Ausstellung über Klimafolgen: Wasser ist museumsreif
Das Hamburger Museum am Rothenbaum untersucht mit „Wasser Botschaften“, ob sich indigenes Wissen für modernen Wasserschutz nutzen lässt. Es gelingt.
Heilig, wirklich? Ist es ja gerade nicht beziehungsweise nur noch selten, wie die aktuelle Ausstellung „Wasser Botschaften“ in Hamburgs „Museum am Rotherbaum. Kulturen und Künste der Welt“ (MARKK) zeigt. Dort präsentiert sich eine Schau, die zunächst wie ein unsortierter „Treibsand“-Mix aus Exponaten wirkt. Bei näherem Hinsehen erschließt sich die Idee: In der aus Fischernetzen, abstrahierten Flussläufen und Stränden gezimmerten Ausstellungsarchitektur soll es bewusst nicht linear, stringent, systematisch zugehen, sondern assoziativ. Es geht ums Umschalten auf ein synthetisches Denken, das die Unsortiertheit und Unwägbarkeit der Natur einkalkuliert.
Dazu haben die KuratorInnen ein Konglomerat aus Museumsbeständen und aktuellen Künstler- und Designerstimmen erstellt. Das war recht aufwendig, denn beim Gang durchs Museumsdepot wurde klar, dass die Bestände geografisch, aber nicht inhaltlich geordnet sind – auch nicht zum Thema „Wasser“. In naturkundlichen Museen ist das anders. Deren Archive basieren oft auf der Akribie einstiger kolonialer ForscherInnen, die jeden Käfer, jeden Halm der vorgefundenen Region katalogisierten, um daraus gezogene Erkenntnisse für die Handelsinteressen des globalen Nordens zu nutzen.
Bewahrtes Wissen zurückholen
Für die Bestände ethnografischer Museen galt das nicht. Das in ihnen bewahrte Wissen über die Verbindung von Mensch und Natur interessierte kaum. Dies zurückzuholen sind die Hamburger KuratorInnen angetreten und haben, zum Beispiel, mehrere Wassergeist-Masken amerikanischer Ersteinwohner aufgestellt, um – abgesehen von deren Ästhetik – ein alternatives Statement zu setzen. Denn hier geht es nicht um Exotisierung und unseren Voyeurismus, sondern umgekehrt: Die Masken sehen uns an, zeigen Präsenz als Ritualgegenstände, die vom Respekt für Flüsse, Seen, Meere zeugen.
„Wasser Botschaften“: Museum am Rotherbaum. Kulturen und Künste der Welt (MARKK), Hamburg, bis 31.10.2023
Dazu tönen rituelle Wasserhuldigungs-Gesänge der Video-Installation „Somos Atrato“ von Germán Arango Rendón durch den Raum. Er erzählt vom Kampf afro-kolumbianischer Gemeinden und amerikanischer ErstbewohnerInnen für den Schutz des Flusses Atrato, den Quecksilber und Zyanid aus industriellem Goldabbau der 1980er-Jahre verseuchten. Neben einer Wasserzeremonie zeigt das Video auch Menschen, die Boot fahren, im Wasser spielen, es genießen, trotz allem.
„Leben mit dem Wasser“ ist diese Abteilung überschrieben, und das ist und war nicht immer gemütlich: Stelzenhäuser hat man zum Beispiel in Bangladesh entworfen, um Menschen vor den Überschwemmungen des Monsuns zu retten. Auf Warften – aufgeschütteten Hügeln – stehen wiederum die Häuser und Höfe der nordfriesischen Halligen.
Bremer Studierende haben sich im Zuge der Ausstellungsvorbereitung eine Woche lang dort aufgehalten, um das Leben mit der ständigen „Land unter“-Gefahr zu erkunden. Ein Video des bedrohlich nahen, wilden Meers ist dabei entstanden. Seine tosenden Wellen erinnern an Muskeln eines wütenden Wesens – vielleicht an einen Wassergeist?
Wenn ja, dann gerät er gerade qua Klimawandel außer Rand und Band, und wenn der Meeresspiegel weiter steigt, werden Stelzenhäuser und Warften nicht mehr standhalten. Auch auf den flachen Atollen des Pazifiks wird die Flucht ins Landesinnere dann nicht mehr möglich sein. Und wenn andererseits die Gletscher schmelzen und den Meeresspiegelanstieg beschleunigen, müssen auch Grönlands BewohnerInnen wegziehen, weil Robben und Fische – ihre Lebensgrundlage – dezimiert und unerreichbar werden.
Ein Abgesang auf den Gletscher
Zwei Künstlerinnen und Klimaaktivistinnen – Kathy Jetñil Kijiner von den Marshall-Inseln und die Grönländerin Aka Niviâ – stellen in ihrem Videogesang genau diesen Zusammenhang her und zitieren zwischendurch aus alten Wassererzählungen ihrer Länder. Eindringlich beschwören sie Völker und Politiker dieser Welt, dem Einhalt zu gebieten, statt im Fernsehen zu beobachten, wie ihrer beider Heimat verschwindet.
Anderswo kämpfen AktivistInnen des globalen Südens um Zugang zu sauberem Wasser. In Chile, inzwischen auch in Brasilien, sticken Frauen der „Bewegung von Staudämmen betroffener Menschen“ ihre Lebensgeschichte. Eines der Stickbilder erzählt vom Leben am Rio Doce, einst ein klarer, nährender Fluss. 2015 brach der nahe gelegene Fudao-Damm und erzeugte eine Lawine aus Millionen Kubikmetern Bergwerksschlamm der Eisenerz-Mine der Firma Samarc. Sie zerstörte mehrere Dörfer und verseuchte den Rio Doce für Jahrzehnte. Das erwähnte Stickbild zeigt links die helle, frohe Dorfgemeinschaft der Vergangenheit. Rechts sieht man dasselbe Dorf, als düstere Welt mit verzweifelten Menschen und toten Fischen. Vollständig entschädigt sind die Betroffenen bis heute nicht.
Es ist eine von vielen aktuellen Varianten des Kolonialismus – wobei die Ausstellung diesen Begriff erweitert: Einerseits steht er generell für die Ausbeutung von Menschen – ob durch auswärtige Unternehmen oder eigene Eliten, die daran mitverdienen. Andererseits nimmt sie auch die Kolonisierung der Natur in den Blick, durchbuchstabiert anhand des Wassers als ohne Gegenleistung auszubeutendes Objekt.
Um diese Gegenleistung wieder hereinzuholen, hat etwa Ecuador 2008 als weltweit erster Staat auf Druck indigener AktivistInnen die Rechte der Natur in die Verfassung geschrieben. 2017 erhob dann Neuseeland den Whanganui-Fluss zur Rechtsperson – gleichfalls auf Betreiben indigener AktivistInnen. Beide Gesetze basieren auf der Vorstellung der Natur als überindividueller Ganzheit mit inhärentem Recht auf Schutz.
Wasser wird Rechtsperson
Auch in Europa gibt es Ansätze: 2022 bekam die spanische Salzwasserlagune Mar Menor den Status einer Rechtsperson. In der Ausstellung setzt eine lange Papierrolle mit einer „Allgemeinen Erklärung der Wasserrechte“, die verschiedene Organisationen formulierten, ein starkes Zeichen. Und jetzt beginnt man zu begreifen, dass die Schau tatsächlich eine Antwort gibt auf die Frage, wie indigenes Wissen beim Umgang mit klimawandelbedingten Wasserproblemen helfen kann: indem man sich wieder verbindet, sich wieder identifiziert – zunächst mit einzelnen, nahe gelegenen Flüssen, Bergen. Später, hoffentlich, irgendwann als Menschheit mit der Natur insgesamt.
In anderen Worten: Wer den Fluss einst qua Tabu schützte, um die Wassergeister günstig zu stimmen, ehrt sie heute als Rechtsperson, das ist die „moderne“ Variante. Man knüpft an die „alten“ Wertvorstellungen an, sucht sie gerichtsfest zu machen.
Vor diesem Hintergrund wirken auch Wasser-Zeremonien der gegen den Abbau fossiler Brennstoffe kämpfenden AktivistInnengruppe „Pacific Climate Warriors“ an Ölpipeline-Terminals hoch aktuell. Denn Respekt vor der Natur und Gesetze zu ihrem Schutz bedingen und verstärken einander. Womit wir wieder beim synthetischen Denken wären.
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