit der Geschichte und dem Archiv des Künstlerhauses Bremen“.

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