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Ausstellung „Tierisch schön?“ Die geldscheißende Kröte

Die Ausstellung „Tierisch schön?“ im Deutschen Ledermuseum in Offenbach fordert zur Positionierung auf. Die Stadt war lange Zentrum der Lederproduktion.

Auf wilden Tieren chillen: Der „Cake Stool“ der Campana Brothers aus Kunststoff, Textil, Metall Foto: DLM

Wie ein Kobold scheint sich das Wesen ans Mode-Accessoire heranzupirschen. Allein es kann schon lange nicht mehr pirschen, es ist leidlich ausgestopft und mit tragikomischem Knopfblick versehen worden. So ziert das Mini-Reptil nun die kleine Handtasche, die ihrerseits aus Reptilienleder gefertigt wurde. Das getötete Tier als Trophäe auf der Haut seiner Artgenossen: Man muss kein ausgewiesener Tierrechtsaktivist sein, um einigen Grusel bei dieser Konstruktion zu empfinden.

Legte man einen unbehandelten Pelz in einen Wald, dann verrottete er dort

Im benachbarten Schaukasten wird es kaum weniger arg: Dort spuckt ein Krötenhinterteil Geldmünzen aus. Monika Jarosz hat das Portemonnaie für das Pariser Label Kobja angefertigt, aus einem ganzen Tier.

Hier die dekadent zur Schau getragene Grausamkeit, dort das ethisch korrekte, funktionale Lederobjekt? So leicht wird es einem diese Ausstellung nicht machen. Denn die Geldbörse beispielsweise entstand in Zusammenarbeit mit regionalen Umweltschützern – bei besagter Kröte handelt es sich um eine invasive Art, massive Bedrohung für die ozeanische Flora und Fauna. Die Designerin verarbeitete die gefangenen Tiere lediglich weiter, zu Luxusobjekten mit Goldanstrich und Swarovski-Kristallen.

Eine der weltweit größten Sammlungen

Die Ausstellung

„Tierisch schön?“, bis 16. Januar 2022, Deutsches Leder Museum Offenbach.

Zu entdecken gibt es beide Accessoires in der Ausstellung „Tierisch schön?“, die sich als Parcours durchs Deutsche Ledermuseum (DLM) in Offenbach zieht. Ursprünglich war sie als Beitrag zum „Artentreffen“ konzipiert, das die Rüsselsheimer Opelvillen 2020 ini­tiiert hatten (wo man übrigens aktuell die „Kunst für Tiere“ besuchen kann). In Offenbach widmet man sich nun unserem Verhältnis zum Nutztier und dessen Produkten, oft in Form tragbarer Objekte.

Offenbach war lange Zeit deutsches Zentrum der Lederproduktion, das DLM besitzt eine der weltweit größten Sammlungen, einschließlich Fell- und Federobjekte. Aber es geht hier eben schon länger auch um die Frage, welche Alternativen und Zukunftsszenarien die Geschichte des Mate­rials bereithält.

Ein passender Zeitpunkt: Die Lederproduktion und ihre Begleitumstände werden auch in Modemagazinen immer kritischer beäugt, derweil die eifrige Suche nach möglichen Alternativen auf Hochtouren läuft. Die können durchaus, klar, auch zur eigenen Markenbildung taugen. So präsentierte Gucci in diesem Sommer „Demetra“, das angeblich erste tierfreie Ledermaterial der Welt – so wurde es nicht vom Luxuslabel selbst, aber von manchen Redaktionen gefeiert. Der biofreundliche Materialmix ähnelt Leder nicht nur äußerlich und haptisch erstaunlich, sondern soll auch ähnlich gute Eigenschaften mitbringen.

Ist lederfreie Produktion nachhaltiger?

„Tierfreies Leder gibt es nicht,“ sagt wiederum Inez Florschütz, Direktorin des DLM und Kuratorin der aktuellen Ausstellung. Denn Leder ist die verarbeitete Haut getöteter Tiere. Aber es gibt interessante Alternativen. Auch jenseits der Imitation: Florschütz zeigt einen Sneaker, der nicht nur komplett aus pflanzlichen Überresten hergestellt worden ist, sondern ebenso vollständig in Wald und Wiese verrotten soll. Andere Objekte sind aus recycelten Kunststoffen im 3-D-Drucker erstellt oder aus dem aktuell so angesagten Pilzgewebe, das als eine Art Wundermaterial gepriesen wird.

Wer heute tierfrei leben möchte, findet also etliche Beispiele, um dies auch modisch zu tun. Aber ist so eine lederfreie Produktion auch nachhaltiger? Kommt auf die Definition an. Nähme man die Kreislaufwirtschaft zum Ideal, dann wäre die vollständige Verwertung eines Tieres naheliegend. Die findet ohnehin bereits zu einem großen Teil in unsichtbaren Sphären statt, werden doch tierische Bestandteile in Medikamenten, Möbeln und zahlreichen anderen Produkten unseres Alltags verwendet.

Hippieskes Flow­er-Power-Objekt

Florschütz zeigt einen Parka, den Inuit Ende des 19. Jahrhunderts aus getrockneten Därmen von Fischen gefertigt haben. Wie Papier erscheint das kunstvoll verarbeitete und verzierte Naturmaterial. An anderer Stelle wird ein zeitgenössischer Mantel präsentiert, für den Leder und Fell eines Lammes komplett zu einem hippiesken Flow­er-Power-Objekt verarbeitet wurden; im Schauraum des DLM kann man Fischleder und solches aus Innereien begutachten und, wenn man mag, auch anfassen.

Auch bei der Verarbeitung kommt es eher auf das Wie als auf das Was an. Es macht einen Unterschied, ob Leder vegetabil zum Beispiel aus Olivenblättern oder chemisch gegerbt wird und in welchem Teil der Welt dies geschieht. Aber ist, was im Maßstab kleiner Manufakturen funktioniert, eine Lösung für die Massenproduktion globaler Kleiderströme? Das butter­zarte, streichelweiche Nappa ist ohne giftiges Chrom nicht zu haben. Ob dafür prekär arbeitende Menschen ihre Gesundheit aufs Spiel setzen müssen, unterliegt vor allem ökonomischen Fragestellungen.

Das Band zwischen Mensch und Tier

Wie stark das Band zwischen Mensch und Tier ist, zeigt sich ganz unmittelbar an Pelz und Fell. Ein Echtpelz hat nachweislich heute das Potenzial, Menschen in große Verzückung wie auch in rasenden Zorn zu versetzen. Und doch will auch tierfreie Mode nicht auf Mimikry verzichten: Zeugen Animal Prints doch von einer ganz archaischen Sehnsucht, sich das (Wild-)Tier zum Freund oder stärkenden Komplizen zu machen.

Eine Schauvitrine zeigt einen Pelzmantel gegenüber einem tierfreien Exemplar mit Leopardenmuster. „Dieser Webpelz kann nur dank Erdöl hergestellt werden“, erklärt Florschütz, „genau wie die Plastiktüte daneben.“ Nachhaltiger ist er kaum, tierleidfrei vermutlich schon – allerdings nur unmittelbar, denn auch die Ölproduktion bringt tierische Opfer.

Nimmt man Umwelt- und Artenschutz einmal aus, bleibt die Frage, warum Tiere überhaupt, selbst bei artgerechter Haltung, zur Fellproduktion getötet werden sollten. Florschütz erinnert an die Unmengen an Vintage-Pelzen, die derzeit kaum genutzt würden: hervorragend verarbeitet, langlebig, ohne neuen Energieaufwand tragbar. Ein guter Pelz hält Generationen, und würde man ihn in einen Wald legen, dann verrottete er dort (chemiefreie Behandlung vorausgesetzt).

Heiligt der Zweck die Mittel?

Es bleibt also kompliziert. So erscheinen die industrielle Massentierhaltung auf der einen und der radikale Verzicht auf jegliches Tierische auf der anderen Seite wie zwei Symptome desselben Phänomens, der Entfremdung der In­dus­trie­staa­ten­be­woh­ne­r:in vom (Nutz-)Tier. Ist es also vor allem kosmetisch, das Leid nicht mehr sehen zu wollen – und der völlige Verzicht auf tierische Produkte schlicht ein modisches Distinktionsmerkmal, das man sich leisten können muss? Heiligt der Zweck die Mittel? Ist das Töten zwecks Nahrungsaufnahme redlicher, oder sollte man auf beides verzichten?

Gerade weil man so nah am Objekt bleibt, wird das Publikum gegenüber Gürteltier- und Reptilientaschen, Webpelz und Lammfellmantel zur eigenen Positionierung aufgefordert. Die dann weitere Fragen und Widersprüche nach sich ziehen könnte. So leistet „Tierisch schön?“ als Mode- und Materialschau einen weitsichtigeren und komplexeren Beitrag zum heiß diskutierten Mensch-Tier-Verhältnis als manche Kunstausstellung, die ihre Prämissen schon vorher gesetzt hat.

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