Ausstellung in Schaufenstern: Zeugnisse des Zeittotschlagens

Das Ausstellungsprojekt Solo-Solo wuchert hinter Fensterscheiben geschlossener Lokale – und interagiert dabei mit dem Kreuzberger Stadtbild.

Konrad Mühe und Sonja Schrader vor ihrer Installation

Auch das Yorck-Kino wird bei Solo-Solo zur Galerie Foto: Johanna Landscheidt / Solo

BERLIN taz | Zwei Wochen nach dem Weckruf des 1. Mai drückt Kreuzberg 36 weiterhin kollektiv die Snooze-Taste. Auch wenn vereinzelt Läden, wie auf der Wiener Straße, wieder „mit Abstand die besten Klamotten“ (Supermarché) anbieten und sich vor den Eisdielen und den Spätis Menschentrauben bilden, ist das Bild immer noch schief.

Schwer zu sagen, was die Gegend mehr in ihrer Identität getroffen hat: die Trockenlegung von Kneipen, Kinos, Winztheatern und Bars, den Projekträumen und Kollektiven, die sich auf ihre Systemirrelevanz noch etwas einbilden? Oder die freie Bahn, die Polizei und Ordnungsamt in ihrem Feldzug gegen Dealer und Obdachlose sichtlich genießen? Seit zwei Monaten leben sie Schönbohms Traum, beherrschen den öffentlichen Raum mit Dauerkontrollen, mobilen Wachen und großem Appetit auf halbe Hähnchen.

Auf den einst heiß umkämpften Werbeflächen in der Ora­nien­straße herrscht Stillstand: Im März geklebte Plakate bewerben abgesagte Veranstaltungen mit Suzanne Vega und Peter Wohlleben.

Aktueller sind die in Schaufenstern hängenden Infos zu Öffnungsstatus, Sonderangeboten – im Hong Kong Shop kosten Masken 1 Euro – und gegenseitiger Solidarität: Institu­tio­nen wie das Kisch & Co., das SO36 und das Franken standen ja schon vorher wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand.

Schaufenster als Vitrinen

Im Dickicht der Notbotschaften oft erst auf den zweiten Blick zu erkennen: die Kunst. Während die Musikszene ihr Glück im Internet sucht, bleiben Kneipen, Clubs, Bars und andere Brutstätten des Nachtlebens von Lockerungen ausgenommen. So haben die Künstlerinnen Lola Göller und Johanna Landscheidt geschlossene Gastwirtschaften in ein Zwischennutzungsprojekt involviert.

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Schaufenster dienen dabei als Vitrinen der „wuchernden Ausstellung“ Solo-Solo, die sich vom Neuköllner Keith durchs Kreuzköllner Kreativbiotop bis zum Yorck-Kino zieht. In dessen Schaukasten sind seit vergangener Woche Arbeiten von Konrad Mühe und Sonja Schrader mit dem sehnsüchtigen Titel „Wonach wir suchen“ zu sehen – die jüngste von mittlerweile 18 Solo-Ausstellungen; ein Dutzend weitere sind in Vorbereitung, andere werden bald schon wieder verschwinden.

Eine Karte auf der Website Solo-solo.eu hilft bei der Orientierung und Einordnung in drei Themenstränge: „Der Knacks“ verweist auf den epochalen Bruch, den die Krise für Kapitalismus, Kiez und Künstler*innen bedeutet. Das Thema der Isolation wird vertieft unter dem Schlagwort „#Stay@home“. „Buttocks“ schließlich verweist buchstäblich auf den eigenen Arsch, auf den sich die Kreativen zurückgeworfen fühlen.

Entsprechend erinnern viele Werke an Internet-Memes: Fotos von sortierten Erbsen, Lebensmittelinstallationen, Arrangements von Laptops und Yogamatten und andere Zeugnisse des Zeittotschlagens – in der Fotostudie „Depressed Animals“ vergleicht Elisa Jule Braun die Bewegungsmuster eines Staubsaugerroboters und eines eingesperrten Ameisenbärs.

Komplexes Kreuzberger Gefüge

Jeschkelangers Werke im Luzia (nur noch am Donnerstag zu sehen) erzählen dagegen vor allem vom Durst und so auch vom komplexen Kreuzberger Gefüge aus Bierverkauf und Kunst, Individualismus und Geselligkeit, das für heftigen Zuzug sorgte und damit den eigenen Untergang beschleunigte.

Die Abwesenheit von Touristen, Easyjet-Ravern und den Bürobelegschaften von Universal, Zalando und Native Instruments wird allgemein als angenehm empfunden, gleichsam wird deutlich, wie abhängig Kreuzberg von ihnen geworden ist. Wenn sie wiederkommen, wird Kreuzberg ihnen ein Stück weit entgegengewachsen sein.

Welcher dieser Orte wird überhaupt wieder in gewohnter Form öffnen können? Auch danach fragen die nostalgischen Arbeiten von Joram Schön und Klara Bergsteiger im Myśliwska, einst letzte Anlaufstelle für schlaflose Schluckspechte am Schlesischen Tor.

Solo, aber solidarisch

Auch wenn Galerien mittlerweile eingeschränkt wieder Betrieb aufnehmen, ist diese Form der Stadtausstellung, die parallel auch in Mannheim und Ludwigshafen stattfindet, die richtige für diese Zeit. Sie interagiert mit einem Stadtbild, das unentwegt eigene Beiträge liefert, Spiegel- und Reibungsflächen.

Blickfang auf der Eisenbahnstraße sind weniger die Solo-Ausstellungen in Vögelchen und Tante Lisbeth, sondern die Graffiti: „Klopapier/Räuber“ und „Bill Gates invented Corona to Microship you“. Die Ausstellung von Kinga Kiełczyńska in der Shorty36 Shooter Bar befindet sich genau neben dem geschlossenen Restaurant von Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann.

Gleich um die Ecke ist auch das archetypische Kiezschaufenster mit den obsoleten Märzprogrammen von Wild at Heart und fsk-Kino im Dornröschenschlaf, umwuchert von einer Hecke Street Art, Flyern, Graffiti, Unkraut und Objektkunst, in diesem Fall: zwei ausrangierten Bürostühlen.

Wer außer Gerhard Seyfried könnte dieses Panorama in ein einziges Werk stopfen? Auch deswegen setzt die Initiative ein Zeichen, indem sie die in den Werken evidente Individualisierung und Isolation aufhebt: Zusammen solo – und solidarisch. Denn die Summe allen Ungemachs, vom Überwachungsstaat über Gentrifizierung bis zum blanken Wahn, ist so gigantisch, dass wird die Kunst nur im Kollektiv bewältigen können.

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